Zerstörungen in Atteln
Am 17. November 1938 erstattet der Bürgermeister von Atteln folgenden Bericht „Betr. Aktion gegen Juden am 10.11.1938“:
Die Fragen werden wie folgt beantwortet :
Zu 1: Die Synagoge in Haaren, die sich in dem Hause des Juden Otto Emmerich daselbst Nr. 97 befindet, ist vollständig zerstört worden. Die Inneneinrichtung ist zertrümmert und aus dem 1. Stockwerk durch das Fenster auf die Straße geworfen. Der Schaden beläuft sich auf ca. 50,- RM.
Zu 2: In Haaren sind 3 Geschäfte zerstört und zwar:
das Manufakturwarengeschäft des Leo Bachenheimer,
'' Kolonialwarengeschäft des Karl Cohn und
'' Putzgeschäft des Otto Emmerich.
Es handelt sich um die vollständige Zerstörung der Ladeneinrichtungen. Die Waren sind zum Teil zerschlagen, zertreten und zum größten Teil entwendet.
Schaden: läßt sich nicht feststellen.
Zu 3: Fremde Arbeiter und Angestellte wurden in den betreffenden Geschäften nicht beschäftigt.
Zu 4: Die Geschäfte können wegen der erfolgten Zerstörungen nicht weiterbetrieben werden. Im übrigen besteht auch nicht die Notwendigkeit hierzu, da derartige Geschäfte in arischer Hand genügend vorhanden sind.
Zu 5: An den Wohnhäusern des
Leo Bachenheimer, Haaren Nr. 42,
Karl Cahn, Nr. 152,
Otto Emmerich, Nr. 97,
Hermann Bähr, Nr. 210,
Jakob Rosenberg, Nr. 200,
Philipp Bähr, Etteln Nr. 120 und
Siegmund Reinhold, Husen Nr. 90
sind die Fensterscheiben, sowie Fenster, Fensterläden und Türen zertrümmert. In den Häusern sind die Treppen und Türen zum größten Teil ebenfalls zerstört.
Schaden: ca. 600,- RM.
Zu 6: Bei den unter Ziffer 5 aufgeführten Juden sowie bei Moritz Mosbach in Haaren Nr. 97 sind die Wohnungseinrichtungen größtenteils zerschlagen worden.
Schaden: ca. 3.500,- RM
Zu 7: Todesfälle, Verletzungen und Mißhandlungen von Juden sind nicht vorgekommen.
Zu 8: Das Manufakturwarengeschäft des Juden Bachenheimer ist zu 90% ausgeplündert. Der Schaden läßt sich garnicht [sic] übersehen, da er angeblich zu umfangreich ist. An Bargeld sind 1.500 bis 2.000,- RM gestohlen. Bei dem Kolonial- und Gemischtwarengeschäft des Karl Cahn sind in der Hauptsache nur Rauch- und Eisenwaren entwendet worden. Der Schaden beträgt etwa 1.000,- RM. Außerdem ist bei dem genannten Bargeld im Betrage von ca. 500,- RM sowie 2 Sparkassenbücher entwendet. Die Sperrung der letzteren ist unverzüglich veranlaßt. Erpressungen sind nicht vorgekommen.
Die Diebstähle und Plünderungen sind gelegentlich der Zerstörungen, die während der Nachtzeit ausgeführt sind, geschehen. Die Täter sind nicht erkannt worden, zumal es sich zum größten Teil um solche von auswärts handelt. So sind z.B. Manufakturwaren aus dem Geschäft des Bachenheimer mit einem Lastzug aus Essentho, dessen angeblicher Besitzer ein gewisser Hüwel ist, abtransportiert worden. Gleichzeitig soll der Revierförster Hermann Droste wohnhaft in Buke mit drei Personenwagen (mit dem Kennzeichen aus Lippe) mit entsprechender Besatzung in Haaren erschienen sein und sich an den Zerstörungen beteiligt haben. Die Insassen dieser Wagen sollen einen größeren Posten Manufakturwaren aus dem gleichen Geschäft mit den Wagen fortgeschafft haben.
Zu 9: Nur der Jude Bachenheimer war im Besitze einer Pistole. Es handelt sich um eine belgische FN.-Pistole Kal. 6,35 mm.
Zu 10: Archivmaterial ist nicht sichergestellt worden.
Zu 11: Bargeld, Bankguthaben, Wertgegenstände oder sonstige Sachen sind ebenfalls nicht sichergestellt.
Zu 12: Der Jude Karl Cahn in Haaren Nr. 152 ist bei der Aachen-Münchener-Versicherungs-Gesellschaft in Bielefeld mit einer Summe von 18.000,- RM gegen Diebstahl versichert. Versicherungsansprüche sind von ihm nicht gestellt, da bei ihm noch die Ungewißheit besteht, daß die Diebstähle derartiger Natur entschädigt werden.
Die Ehefrau Buchenheimer konnte über etwa bestehende Versicherungen keine Angaben machen.
Im übrigen bestehen folgende Versicherungen der Gebäude:
Bachenheimer, Haaren= 13.650 RM
Emmerich, = 17.200 ''
Rosenberg, = 13.300 ''
Reinhold,Husen = 7.500 ''
Dieselben sind sämtlich bei der Westf. Provinzial-Feuersozietät in Münster abgeschlossen.
Zu 13: Eine Notlage ist bei verschiedenen Familien vorhanden. Sie werden jedoch von den bessergestellten jüdischen Familien und Judenfreunden mit unterhalten, sodaß behördliche Maßnahmen bisher nicht erforderlich waren.
Zu 14: Besonders in den ersten Tagen nach Ausführung der Aktion hat sich die Bevölkerung rege mit der Maßnahme beschäftigt. Gegen die Verhaftung und den Abtransport der Juden hat sie nichts einzuwenden. Dies wird vielmehr von verschiedenen Kreisen begrüßt. Einzig und allein hat die Bevölkerung allgemein an den Zerstörungen Anstoß genommen. Man hört Stimmen laut werden, daß auf der einen Seite Rohstoffknappheit besteht, während auf der anderen Seite auf derartige Weise wertvolles Volksvermögen zerstört wird. Nach diesem Gesichtspunkt hat sich auch die am vergangenen Sonntag stattgefundene Eintopfsammlung des WHW ausgewirkt. So ist das Ergebnis beispielsweise in Haaren um 25% zurückgegangen. Auch in Etteln ist der vorhergehenden Eintopfsammlung gegenüber ein erheblicher Minderertrag erzielt worden. Dies ist nach Rücksprache mit den Bürgermeistern in Haaren und Etteln nur auf die Judenaktion zurückzuführen, zumal auch derartige Äußerungen bei der Eintopfsammlung gefallen sind.