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Chronik und Quellen
1938
Juli 1938

Bericht aus dem SD-Hauptamt

Im seinem „Monatslagebericht“ für Juli 1938 berichtet das Berliner SD-Hauptamt (II 112):

Die Lage der Juden in Deutschland wird bestimmt durch die in der Berichtszeit stattgefundenen Antisemitischen Boykottaktionen, durch gesetzliche Maßnahmen, die die Juden immer mehr ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland berauben, und durch den Ausgang der Konferenz in Evian , der die Aufmerksamkeit der jüdischen Bevölkerung auf sich lenkte und auf den so sehr große Hoffnungen und Erfolgswünsche gesetzt wurden.

Die Aktionen gegen jüdische Geschäfte, die im ganzen Reichsgebiet durchgeführt worden sind, haben in vielen Fällen die Arisierung der Geschäfte vorwärts getrieben. Um sich vor weiteren Maßnahmen seitens der Bevölkerung zu schützen, haben die jüdischen Geschäftsinhaber teilweise ihre Geschäfte von sich aus selbst gekennzeichnet. In anderen Fällen wurden sie zur Kennzeichnung ihrer Geschäfte durch polizeiliche Anordnung veranlaßt. So wurden z.B. für die Dauer des Turn- und Sportfestes in Breslau mit Genehmigung des Generalfeldmarschall Göring alle jüdischen Betriebe durch ein gelbes Plakat mit der Aufschrift ''Jüdischer Betrieb'' gekennzeichnet. Als Folge der Vermögensveranlagung wurden jüdische Betriebe, Wohnstätten usw. in erhöhtem Maße zum Verkauf angeboten, da die Juden befürchteten, entweder enteignet zu werden oder eines Tages ihr Vermögen zu Schleuderpreisen abgeben zu müssen.

Durch obenerwähnte und durch staatspolizeiliche Maßnahmen hat der Auswanderungsgedanke und der Wille zur Auswanderung eine starke Förderung erfahren. Die Zahl der Auswanderungsanträge ist wieder etwas stärker geworden, wobei in der Hauptsache kapitalkräftigere Kreise des Judentums am stärksten beteiligt sind. Als Auswanderungsländer sind vornehmlich die Vereinigten Staaten von Amerika, Argentinien und das übrige Südamerika gewählt worden.

Die neue Lage der Rechtsverhältnisse der jüdischen Gemeinden hat gezeigt, daß die finanzielle Grundlage der jüdischen Kultusgemeinden ins Schwanken gekommen ist und für die Unterstützung auswanderungswilliger ärmerer Juden keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Um diesem entgegenzutreten, hat sich die Judenheit in Deutschland am 27. Juli 1938 zur Organisierung der gesamten Judenheit in Deutschland und aller Kräfte für die Auswanderung den ''Reichsverband der Juden in Deutschland '' geschaffen, in dessen Rahmen die einzelnen Kultusvereinigungen eingegliedert werden. Der vorgeschlagene Satzungsentwurf wird einer Prüfung unterzogen. Es soll versucht werden, die durch Erlaß des Gesetzes zur Änderung der Rechtsverhältnisse der jüdischen Gemeinden entstandenen Schwierigkeiten wesentlich zu beheben.

Mit großer Spannung wurde von der Judenschaft in Deutschland die vom 6.7.-15.7. in Evian tagende internationale Konferenz der Regierungsvertreter von 32 Staaten verfolgt. Das Problem der Unterbringung von Juden aus dem Gebiete des großdeutschen Reiches in andere Staaten hat diese Vertreter eine Woche lang beschäftigt, wobei es, wie zu erwarten war, zu einem Ergebnis, daß die Lösung der Wanderungsfrage der Juden erleichtern würde, nicht geführt hat. In der gefaßten ersten Resolution heißt es, daß ein Intergouvernementales Komitee mit dem Sitz in London gebildet wird, das die Arbeit fortzuführen hat. Die Arbeit dieses Komitees beginnt am 3.8.38. Die meisten Punkte der Entschließungen in Evian sind theoretischer Art. Es ist allerdings bemerkenswert, daß in Punkt 5 der ersten Resolution ausdrücklich festgestellt wird, daß die im Intergouvernementalen Komitee vertretenen Regierungen der Mitarbeit des Herkunftslandes der Emigranten bedürfen, ''wobei wir überzeugt sind'', heißt es wörtlich, ''daß dieses seinen Beitrag leisten wird, indem es den unfreiwilligen Auswanderern gestattet ihr Eigentum und ihre Besitztümer mitzunehmen und in geordneter Weise auszuwandern''.

Die Zukunft der bisher betriebenen Auswanderungspolitik wird daher in sehr starkem Maße von den Bestimmungen des Intergouvernementalen Komitees abhängen.

Unter dem Druck der augenblicklichen Verhältnisse hat das jüdisch-politische Leben sehr stark abgenommen. Das zeigt sich besonders in der geringen Zahl der stattgefundenen Veranstaltungen und Versammlungen.

Die Zurückdrängung der Juden auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist durch neue Reichsgesetze wieder um einen Schritt weitergekommen. Mit Reichsgesetz vom 6. Juli 1938 wurden einige Änderungen in der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vorgenommen. Danach ist Juden und jüdischen Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit der Betrieb nachfolgender Gewerbe untersagt: Des Bewachungsgewerbes, der gewerblichen Auskunftserteilung über Vermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten, des Handels mit Grundstücken, der Geschäfte gewerbsmäßiger Vermittlungsagenten für Immobiliarverträge und Darlehen, sowie des Gewerbes der Haus- und Grundstücksverwalter, der gewarbsmäßigen Heiratsvermittlung und des Fremdenführergewerbes. Auch der Wandergewerbeschein ist zu versagen, wenn der Nachsuchende Jude ist.

Durch Verordnung vom 26. Juli 38 ist als allgemeiner polizeilicher Inlandsausweis eine Kennkarte eingeführt worden. Danach haben Juden im Sinne des Reichsbürgergesetzes, die deutsche Staatsangehörige sind, bis zum 31. Dezember 1938 bei der zuständigen Polizeibehörde die Ausstellung einer Kennkarte zu beantragen. Es ist dadurch erstmalig die Möglichkeit gegeben, die Zahl der Juden im Sinne des Gesetzes festzustellen.

Die Ausschaltung der Juden aus der Ärzteschaft wird durch eine neue Verordnung im Reichsbürgergesetz angeordnet. Mit dem 30. Sept. 1938 erlöschen die Bestallungen der jüdischen Ärzte . In Deutschland wird von nun an kein jüdischer Arzt mehr einen deutschblütigdn Menschen behandeln dürfen.

Nach einer Anordnung des Reichsministeriums des Innern sind sämtliche nach Juden und jüdischen Mischlingen ersten Grades benannte Straßen oder Straßenteile umzubenennen.

Um Tarnungen von jüdischen Gewerbebetrieben gänzlich auszuschließen, hat der Reichsminister des Innern einen Runderlaß zur praktischen Durchführung der Anlage von Listen jüdischer Gewerbebetriebe entworfen. Danach wird festgestellt, welcher Betrieb als jüdisch anzusehen ist.

Erwähnenswert ist noch eine Ergänzung des Reichsministers des Innern zu seinen Richtlinien über die Regelung des Besuchs ausländischer jüdischer Kurgäste in Bädern und Kurorten . Es wird darin festgestellt, daß die Regelung grundsätzlich von dem Träger der Kureinrichtungen zu treffen ist. [...]

 

Danzig

ie Lage auf dem Gebiet des Judentums in Danzig11 ist in der Berichtszeit keinen wesentlichen Änderungen unterworfen gewesen. Die Tendenz einer langsamen Abwanderung und einer wirtschaftlichen Verlagerung hielt an. Ebenso wie im Reichsgebiet hält die Arisierung jüdischer Geschäfte weiter an. Der größte Teil der ausscheidenden Juden bereitet seinen Abgang sorgfältig durch Verschleuderung des Warenlagers und durch Steuerhinterziehung vor. So bearbeitet die Steuerfahndungsstelle des Danziger Finanzamtes z.Zt. allein 600 dieser Fälle, in die zu etwa 90% Juden verwickelt sind.

Die von Seiten der NSDAP in Zoppot durchgeführten antijüdischen Maßnahmen haben zur Folge gehabt, daß die Juden dieses Ostseebad in der Berichtszeit nicht so zahlreich aufgesucht haben wie bisher. [...]

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