Bericht aus Bad Lippspringe
Am 17. November 1938 berichtet der Bürgermeister von Bad Lippspringe Folgendes über die „Aktion gegen Juden“:
Im hiesigen Ortspolizeibezirk wohnen vier Judenfamilien. Von diesen haben Familien noch je ein Geschäftshaus, in dem sie eine Wohnung inne haben. Die Geschäftsräume selbst schon seit etwa zwei Jahren arisiert.
Größere Schäden sind bei der Durchführung der Judenaktion hier nicht entstanden. Es sind insbesondere keine Räume verbrannt oder deren Einrichtung zerstört oder beschädigt worden. Lediglich an folgenden Wohnungen sind einige Fensterscheiben eingeworfen worden, und zwar:
1. An der Wohnung des Juden Max Meyer, Ludendorffstraße 16, eine Fensterscheibe,
2. An der Wohnung der Jüdin Witwe Lorch, Ludendorffstraße 6, sieben kleinere und eine größere Fensterscheibe. Letztere wurde in der Nacht nach der Judenaktion durch Steinwürfe zertrümmert.
Der Gesamtschaden dürfte sich auf ca. 70 RM belaufen.
Ferner wurden sechs männliche Juden in ein hiesiges Hotel geführt. Dort wurde ihnen die Verwerflichkeit der Tat des Juden Grünspan [sic] in Paris vor Augen geführt.
Anschließend wurden sie zu einem Gang in die Lippe getrieben.
Kriminelle Straftaten wie Diebstähle, Plünderungen usw. sind nicht vorgekommen.
Waffen sind bei Juden nicht festgestellt, ebenfalls auch kein Archivmaterial.
Bares Geld, Bankguthaben, Wertgegenstände oder sonstige Sachen sind nicht sichergestellt.
Es wurden zwei Juden festgenommen, davon weilte einer in der Judenpension Meyer, hierselbst, zur Kur. Eine Notlage der Hinterbliebenen dieser Juden liegt nicht vor.
Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat die Aktion gegen die Juden nicht verstanden und mit dem Hinweis verurteilt, daß Derartiges in einem Kulturstaate nicht vorkommen dürfe.
Besonders ungehalten war die Bevölkerung über einen Fall, der sich der zweiten Nacht ereignete, in der ein Einwohner, (arischer Viehhändler) der sich auf dem Nachhauseweg befand, von mehreren Personen angehalten und auf der Straße mißhandelt worden ist, weil er angeblich mit Juden Handel getrieben haben soll. Dieses wird umsomehr verurteilt, weil es sich hierbei um einen 72-jährigen Mann handelt. Inzwischen ist aber die Ruhe wieder eingetreten. Größere Auswirkungen, die durch die Judenaktion hervorgerufen sind, liegen bis jetzt nicht vor.