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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Lübbecke

Am 18. November 1938 berichtet der Landrat des Kreises Lübbecke Folgendes über die „Judenaktion“:

Zu 1. Abgebrannt sind:

a) die Synagoge in Lübbecke, totale Zerstörung. Schaden einschließlich Mobiliar schätzungsweise 20-21.000 RM.
b) die Synagoge in Rahden, totale Zerstörung. Schaden einschließlich Mobiliar 15.000 RM.

Zu 2.Lediglich geringe Beschädigungen des Manufakturwarengeschäfts M.B. Weinberg, Inhaberin Frau Meta Schöneberg, geb. Weinberg, geboren am 7.11.1889 in Werther Kreis Halle, wohnhaft in Lübbecke, Langestraße 40/42. (Einwerfen des Schaufensters und Durcheinanderwerfen von Gegenständen; kein nennenswerter Schaden.)

Zu 3.Fehlanzeige.

Zu 4.Kleiderfabrik Nathan Ruben, am 10. des Monats in arische Hände übergegangen. Die Verhandlungen hierüber haben bereits vor der Aktion geschwebt.

Sonstige jüdische Betriebe bestehen nicht mehr. Das zu 2 genannte Geschäft ist unbedeutend und nicht wieder geöffnet.

Zu 5.Abgebrannt ist das Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Viehhändlers Simon Sauer , geboren am 11.3.1866 in Wehdem, wohnhaft in Wehdem Nr. 84 (hält sich z.Zt. in Berlin auf), bis auf einen Teil des Außenmauerwerks. Der Gebäudeschaden wird auf 5.000 RM und der Mobiliarschaden auf 6-8.000 RM geschätzt.

Zu 6.Zerstört bezw. beschädigt sind folgende jüdische Wohnungen:

a) Des Juden Max Lazarus, geboren am 26.5.1869 in Trier wohnhaft in Lübbecke, Bahnhofstraße 16. Zertrümmert sind einige Fensterscheiben, sowie einige Lampen, Beschädigung von Gardinen. Schaden etwa 150-200 RM.

b) Des Juden Hermann Hecht, geboren am 22.7.1867 in Lübbecke, wohnhaft in Lübbecke, Osnabrückerstraße Nr. 4. Zertrümmerung der Fensterscheiben, Lampen, Wohnungseinrichtungsgegenstände. Schaden schätzungsweise 500-1.000 RM.

c) Des Juden Bernhard Neustätter, geboren am 11.9.1896 in Herford, wohnhaft in Lübbecke, Osnabrückerstraße Nr. 4. Zerstörung und Schäden wie b.

d) Des Juden Paul Schöneberg, geboren am 15.9.1882 in Brackwede, wohnhaft in Lübbecke, Langestraße Nr. 40/42 (vergl. Ziffer 2). Zertrümmerung einiger Fensterscheiben, Beschädigung und Zerstörung eines Teils der Wohnungseinrichtung. Schaden schätzungsweise 1.000-2.000 RM.

e) Des Juden Albert Ruben, geboren am 29.2.1888 in Lübbecke, wohnhaft in Lübbecke, Ostertorstraße Nr. 6. Totale Zerstörung der gesamten Wohnungseinrichtung, Fensterscheiben usw. Schaden schätzungsweise 7.000-10.000 RM.

f) Des Juden Philipp Coblenzer, geboren am 2.2.1859 in Wehdem, wohnhaft in Wehdem Nr. 184, z.Zt. in Krefeld. Teilweise Zerstörung der Wohnungseinrichtung. Schaden schätzungsweise 1.200 RM.

Ferner sind in folgenden jüdischen Wohnungen Fenster und Türen an der Straßenfront eingeschlagen:

g) Frank, Sofie geb. Obenhaus, Ehefrau des Alfred Frank, geboren am 20.5.1895 in Wagenfeld, wohnhaft in Kleinendorf Nr. 58.

h) Frank, Bernhard, geboren am 23.5.1864 in Rahden, wohnhaft in Rahden Nr. 68.

i) Ginsberg, Julius, geboren am 1.11.1886 in Rahden, wohnhaft in Rahden Nr. 19.

k) Goldstein, Witwe Martha geb. Ginsberg, geboren am 19.6.1875 in Raden, wohnhaft in Raden Nr. 99.

l) Horwitz, Witwe Hanna, geboren am 20.5.1888 in Rahden, wohnhaft in Rahden Nr. 409.

m) Haas, Dagobert, geboren am 6.9.1861 in Rahden, wohnhaft in Rahden Nr. 393.

Die Schäden zu g-m betragen rund 1.100 RM.

Zu 7.Fehlanzeige.

Zu 8.In der Wohnung des Juden Hecht, Lübbecke, Osnabrückerstr. - vergl. zu 6b - soll angeblich eine Schreibmaschine gestohlen worden sein. Näheres ließ sich nicht feststellen, die Ermittlungen darüber sind noch nicht abgeschlossen.

Weitere kriminelle Straftaten sind nicht festgestellt.

Zu 9.Bei dem Kaufmann Walter Coblenzer in Dielingen Nr. 113, geboren am 13.3.1907 in Dielingen, ist ein älterer Trommelrevolver mit 46 Schuß Munition beschlagnahmt worden.

Zu 10. Fehlanzeige.

Zu 11a) Bei Philipp Coblenzer in Wehdem Nr. 184 - vergl. zu 6f - wurden zwei Goldmünzen a 10 M alter Währung, 1 Golddollar und 1/2 Golddollar gefunden. Die Werte befinden sich in Verwahrung der Kreisleitung der NSDAP in Lübbecke.

b) Bei Richard Haas in Rahden Nr. 393, geboren am 10.7.1896 in Rahden, sind 172,70 RM Bargeld sichergestellt. Der Betrag ist auf ein Sparbuch bei der Amtskasse Rahden eingezahlt. Außerdem ist in derselben Wohnung eine Herrentaschenuhr sichergestellt, die von der Ortspolizeibehörde Rahden in Verwahrung genommen ist.

Zu 12.Versichert waren

a) die Synagoge in Lübbecke bei der Aachener und Münchener Feuerversicherungsgesellschaft. Die Versicherungssumme soll 25.000 RM betragen. Versicherungsansprüche sind noch nicht gestellt worden.

b) Die Synagoge in Rahden einschließlich Mobiliar bei der Allianz gegen Feuergefahr mit 15.000 RM. Versicherungsansprüche bei der Gesellschaft sind gestellt, die Höhe des Anspruchs steht nicht fest, sie richtet sich nach der Abschätzung.

c) Das Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Viehhändlers Sauer in Wehdem Nr. 184 bei der Westfälischen Prov. Feuersozietät in Münster gegen Gebäudeschaden mit 21.150 RM, gegen Mobiliarschaden mit 20.600 RM. Ob Versicherungsansprüche gestellt sind, konnte nicht festgestellt werden.

Zu 13. Fehlanzeige.

Zu 14. Die Aktion gegen die Juden ist in der Bevölkerung ganz verschieden aufgenommen worden.

Daß Sühnemaßnahmen ergriffen worden sind, wird an sich allgemein gebilligt. Insbesondere findet man Genugtuung und Verständnis für die Auferlegung der Geldbuße und für die weitere Zurückdrängung des Judentums. Die Art und Weise jedoch, wie die Maßnahmen durchgeführt worden sind, wird nicht überall gebilligt. Nur ein Teil der Bevölkerung ist damit einverstanden. Ein anderer Teil dagegen, der auch positiv zum nationalsozialistischen Staat eingestellt ist und sich für ihn auch mit aller Energie und Treue betätigt, billigt die Art und Weise der Durchführung nicht. In diesen Bevölkerungskreisen sind Stimmen laut geworden, die

a) einmal nicht das Niederbrennen der Synagogen verstehen. Man weist darauf hin, daß man die Synagogen hätte enteignen und abbrechen lassen und die noch verwertbaren Materialien anderweitig hätte verwenden können.

b) Derselbe Bevölkerungskreis billigt teilweise auch nicht die vorgenommenen Zerstörungen der Wohnungen und Wohnungseinrichtungsgegenstände usw., ebenfalls mit Rücksicht auf die Vernichtung der Werte.

Ein anderer Teil der Bevölkerung, und zwar der weniger oder nicht positiv eingestellte, verurteilt die Maßnahmen gegen die Juden überhaupt, ganz besonders aber die Art der Durchführung. Wenn auch Stimmen der Kritik aus diesen Kreisen in der Öffentlichkeit nicht laut geworden sind, so wird die Aktion doch dazu benutzt, um Stimmung gegen die Bewegung zu machen. Es wird dabei besonders darauf hingewiesen, daß sonst Brandstiftung besonders hart bestraft wird und Brandstifter festgenommen werden, in diesem Falle aber nichts unternommen würde. Zum Teil werden die betroffenen Juden auch bemitleidet. Offen hervorgetreten ist man mit diesen Meinungen nicht, jedenfalls sind bisher bestimmte Personen, die abfällige und abträgliche Kritik geübt haben, nicht aufgefallen. Die Zeit zwischen den Ereignissen und der Berichterstattung ist wohl auch noch zu kurz.

Nachteilige Auswirkungen wegen der Durchführung und der Art und Weise der vorgenommenen Aktion sind m.E. nicht zu befürchten.

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