Bericht aus Speyer
Am 9. Dezember 1938 gibt der Pfälzer Regierungspräsident in Speyer folgenden Monatsbericht für November ab:
Allgemeines [...]
Die Bevölkerung war empört über den feigen Mord an dem Gesandtschaftsrat I. Kl. vom Rath in Paris und antwortete mit den in dem Bericht vom 30.11.1938 Nr. VS 233 gII bereits im einzelnen geschilderten Vergeltungsmaßnahmen (Niederlegung bezw. Niederbrennung der Synagogen , Zerstörung der jüdischen Geschäfte und teilweise auch der Wohnungen):
Die Bevölkerung, die schon vor der feigen Mordtat mit ganz wenigen Ausnahmen judenfeindlich eingestellt war, hat die gesetzlichen Maßnahmen der Reichsregierung, insbesondere die Auferlegung der Sühneleistung als gerecht empfunden und begrüßt. Dazu trugen viel bei die Veröffentlichungen über das in den Händen der Juden befindliche Vermögen.
Die Verbringung der Juden in das Konzentrationslager Dachau fand auch die Zustimmung der Allgemeinheit.
Bedauert wurde von mancher Seite hingegen, daß bei den Demonstrationen am 10.11.1938 auch mancher Wert zerstört wurde, der im Interesse der Losung ''Kampf dem Verderb'' und der Ersparung von Rohstoffen besser den ärmeren Volksschichten durch Vermittlung parteiamtlicher oder staatlicher Stellen hätten überlassen werden können. […]
Verfehlungen gegen das Heimtückegesetz [...]
Eine unbekannte Täterin hat in einer Metzgerei geäußert, daß jetzt die Synagogen brenne, wann denn einmal die Reichsleitung brenne. [...]
Katholische Kirche
In den überwiegend katholischen Orten Steinfeld und Kapsweyer (Bezirk Bergzabern) wurde der reichsgesetzlich geschützte Buß- und Bettag nicht gefeiert. [...]
Auch die Judenaktion wurde in den beiden Gemeinden nicht gebilligt und die Sühneleistung als ungerecht erachtet. [...]
Juden
Wegen der Judenaktionen wird auf den Sonderbericht vom 30.11.1938 Nr. s VS 233 gII verwiesen.
Im Nachgan hierzu werden noch nachträglich folgende Einzelheiten berichtet:
In den von Juden verseuchten Gemeinden Billigheim und Ingenheim (BA Bergzabern) mußten auch die weiblichen Juden abgeschoben werden, um Ausschreitungen der Bevölkerung hintanzuhalten.
In Grünstadt (BA Frankenthal) machte eine in Schutzhaft genommene Jüdin einen Selbstmordversuch mittels einer Schere, die sie für Flickarbeit verlangt hatte.
Aus den Wohnungen der Juden Fröhlich und Blum in Gauersheim (BA Kirchheimbolanden) wurden Mitte November von bis jetzt unbekannten Tätern unter erschwerenden Umständen Wäsche- und Kleidungsstücke in erheblichem Wert gestohlen. Die Siegel, mit denen die Wohnungen geschlossen waren, waren erbrochen. Zur Tat wurde auch ein Stemmeisen verwendet.
In der Nacht zum 14.11.1938 wurde in die Wohnung des Juden Rubel in Steinbach a. Dbg. (BA Rockenhausen) von Unbekannten ein Einbruch verübt. Die Täter entwendeten Wäsche und Kleidungsstücke.
In Börrstadt (BA Rockenhausen) wurden Möbelstücke, die ein Landwirt von einem Juden gekauft hatte, beschädigt. Die Täter wurden angezeigt.
In Kaiserslautern wurden ebenfalls Gelegenheitsdiebstähle anläßlich der Judenaktion festgestellt. Die Täter sind angezeigt. Die gestohlenen Gegenstände konnten zum Teil wieder beigebracht werden.
In Ludwigshafen a. Rhein erschien am 12.11.1938 ein junger Mann bei dem 72jährigen Juden Hochstädter und erpreßte 240 RM. Er gab sich als Beamter der Staatspolizei aus und erklärte, er müsse Hochstädter in Schutzhaft nehmen. Gegen eine Kaution wolle er aber davon absehen.
Am 13.11.1938 wurde ebendort unter ähnlichen Umständen von dem Juden Frank 500 RM erpreßt. Hier gab sich der Täter als SS -Mann aus, der Geld für die Partei beschlagnahmen müsse. Die Juden [N.N.a] in Landau i.d.Pf., [N.N.b] in Neustadt a.d.W. und die Jüdin [N.N.c] in Meckenheim (BA Neustadt a.d.W.) wurden zu empfindlichen Geldstrafen wegen Steuerhinterziehung verurteilt.
Der Jude [N.N.d] in Hettenleidlheim hat sich der Untreue, Unterschlagung und Urkundenfälschung gegenüber der DAF schuldig gemacht.
Die ins Ausland geflüchteten Juden, Dr. med. Josef Wolf und seine Mutter Anna Wolf, geb. Merzbach aus Ludwigshafen a. Rhein wurden durch die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal wegen Vergehen gegen die Devisenbestimmungen in Abwesenheit zu Zuchthaus- bezw. Gefängnisstrafen sowie Geldstrafen verurteilt. Das Vermögen der Devisenschieber wurde eingezogen.
Bei der Ehefrau des wegen umfangreicher Betrügereien im Gefängnis sitzenden Juden [N.N.e] von Landau i.d.Pf. wurde die Summe von 120.000 RM beschlagnahmt, die sie dem in Liquidation befindlichen Betrieb des Juden unberechtigter Weise entnommen hatte. Gegen die Ehefrau des [N.N.e] ist daher mit einem gerichtlichen Nachspiel zu rechnen.
Die Gauleitung der NSDAP hat eine saarpfälzische Vermögensverwertungsgesellschaft ins Leben gerufen, die die ordnungsgemäße Überleitung des Judenbesitzes in arische Hände als Aufgabe hat. Sie wird die Vermögenswerte übernehmen und ihre Gewinne für notwendige Aufgaben gesamtwirtschaftlicher Natur im Bereich des Gaues Saarpfalz zur Verfügung stellen.
Nach einer Berechnung in der ''NSZ-Rheinfront'' vom 24.11.1938 Nr. 275 soll das jüdische Vermögen in der Pfalz pro Familie durchschnittlich 60.000 RM betragen. [...]
Die Pfalz als Grenzland [...]
Die Gend.Station Neulauterburg (BA Germersheim) meldet, daß vor kurzem 19 Juden aus Wien am Bahnhof Berg angekommen seien, um zur Nachtzeit illegal die Reichsgrenze zu überschreiten. 13 Juden sind durchgekommen, der Rest wurde nach Deutschland zurückgeschoben. Die Durchgekommenen haben nun den übrigen von Paris aus mitgeteilt, daß der Grenzübergang bei Lauterburg günstig sei.