Berichte aus Büren
Am 17. November 1938 verfasst der Bürgermeister von Büren folgenden Bericht über die „Judenaktion“:
Die gestellten Fragen werden wie folgt beantwortet:
1. Hier ist die Synagoge bis auf die Umfassungsmauer abgebrannt. Sie ist bei der Sozietät zu 25.000 Mark versichert. Nach Abzug der stehenden Umfassungsmauern, beträgt der Schaden 15.000 bis 18.000 Mark. Ferner war bei der Sozietät das Inventar zu 5.000 Mark versichert. Letzteres ist vollständig verbrannt;
2. Geschäfte oder gewerbliche Räume sind nicht verbrannt worden. Dagegen sind die Manufaktur- und Kolonialwarengeschäfte des Kaufmann Max Steinberg in Brenken Beschädigungen und Zerstörungen in Höhe von einigen Tausend R Mark vorgekommen. An dem Gebäude selbst sind die Fensterscheiben zertrümmert worden. Es sollen Versicherungen bei der Mitteleuropäischen A.Ges. in Köln bestehen. Welcher Art und in welchem Umfange konnte nicht festgestellt werden, da Steinberg selbst festgenommen worden ist;
3. Die Frage wird verneint;
4. Es befinden sich hier im Bezirke nur zwei jüdische Geschäfte, die vorläufig von den Juden weitergeführt werden;
5. u. 6. Über die Zerstörung und Beschädigung in den Wohnungen der Juden ist eine besondere Anlage beigefügt;
7. Bei den Judenaktionen ist hier niemand ums Leben gekommen, noch verletzt worden. Ebenso sind auch keine Mißhandlungen vorgekommen;
8. Diebstähle und Plünderungen sind vorgekommen. Die Ermittlungen konnten aber noch nicht zum Abschluß gebracht werden. Sobald Abschluß erzielt ist, werden die Verhandlungen vorgelegt werden; Erpressungen sind nicht zu verzeichnen; Inhaftnahme ist bis jetzt nicht erfolgt;
9. Waffen sind nicht sichergestellt worden;
10. Bei dem Kaufmann Max Steinberg in Brenken, der Vorsteher der Bürener jüdischen Synagogengemeinde ist, ist Archivmaterial sichergestellt worden. Dasselbe befindet sich bei der hiesigen Dienststelle. Scheinbar ist es aber wertloses Material;
11. Bargeld und Bankguthaben wurden nicht sichergestellt. Dagegen wurde hier eine goldene Uhr mit Kette abgegeben, welche sich auch jetzt noch hier in Verwahr befindet. Sie soll dem Juden Max Schild hierselbst, Ringstr. Nr. [46], gehören. Schild selbst ist festgenommen. Die Ehefrau will aber die Uhr und Kette als Eigentum ihres Mannes mit Bestimmtheit erkennen. Vorher hat sie eine Beschreibung gemacht, so daß das Eigentumsrecht feststeht;
12. Die Synagoge ist, wie ich zu Frage 1 erwähnte, bei der West. Prov. Feuersozietät in Münster versichert. Über die Höhe der Schäden und der Versicherungen habe ich die zu Frage 5 u. 6 erwähnte Anlage beigefügt;
13. Die Juden sind teilweise vermögend, so daß bei diesen Juden eine Notlage nicht besteht. Dagegen haben zwei Familien und zwei ledige weibliche Personen bei der Fürsorgestelle Unterstützungsanträge gestellt. Über diese Anträge ist noch nicht entschieden worden. Es ist damit zu rechnen, daß Unterstützungen nach dem Fürsorgegerichtsatze gewährt werden, sofern in den nächsten Tagen keine anderen Bestimmungen erlassen werden. Eine direkte Notlage liegt auch noch nicht vor, da die Juden noch teilweise Lebensmittelbestände hatten und sich auch gegenseitig unterstützen. Sobald sich eine direkte Notlage zeigt, wird auch helfend eingegriffen werden.
14. Die vorgenommene Aktion ist, soweit sie sich auf das Betreten der Geschäfte und Wohnungen sowie auf die Zerstörung und Beschädigung von Werten bezog, allgemein mißbilligt worden. Ohne sich gegen den Staat einzustellen, konnte man aus den Gesprächen der Leute entnehmen, daß auch demnächst eine Beschädigung der christlichen Kirchen befürchtet werden müsse. Dagegen hat die Festnahme der Juden nach meiner Ansicht wenig Anstoß genommen [sic]. In erzieherischer Hinsicht halte ich es für angebracht, daß die Jugend bei der Vornahme solcher Aktionen ausgeschaltet wird.
In einem Falle ist eine Festnahme erfolgt, und zwar deshalb, weil der Posthelfer Spenner auf seinem Bestellgang Äußerungen machte, die für ihn, da er eine beamtenähnliche Stellung bekleidete, unpassend waren. Die Vorgänge sind der Geheimen Staatspolizei übersandt worden. Bis jetzt ist Spenner in dieser Hinsicht nicht in Erscheinung getreten.
Einen Tag später fügt der Bürgermeister ergänzend hinzu:
Im hiesigen Kreise sind Juden in folgenden Gemeinden wohnhaft:
Büren Verne Lichtenau
Weiberg Haaren Wünenberg
Brenken Etteln Essentho
Salzkotten Husen Westheim
Synagogen befanden sich in Büren, Salzkotten, Haaren, Lichtenau und Wünnenberg. Die Synagoge in Lichtenau ist im Laufe des Jahres verkauft worden. Die Synagoge in Wünnenberg war seit Jahren als Abstellraum an einen Handwerker vermietet. In diesen beiden Gemeinden ist in den ehemaligen jüdischen Bethäusern kein Schaden angerichtet worden. In Haaren ist die Synagoge, die sich im Hause eines Juden befand, mit Äxten und anderen Brechwerkzeugen vollständig zerstört worden. In den Synagogen in Salzkotten und Büren hat man, nachdem sie äußerlich zerstört waren, alsdann Feuer angelegt, sodaß sie im Innern vollkommen ausgebrannt sind. Es handelt sich hier um Totalschaden, die nach den mir vorliegenden Berichten rd. 30.000,- RM betragen.
Geschäfte und gewerbliche Räume jüdischer Inhaber sind nirgendwo im Kreise abgebrannt. Jedoch sind auch diese Häuser teils stärker, teils weniger zerstört. Wenn man sich im Amtsbezirk Salzkotten und Lichtenau darauf beschränkt hat, die Fensterscheiben einzuschlagen, so sind doch in Büren, Haaren und Essentho mehrere Geschäfts- und Privathäuser mit Inneneinrichtungen vollständig zerstört worden. Die Waren sind zum Teil wertlos gemacht, teils entwendet worden. Der Schaden, der hier entstanden ist, läßt sich sehr schwer angeben. Nach grober Schätzung der Ortspolizeiverwalter beträgt dieser Schaden rd. 47.000,- RM. Hinsichtlich der vorgekommenen Diebstähle sind Ermittlungen eingeleitet, die jedoch noch nicht zum Abschluß gebracht werden konnten. Es handelt sich größtenteils um auswärtige Täter. In Haaren und Essentho ist ein Teil des entwendeten Gutes inzwischen zurückgebracht worden.
Die männlichen Juden sind, soweit sie nicht zu alt und haftunfähig waren in Schutzhaft genommen und dem Konzentrationslager Buchenwalde bei Weimar zugeführt. Es handelt sich um insgesamt 42 Personen. Zu irgendwelchen Mißhandlungen, Verletzungen oder gar Tötungen ist es hierbei nicht gekommen. Mehrere jüdische Familien, die weniger vermögend sind, sind infolge der Aktion in eine Notlage geraten. Diese haben inzwischen Anträge auf Gewährung von Fürsorgeunterstützung nach den gesetzlichen Richtsätzen gestellt. Den Anträgen wird entsprochen werden müssen.
Nach den ergangenen Weisungen waren die Maßnahmen der Behörden im Einvernehmen mit der Partei und den Gliederungen der Partei zu treffen. Dieserhalb [sic] ist hier auch Fühlung genommen. Trotzdem sind, vor allen Dingen von der SS Gegenstände, insbesondere Kraftfahrzeuge sichergestellt worden, ohne daß die Behörde von einer solchen Anordnung unterrichtet wurde.
Die Bevölkerung hat sich, vor allen Dingen in den ersten Tagen nach der Durchführung der Aktion sehr lebhaft mit der Angelegenheit beschäftigt. Gegen die Verhaftung und den Abtransport der Juden hat sie nichts einzuwenden. Dieser Maßnahme wird vielmehr voll und ganz zugestimmt. Der Auferlegung einer Kontribution von 1.000.000.000,- RM ist ebenfalls allenthalben zugestimmt worden. Auch die Vernichtung der Synagogen wird weniger kritisiert. Eine Ablehnung hat aber allgemein die Zerstörung der Privatwohnungen und des Inventars erfahren. So sind immer wieder Stimmen laut geworden, die betonten, daß auf der einen Seite Rohstoffknappheit bestehe, während auf der anderen Seite wertvolles Volksvermögen vernichtet würde. In einem Falle hat sich sogar der Postaushelfer Spenner in Büren zu einer weiteren Folgerung, nach welcher nun bald auch die christlichen Kirchen zerstört würden, herbeigelassen. Eine Anzeige ist der Staatspolizeistelle Bielefeld zugeleitet.
Wenn auch die Bevölkerung gewisse Schädigungen der deutschen Außenpolitik befürchtet, so sind doch im hiesigen Kreise lediglich nachteilige Wirkungen für das WHW zu befürchten, wie sich dieses bereits in einigen geleg. des letzten Eintopfsonntages gezeigt hat.