Bericht aus Bückeburg
Am 17. November 1938 verfasst der Bürgermeister von Bückeburg folgenden Bericht über die „Aktion gegen Juden am 10.11.38“:
Ich erstatte folgenden Bericht:
Zu 1.) Die hiesige Synagoge ist durch Brand beschädigt und zwar ist im Innenraum ein Feuer entstanden, welches aber nur auf einen Teil der Innenausstattung übergriff, so daß das Haus selbst, insbesondere Umfassungsmauern und Dachgestühl, vollständig unbeschädigt geblieben sind. Vernichtet sind aus diesem Grunde auch nur Teile der Inneneinrichtung, deren Wert sich auf etwa 3-4.000 RM beziffern läßt.
Zu 2.) Es sind hier nur 3 Schaufensterscheiben in einem jüdischen Geschäft eingeworfen worden. Es ist dies übrigens nur das einzige jüdische Geschäft am Orte. Der Sachschaden beziffert sich auf etwa 900-1.000 RM. Inhaber ist der Kaufmann Adolf Wertheim, geboren am 9. September 1886 zu Bückeburg, der sich im Konzentrationslager Buchenwald befindet..
Zu 3.) Keine.
Zu 4.) Das jüdische Geschäft Wertheim geht in diesen Tagen endgültig in arische Hände über. Die Übernahme ist bereits vor ca. 3 Monaten in die Wege geleitet worden und kam erst jetzt zum Abschluß.
Zu 5.) Fehlanzeige.
Zu 6.) In der Synagoge befindet sich noch eine inzwischen von dem jüdischen Inhaber geräumte Wohnung. Bei der Brandbekämpfung wurde hier eine Vorplatztür eingeschlagen. Sachschaden etwa 200 RM. Wohnungsinhaber war der Kaufmann Leo Rautenberg, geboren am 3. Juni 1881 zu Rastenburg, der sich ebenfalls in Buchenwald befindet.
Zu 7.) Es sind weder Todesfälle noch sonstige Körperverletzungen oder Mißhandlungen vorgekommen.
Zu 8.) Keine.
Zu 9.) Keine.
Zu 10.) Das Archivmaterial (in der Hauptsache Betbücher aller Art) ist in der Synagoge mit verbrannt.
Zu 11.) Keins.
Zu 12.) Die Synagoge ist versichert beim Versicherungsverein Allianz und Stuttgarter, Filialdirektion Hannover. Es soll sich um eine Mobiliar- und Immobilien-Versicherung handeln. Die Höhe der Versicherungssumme ist nicht bekannt. Da der Vorsteher der Synagogengemeinde , der Kaufmann Moosberg, sich ebenfalls in Buchenwald befindet, konnte der Versicherungsschein noch nicht aufgefunden werden. Auf Veranlassung des Juden Heinemann, der ebenfalls dem Vorstand der Synagogengemeinde angehört, soll ein Schadensersatzanspruch bei der Versicherung gemeldet werden. Der örtliche Vertreter der Versicherungsgesellschaft hat den Schaden besichtigt und hat er ihn [sic] auch auf etwa 3.000 RM beziffert.
Zu 13.) Nein.
Zu 14.) Die Aufnahme der Aktion in der Bevölkerung kann man zumindest als sehr geteilt bezeichnen. Von dem überwiegenden Teil der Bevölkerung sind [sic] sie nicht verstanden worden. Das hängt einmal mit der schlechten Stimmung im allgemeinen zusammen, hervorgerufen durch Verknappung verschiedener Lebensmittel, durch die vorgekommenen Steuererhöhungen und durch die Mißgriffe bei den kriminalpolizeilichen Mißgriffen gegen die Abtreibung, die eine große Erregung und Verbitterung in weiten Bevölkerungskreisen hinterlassen haben, zum anderen dadurch, daß die Aktion gegen die Juden einen Tag verspätet einsetzte, nachdem bereits durch Funkspruch alle weiteren Maßnahmen streng untersagt worden waren. Selbst in Parteikreisen hat die Brandlegung im Betsaal der jüdischen Gemeinde geteilte Aufnahme gefunden, da bereits am Tag vorher die Auffassung ging, daß dieses Gebäude so wie so von der Partei bezw. von der SA in Besitz genommen werden könnte. Desgleichen sind die Maßnahmen gegen das bis dato jüdische Geschäft Wertheim nicht verstanden worden, da sich zu der angegebenen Zeit bereits der neue Besitzer, ein Parteigenosse, in Bückeburg aufhielt und angenommen wurde, daß derselbe den angerichteten Schaden bezahlen müßte. Allerdings ist die vom Generalfeldmarschall Göring verfügte Maßnahme, wonach der Schaden von den Juden allein zu tragen ist, eine Beruhigung eingetreten.
Wenig Verständnis ist in der Bevölkerung dafür vorhanden, daß die Judenschaft in materieller Hinsicht nicht noch schärfer zur Rechenschaft gezogen ist, seitdem durch Presse und Rundfunk die Zahlen über das jüdische Vermögen bekannt geworden sind. Die Menschen verstehen es nicht, daß es im 5. Jahre des nationalsozialistischen Deutschlands noch über 1.000 jüdische Millionäre im Reichsgebiet gibt, darunter einige Hundert Multimillionäre. Die Volksgenossen vermuten in diesem Riesenvermögen nach der jahrelangen nationalsozialistischen Propaganda nicht mit Unrecht jene Werte, die dem ausgeplünderten Volke in seinen schlimmsten Notjahren abgegaunert worden sind. Sie erblicken darin Kriegs-, Inflation- [sic] und Deflationsgewinne, die das Volk bezahlen mußte, und wiederholt konnte ich in diesen Tagen den Hinweis auf das nationalsozialistische Parteiprogramm hören, in dem die Enteignung dieser durch unsittliche Bereicherung aufgehäuften Vermögen gefordert wird. Die leider notwendig gewordenen Steuererhöhungen, denen weitere Steuererhöhungen folgen dürften, wenn die augenblickliche Entwicklung anhält, dürften zweifellos derartige Vergleiche und Auffassungen begünstigen. Je rücksichtsloser und schneller die Enteignung des Judentums, vor allem aber der jüdischen Millionäre vorgenommen wird, umso größer dürfte nach meinen Beobachtungen auch die Genugtuung und die Befriedigung weiter Bevölkerungskreise sein.