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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Berichte aus Neumarkt (Oberpfalz)

Am 10. November 1938 erstattet die Schutzpolizei Neumarkt folgenden Bericht zu „Demonstration und Ausschreitungen gegen Juden“:

Gestern abends gegen 20 Uhr als die Kunde durch die Ätherwellen ging, daß der deutsche Gesandtschaftsrat vom Rath seinen von einem jüdischen Mordbuben beigebrachten Schußverletzungen erlegen ist, entstand unter der Bevölkerung eine große Erregung, welche sich zu Demonstrationen und Ausschreitungen gegen die Juden auswirkte. Im Verlaufe dieser Aktionen wurden eine Anzahl Fenster der jüdischen Geschäfte und Wohnungen eingeworfen und schließlich die Synagoge in der Hafnergasse durch Demolierung der Inneneinrichtung und aller Fenster beschädigt.

Da die Erregung und Erbitterung der Menschenmassen, wegen dieser gemeinen Mordtat immer bedrohlicher zu werden schien, wurden sämtliche hier wohnhafte Juden beiderlei Geschlechts zu ihrer persönlichen Sicherheit und um die Ruhe, Ordnung und Sicherheit wieder herstellen zu können, in Schutzhaft genommen und in das hiesige Gerichtsgefängnis eingeliefert. Gegen 2 Uhr morgens waren sämtliche Juden (29) inhaftiert. Nach ganz kurzer Zeit war Ruhe, Ordnung und Sicherheit hergestellt.

Bei der Demolierung der Synagoge wurden auch verschiedene Gegenstände, meistens Bekleidung, von unsauberen Elementen gestohlen. Es konnten nach Abschluß der Inhaftierungen 4 solcher Diebe ermittelt und ihnen das Diebesgut wieder abgenommen werden.

Als Täter wurden ermittelt: Die Hilfsarbeitersfrau Hedwig März, der Rentner Josef Halbritter, die Arbeiterin Lina Graf u. Der Hausierer Johann Dörmann, sämtliche von hier. Die Erhebungen werden in dieser Richtung noch fortgesetzt und erfolgt gegen die Schuldigen Strafanzeige.

Von den in Haft genommenen Juden ist der ehemalige Pferdehändler Ludwig Landecker im Gefängnisse einem Schlaganfall erlegen. Dieser ist am 4.3.1874 zu Sulzbürg, AG. Neumarkt geboren.

Bei dem Verstorbenen wurden in der Wohnung 2 Infanterie-Seitengewehre gefunden. Diese wurden in polizeiliche Verwahrung genommen. Über die weiteren noch sichergestellten Gegenstände und Sachen erfolgt Aufstellung und wird später in Vorlage gebracht.

Über die in Haft genommenen Juden wurden 3 Verzeichnisse und zwar 1 Verzeichnis für haftfähige und arbeitsfähig, 1 für nicht arbeitsfähige weibliche und 1 für sämtliche in Haft genommene Juden erstellt.

In dem Verzeichnis für alle inhaftierten Juden wurden 2 Personen nicht aufgenommen, da sie noch unter 14 Jahre sind. Die Entlassung dieser Jugendlichen dürfte noch veranlaßt werden. Die jüdischen Geschäfte wurden geschlossen.

 

Am 12. November 1938 gibt das Bezirksamt Neumarkt seinen Bericht zu den Ereignissen ab:

Als in den Abendstunden des 9.11.38 das Ableben des durch jüdischen Meuchelmord niedergestreckten deutschen Gesandtschaftsrates in Paris bekannt wurde, hat sich der nat. soz. Bevölkerung in Neumarkt - Stadt und Land eine starke Erregung und tiefe Empörung bemächtigt. Wenn man berücksichtigt, daß der Tag gerade der Gedenktag für die Blutzeugen der Bewegung war, ist es ohne weiteres begreiflich, daß es im Laufe des Abends und während der Nacht zu judenfeindlichen Kundgebungen kam, die sich in Demonstrationen vor den Judenhäusern Luft machten. Dabei wurden verschiedene Judenhäuser beschädigt, die Fenster der Judenwohnungen wurden zum größten Teil eingeworfen, einige Schaufenster wurden zertrümmert. In der Synagoge in Neumarkt i.d. Opf. und in Sulzbürg - dem einzigen jüdischen Ort im Landbezirk - wurden die Einrichtungsgegenstände zerschlagen. Aus dem im Synagogengebäude in Neumarkt i.d. Opf. eingebauten 2 Wohnungen wurden auch verschiedene Gegenstände der Wohnungsinhaber (meistens Kleider) gestohlen; die Gegenstände konnten zum größten Teil wieder beigebracht werden.

Sämtliche Juden in Neumarkt - Stadt und in Sulzbürg mußten zu ihrem eigenen Schutz in Haft genommen werden, insgesamt 35 Personen. Hievon wurden 14 arbeitsfähige männliche Juden der Gestapo Regensburg am 11.11.38 überstellt. Die übrigen Personen werden, soweit sie nicht auf Grund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes bereits am 10.11.38 entlassen werden mußten, entlassen werden, sobald die Hausdurchsuchungen und Bestandsaufnahmen durchgeführt sind. Im Amtsgerichtsgefängnis Neumarkt i.d. Opf., wo die Juden in Haft genommen waren, ist der ehemalige Pferdehändler Ludwig Landecker, geb. 4.3.73, aus Neumarkt einem Schlaganfall erlegen.

Bei den Hausdurchsuchungen wurden bis jetzt in der Wohnung des Grünebaum in Sulzbürg eine Mehrladepistole Kaliber 6,35 mm und ein Schächtmesser und in der Wohnung des Landecker Ludwig 2 Inf. Seitengewehre gefunden und sichergestellt. Bei mehreren Juden in Neumarkt i.d. Opf. wurden Goldstücke ausländischer Währung und ehem. inländischer Währung sichergestellt. Die Haussuchungen werden noch fortgesetzt. Die bei den Hausdurchsuchungen festgestellten Vermögen werden vorsorglich beschlagnahmt, d.h., das Bargeld wird sichergestellt, die Konten werden gesperrt. Den noch zurückgebliebenen Familienangehörigen werden die zum notwendigen Lebensunterhalt unbedingt erforderlichen Mittel freigegeben.

Sämtliche jüdische Geschäfte wurden in der Nacht 9./10.11.38 geschlossen und bleiben geschlossen.

Verzeichnis der in Haft genommenen Juden in Sulzbürg liegt an, ferner ein Verzeichnis der arbeitsfähigen Juden.

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