Bericht aus Bebra
Am 9. November 1938 verfasst die Polizei in Bebra folgenden Bericht:
Nach Bekanntwerden der näheren Umstände zu dem Attentat eines Juden auf einen Beamten der Deutschen Botschaft in Paris, durch den drahtlosen Nachrichtendienst am 7.11.38 gegen 22 Uhr, bemächtigte sich der Bevölkerung größte Erregung und Empörung gegen die Juden. Diese Erregung löste sich dahin aus [sic], daß eine aufs höchste erregte Menge durch die Straßen zog und die Fenster und Türen von jüdischen Häusern und Wohnungen zertrümmerten und das Innere der Synagoge zerstörten. Im Verlaufe Nacht bildeten sich wiederholt Trupps, die die Zerstörung fortsetzten. Ein Trupp, der sich gegen 3 Uhr gebildet hatte, zerstörte auch die Wohnungseinrichtungen der Judenwohnungen, hierbei ist es auch zu Diebstählen gekommen, soweit die erstatteten Anzeigen von Juden glaubhaft erscheinen. Bei den Zerstörungen wurden auch Grundstücke betroffen, die erst kürzlich in den Besitz von Ariern übergegangen waren. Die Zerstörungen wurden dann bis Tagesgrauen fortgesetzt.
Als bei Tagesgrauen Wahrnehmungen gemacht wurden, daß von den offenliegenden Warenbeständen gestohlen wurde, wurde polizeilich eingeschritten. Das Betreten der Judengrundstücke wurde durch Anschrift an die Häuser untersagt und es wurden Vorkehrungen getroffen, daß Plünderungen nicht mehr vorgenommen werden konnten. Am 8.11.38 gegen 10 Uhr war der polizeimäßige Zustand wiederhergestellt. Es kam wohl zu großen Ansammlungen vor den Judengrundstücken, doch hatten diese Ansammlungen keinen demonstrativen Charakter mehr, sondern bestand aus Neugierigen und aus Jugendlichen und Kindern. Kinder und Jugendliche, die sinnlos die offenliegenden Warenbestände vernichteten und verschleppten wurden aus den Häusern verwiesen und die Warenbestände wurden gesichert. Die hier ansässigen Juden verließen im Laufe des 8.11.38 den Ort.
Um Plünderungen in der folgenden Nacht zu verhüten, wurde durch Einsatz des verstärkten Polizeischutzes während der Nacht ein verstärkter Posten- und Streifendienst durchgeführt.
Im Verlaufe des 9.11.38 wurden die Zugänge zu den jüdischen Häusern notdürftig mit Brettern zugesperrt. Trotzdem wurde zur Verhütung von Diebstählen nochmals der verstärkte Polizeischutz eingesetzt.
Der entstandene Schaden ohne Synagoge wird auf 80.000-100.000 RM geschätzt.
Während der Demonstrationen gegen die Juden wurde nur Sachschaden verursacht, zu Mißhandlungen von Juden ist es in keinem Falle gekommen.
Am 13. November 1938 wird der Bericht um folgende Mitteilung ergänzt:
Nach Bekanntwerden des Ablebens des durch das jüdische Attentat verletzten Beamten der Deutschen Botschaft in Paris, bemächtigte sich am Mittwochabend erneut der Bevölkerung eine starke Erregung, die dazu führte, daß in der Nacht zum Donnerstag den 10.11.38 erneut zu judenfeindlichen Demonstrationen kam. Aus den Wohnungen der Juden wurden Möbel herausgeholt und auf dem Adolf-Hitler-Platz verbrannt. Zu Beginn dieser Demonstrationen wurden durch Pol. Hauptw. Iser der eingesetzte verstärkte Polizeischutz eingezogen. Diese Demonstrationen begannen gegen 2.30 Uhr und dauerten bis gegen 6 Uhr. Bei diesen Demonstrationen wurden wohl Wohnungseinrichtungen verbrannt, die großen Warenlager an Textilwaren blieben verschont.
Auf Veranlassung des Kreisleiters Braun wurde der Jude Hugo Oppenheim in Schutzhaft genommen, wurde aber gegen 10 Uhr wieder entlassen, da er nach Angabe des Arztes 50% kriegsbeschädigt und nicht arbeitsfähig war. Gegen 6.20 Uhr wurde vom Ortsgruppenleiter Spengler der Bildhauer Balduf eingegliedert, der auf der Straße liegendes Silberzeug, Eßbestecke an sich genommen hatte; er wurde ebenfalls später wieder entlassen. Gegen 8.30 Uhr wurde der Jude Klebe aus Fulda und der Jude Ludwig Levi aus Bebra in Schutzhaft genommen, die am nächsten Tag der Stapo Kassel zugeführt wurden.
Infolge der Vorkommnisse der Nacht waren sämtliche Judenhäuser wieder geöffnet und es wurde festgestellt, daß es wieder zu Plünderungen kommen konnte. Vom Ortsgruppenleiter Spengler wurden Parteigenossen in Uniform - Pol.-Leiter - zur Verfügung gestellt, die zur Verhütung von Plünderungen eingesetzt wurden. Ortsgruppenleiter Spengler übernahm selbst die Sicherung eines Grundstückes. Da die zur Verfügung stehenden Leute nicht ausreichten, wurden auch noch Leute des verstärkten Polizeischutzes hinzugezogen. Kreisleiter Braun und Ortsgruppenleiter Spengler wurden jedoch mit anderen Sachen in Anspruch genommen, sodaß die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung gegen 10 Uhr wieder von der Polizei übernommen wurde. Zur Verhütung weiterer Diebstähle ordnete der Polizeiverwalter Bürgermeister Schwichtenberg an, daß die offenliegenden Warenbestände sichergestellt wurden. Große Mengen an Stoffen und Textilwaren konnten in Verwahrung genommen werden und weitere Warenlager wurden in einzelnen Geschäften so gesichert, daß Diebstähle nicht mehr begangen werden konnten. Im Verlaufe des 12.11. wurden sämtliche Judenhäuser und Wohnungen erneut zugenagelt und versiegelt.
In der Nacht vom 11.-12.38 wurde zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung SS eingesetzt.
Der bisher festgestellte Schaden beläuft sich nach jetziger Schätzung auf etwa 200.000-250.000 RM. Der Wert der sichergestellten Warenbestände beläuft sich auf etwa 300.000 RM. Bei den Demonstrationen in der Nacht vom 9.-10.11.38 blieb es ebenfalls nur bei Sachbeschädigungen, Mißhandlungen erfolgten auch in diesem Falle nicht.
Zu vermeiden war es nicht, daß auch Diebstähle erfolgten, da unsaubere Elemente sich die günstige Gelegenheit zum Stehlen nicht entgehen lassen konnten. Zahlreiche Personen, die Diebstähle ausgeführt hatten, konnten bereits ermittelt und ihnen das Diebesgut wieder abgenommen werden. Weitere Ermittlungen werden angestellt. Hierbei wurde auch die Feststellung gemacht, daß die Diebstähle nicht nur von Personen aus den ärmsten Volkskreisen, sonder auch von Beamten der Reichsbahn ausgeführt wurden.
Folgende Grundstücke wurden bei Demonstrationen in Mitleidenschaft gezogen:
1. An der Bebra Nr. 1, Besitzer Klara Döllefeld, Jüdin.
2. Nürnbergerstraße 9, Besitzer Hugo Oppenheim und Gewehr, beide zur idiellen [sic] Hälfte. Oppenheim ist Jude, Gewehr ist Arier .
3. Nürnbergerstraße 17, Eigentümer Levi Oppenheim, Jude
4. Nürnbergerstraße 24, Eigentümer Walter Katz, Jude
5. Nürnbergerstraße 26, Eigentümer Manfred Emanuel, Jude
6. Nürnbergerstraße 28, Eigentümer Ww. Abraham, Jüdin
7. Nürnbergerstraße 34, Eigentümer Willi Oppenheim, Jude
8. Nürnbergerstraße 39, Eigentümer Ww. Apfel, Jüdin
9. Nürnbergerstraße 54, Eigentümer Wolf Levi, Jude
10. Nürnbergerstraße 58, Eigentümer [...] [Rothfels, Jüdin]
11. Pfarrstraße 2, Eigentümer Salomon Abraham, Jude
12. Pfarrstraße 9, Eigentümer jüdische Gemeinde (Judenschule)
13. Pfarrstraße 21, Eigentümer Oppenheim Ww., Jüdin
14. Lindenplatz 8, Eigentümer Joseph Abraham, Jude
15. Amalienstraße 2, Eigentümer Isaak Neuenhaus, Jude
16. Amalienstraße 4, Eigentümer jüdische Gemeinde (Synagoge
17. Amalienstraße 9, Eigentümer Gisch Ronshausen, arisch
18. Horst-Wessel-Straße 8, Eigentümer Baruch Emanuel, Jude
19. Hersfelderstr. 7, Eigentümer Manfred Emanuel, Jude
20. Apothekenstraße 10, Eigentümer Moses Levi, Jude.
Außer dem bisher wieder beigeschafften Diebesgut im Werte von mehreren 100 RM wurden von der Kreisleitung Gold- und Silbergegenstände in pol. Gewahrsam übergeben.