Die Gestapo Bielefeld berichtet
Am 26. November 1938 erstattet die Gestapo Bielefeld folgenden Bericht über die „Protestaktion gegen Juden am 10.11.38“:
Im Stapobezirk Bielefeld wurden anläßlich der Protestaktion gegen Juden insgesamt 37 Synagogen zerstört. Davon wurden 19 Synagogen durch Feuer und 18 Synagogen auf andere Weise zerstört. Der Schaden beläuft sich auf etwa 450.000 RM.
An Geschäften und gewerblichen Räumen wurden zerstört insgesamt 192. Davon sind 5 durch Feuer und 97 auf andere Weise zerstört. Der Schaden beläuft sich auf etwa 420.000 RM. Arbeitslos wurden durch die Zerstörung der Gewerbebetriebe insgesamt 32 Beschäftigte, wovon bisher 3 wieder in Arbeit gebracht werden konnten. Der Rest kann in allernächster Zeit wieder anderweitig untergebracht werden.
Privathäuser sind zerstört oder beschädigt insgesamt 110. Davon sind 7 Häuser vollkommen abgebrannt. Die übrigen Häuser sind mehr oder weniger stark beschädigt. Die Wiederinstandsetzung der beschädigten Häuser ist in jedem Falle möglich. Der Schaden beträgt etwa 200.000 RM.
An Wohnungseinrichtungen wurden 47 vollständig zerstört. 57 Wohnungen wurden mehr oder weniger beschädigt. Der Gesamtschaden der zerstörten Wohnungen beträgt etwa 250.000 RM.
Bei der Aktion kamen 2 Personen ums Leben, und zwar
a) der Jude David Schlesinger, geb. am 20.11.1880 in Albaxen, wohnhaft in Albaxen Nr. 10. Schlesinger ist nach seiner Festnahme aus einem Kübelwagen der SA gesprungen und zog sich einen Schädelbruch zu, an dessen Folgen er gestorben ist,
b) die Jüdin Fräulein Julie Hirschfeld, geb. am 29.9.1856 in Horn i/L., wohnhaft in Horn i/L., Nordstr. 11. Die Hirschfeld ist kurzsichtig und ist auf Grund dessen die Treppe heruntergefallen. An den Folgen ist sie im Krankenhaus in Detmold gestorben.
5 Personen erhielten während der Aktion Verletzungen und zwar hat der Jude Paul Stern in Herzebrock einige Rippen gebrochen. Er befindet sich im Krankenhaus Herzebrock. Die übrigen 4 Personen sind leicht verletzt. Mißhandlungen sind nicht vorgekommen.
Auf 21 Stellen wurden im Zuge der Aktion in jüdischen Geschäften und Wohnungen Diebstähle verübt. Gestohlen wurden Waren und andere Sachwerte im Werte von ca. 60.000 RM. Außerdem wurden ca. 3.000 RM in bar entwendet. Die gestohlenen Gegenstände sind bisher zu einem geringen Teil herbeigeschafft. Die Ermittlungen dauern noch an.
An Waffen wurden bei der Aktion 13 Selbstladepistolen, 10 Trommelrevolver, 14 Jagdgewehre, 7 Tschwings und 6 Vogelbüchsen, sowie etwa 100 Schuß Munition zu den vorbezeichneten Schußwaffen, beschlagnahmt. An Seitenwaffen wurden 32 Säbel und Seitengewehre und 26 Dolche und Messer beschlagnahmt. Außerdem wurden eine kleinere Menge eigene Militärausrüstungsstücke beschlagnahmt.
In 17 Synagogen wurde Archivmaterial sichergestellt und dem SD zur Auswertung übergeben.
An Bargeld und Bankguthaben wurden ca. 9.000 RM sichergestellt. Die Rückgabe konnte bisher wegen Abwesenheit der Eigentümer nicht erfolgen.
Die Synagogen und andere Gebäude und gewerbliche Räume sind durchweg versichert. Wie hoch sich die Versicherungssumme im einzelnen und in der Gesamtsumme beläuft, kann z. Zt. noch nicht angegeben werden, da die Policeinhaber größtenteils festgenommen worden sind.
Im allgemeinen kann man von einer Notlage der jüdischen Familien nicht sprechen, in denen männliche Familienangehörige festgenommen worden sind. Einzelne Fälle sind jedoch bekannt geworden, wo die Familien sich in einer wirklichen Notlage befinden und die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen mußten.
Unter den von hier in das KZ -Lager Buchenwald eingelieferten 406 Juden sind bisher 4 Todesfälle zu verzeichnen. Auf Antrag von hier wurden bisher etwa 45 Juden aus dem Lager Buchenwald zu verzeichnen.
Alle Juden haben die feste Absicht auszuwandern. Sämtliche Juden, die Gewerbebetriebe haben, wollen arisieren oder liquidieren.
Die Aktion vom 10.11.1938 hat sich auf die Stimmung der Bevölkerung im allgemeinen recht ungünstig ausgewirkt. Die Zerstörung der Synagogen wird zwar nur von kirchlichen Kreisen, sowohl der evangelischen wie der katholischen Seite, mißbilligt. Ebenso hat das Zerschlagen der Fensterscheiben in jüdischen Geschäften und Privatwohnungen nicht allgemein Anstoß erregt. Offen kritisiert dagegen wird in allen Kreisen der Bevölkerung, vor allem aber in der Arbeiterschaft, die Vernichtung der Sachwerte, für die besonders der Arbeiter kein Verständnis hat. Es werden immer wieder Vergleiche gezogen zwischen den Sparmaßnahmen und Sammlungen von Abfällen und dergleichen im Rahmen des Vierjahresplanes und der mutwilligen Zerstörung von Vermögenswerten.
Da die Durchführung der Aktion in den Händen der Partei lag, was in der Bevölkerung selbstverständlich allgemein bekannt ist, hat das Ansehen der Bewegung auch dadurch gelitten, daß an vielen Stellen Jugendliche für die Durchführung der Aktion angesetzt waren. So ist in einer Reihe von Fällen beobachtet worden, daß schulpflichtige Kinder sich beim Einschlagen von Fensterscheiben und sogar Anlegen von Bränden und Zerstörung von Einrichtungsgegenständen und dergleichen beteiligten.
In diesem Zusammenhang wäre noch zu bemerken, daß die Art der Berichterstattung über den Verlauf der Aktion durch die Presse allgemein Anstoß erregt hat. Da, wie bereits erwähnt, die Bevölkerung in fast keinem Falle an der Aktion teilgenommen hat, wirkt die dauernde Behauptung der Presse, es handele sich um eine spontane Empörung des Volkes, geradezu lächerlich, zumal die Tatsache, daß die Aktion von oben organisiert war, infolge der im allgemeinen einheitlichen Durchführung der Aktion nicht zu verkennen war.
Dagegen haben die durch den Generalfeldmarschall Göring erlassenen Sühnegesetze in der Bevölkerung überall Anklang gefunden. Ebenso sind gegen die Inhaftnahme der Juden wenig Stimmen laut geworden.