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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Borgenteich

Am 17. November 1938 verfasst der Bürgermeister des Amts Borgenteich folgenden Bericht über die „Aktion gegen Juden am 10.11.38“:

Zu der Verfügung der Staatspolizeistelle Bielefeld vom 14.11.38, betreffend Aktion gegen die Juden, ist aus dem Bezirk des Amtes Borgentreich folgendes zu berichten:

1.) Brandlegungen sind in keinem Falle erfolgt, weder an Synagogen , Geschäftshäusern noch Privatwohnungen.

Die in den Gemeinden Borgentreich, Borgholz und Körbecke vorhandenen Synagogen wurden beschädigt, soweit das Gebäude selbst in frage kommt; es sind daran die gesamten Fenster mit Einfassungen zerstört worden. Hingegen wurde die gesamte Innenausstattung der Synagogen restlos zertrümmert und unbrauchbar gemacht.

2.) Folgende Judengeschäfte sind beschädigt worden.

Siegmund Neustadt, Borgholz
Gebrüder Löwenstein, Borgholz
Adolf Vorreuter, Natzungen
Salomon Löwy, Bühne
Philipp Fischel, Körbecke
Hermann Mathias, Körbecke
Max Judenberg, Lütgeneder
Louis Kleeblatt, Lütgeneder
Isidor Rosenstein, Borgentreich.

Das Inventar in den Geschäften wurde zum größten Teil entzwei geschlagen, und die Warenbestände wurden zum Teil vernichtet und unbrauchbar gemacht. An den Gebäuden wurden die Fenster zertrümmert.

3.) Arbeiter und Angestellte sind durch die Zerstörung nicht arbeitslos geworden.

4.) Wegen Fortführung oder Arisierung der Geschäfte ist bisher nichts veranlaßt worden. Es sind in dieser Beziehung auch keine Maßnahmen erforderlich, da deutsche Geschäfte vorhanden sind.

5.) und 6.) Folgenden Juden sind ihre Privathäuser und Wohnungen beschädigt worden:

Siegmund Neustadt, Borgholz
Gebrüder Löwenstein, Borgholz
Adolf Vorreuter, Natzungen
Sally Mathias, Natzungen
Salomon Löwy, Bühne
Nathan Goldschmidt, Bühne
Philipp Fischel, Körbecke
Hermann Mathias, Körbecke
Hermann Katzenstein, Körbecke
Max Judenberg, Lütgeneder
Louis Kleeblatt, Lütgeneder
Karl Weil, Borgentreich
Isidor Rosenstein, Borgentreich.

An den Gebäuden wurden die Fenster zertrümmert und in den Wohnungen die Möbeln und das sonstige Inventar entzwei geschlagen.

Die Höhe des entstandenen Schadens an den Synagogen, Geschäftshäusern und Privatwohnungen kann nicht angegeben werden.

7.) Verletzt, mißhandelt oder ums Leben gekommen ist kein Jude.

8.) In der Gemeinde Körbecke haben drei Personen an Juden Erpressungen verübt. Es handelt sich bei den Tätern um den Gastwirt Wilhelm Götte und den Milchfahrer Josef Wegener aus Körbecke sowie den Landwirtschaftsgehilfen Josef Bader aus Rösebeck. Die Täter wurden in Haft genommen und am 17. des Monats dem Amtsgericht in Paderborn vorgeführt. Die Vorgänge sind der Staatspolizeistelle mit Bericht vom 15. des Monats zugesandt worden.

9.) und 10.) Waffen und Archivmaterial wurden nicht vorgefunden.

11.) Ebenfalls wurden Bargeld, Bankguthaben und Wertgegenstände nicht sichergestellt. Wohl wurden die Geschäftsbücher von den unter Ziff. 2 genannten Judengeschäften sichergestellt; außerdem auch von dem Juden Karl Weil aus Borgentreich, der sein Geschäft am 1.10.38 aufgegeben hat.

12.) Die Synagogen und Wohnungen sind gegen Feuer versichert. Da Brandschaden nicht entstanden ist, kommen Versicherungsansprüche nicht in Frage.

13.) In eine Notlage sind die Familien von festgenommenen Juden bisher nicht gekommen. Unterstützungsanträge wurden nicht gestellt.

14.) Die Bevölkerung hat die Aktion vielfach nicht verstanden, oder besser, sie wollte sie nicht verstehen. Die Juden wurden auch bemitleidet. Insbesondere darüber, daß ihnen Schaden an ihrem Hab und Gut zugefügt wurde und daß die männlichen Juden einem Konzentrationslager zugeführt wurden. Diese Stimmung in der Bevölkerung war gewiß nicht allgemein, aber ich schätze, daß hierzulande wenigstens 60% der Bevölkerung so dachte. Später zur Rede gestellt, äußerten die einen oder andern, es wäre doch gut gewesen, wenn die Sachen nicht zerstört, sondern dem Winterhilfswerk zugeführt worden wären. Durch die Sicherstellung der Geschäftsbücher der Geschäftsjuden hat ein Teil der Bevölkerung, der nach wie vor bei Juden kaufte, naturgemäß einen gewaltigen Schrecken bekommen. Denn diese Zeitgenossen müssen nunmehr fürchten, daß sie an den Pranger gestellt werden, nachdem ihre Namen aus den Geschäftsbüchern bekannt geworden sind.

Übrigens hörte man gelegentlich, daß diese Schuldner der Juden sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hatten, sie brauchten nunmehr ihre Restschulden an die Juden nicht mehr bezahlen, weil ja alles kaputt geschlagen sei und vermutlich auch die Geschäftsbücher zu Bruch gegangen seien. Die Enttäuschung soll jetzt umso nachhaltiger sein.

Ich glaube nicht, daß nachteilige Auswirkungen zu befürchten sind, wenigstens nicht auf die Dauer. Heute spricht man schon kaum noch von den Vorfällen der letzten Woche.

Besonders zu erwähnen ist, daß in der Gemeinde Bühne der Kaufmann und Landwirt Josef Grone die Äußerung gemacht hat, das grenze an russische Zustände, man hätte die Sachen doch lieber verteilen sollen anstatt sie zu vernichten. Er will aber nicht gewußt haben, daß es sich um eine von der Regierung gebilligte Maßnahme handelte. Der Vorgang wird der Staatspolizeistelle zugesandt.

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