Menü
Chronik und Quellen
1938
Mai 1938

Bericht aus Alzenau

Am 30. Mai 1938 erstattet die Gendarmerie ihren Monatsbericht für Mai:

In politischer Hinsicht ist im Monat Mai folgendes vorgekommen: ''Am Sonntag den 1. Mai, nationaler Feiertag des deutschen Volkes in der Zeit zwischen 21.00 und 22.00 Uhr zog von der Wirtschaft Ludorf in Alzenau aus, wo Maitanz stattfand, eine Menschenmenge von etwa 100 Personen vor das in der Wasserloserstr. in Lazenau stehende Manufakturwarengeschäft des Juden Hugo Hamburger und schrie: ''Raus muß der Jud der Stinker, der Schänder des nationalen Feiertages''. Der Grund hiezu war der, weil sich an diesem Tage gegen 21.00 zwei Frauen von Wasserlos in das Geschäft des Hamburger begeben und eine davon ein Nachthemd für ihren Sohn gekauft hatte, was von Volksgenossen beobachtet wurde. Die Gendarmerie erhielt von diesem Vorfall Kenntnis und nahm den Juden Hugo Hamburger und dessen Ehefrau im Auftrage des Bezirksamt, das vorher verständigt wurde, in Polizeihaft. Nach der Festnahme der Eheleute Hamburger entfernte sich die Menschenmenge und trat wieder Ruhe ein. [...]

Am Montag den 2. Mai 1938 gegen 22.00 Uhr wurde die hiesige Station von einem gewissen Rosenberger fernmündlich benachrichtigt, daß vor dem Manufakturwarengeschäft des Juden Simon Oppenheimer in der Hanauerstr. in Alzenau eine Menschenmenge sich angesammelt habe und ständig rufe: ''Raus muß er der Jud, der Stinkjud usw.''. Auf diese Benachrichtigung hin begaben sich die drei Beamten der Station zu dem Geschäftshaus des Juden Oppenheimer und trafen diese dort auf der Straße eine Menschenmenge von etwa 50 Personen an, deren Rufe: ''Raus muß er der Stinkjud usw. schon von weitem zu hören war. Als die Gendarmerie eintraf verhielt sich die Menschenmenge zunächst etwas ruhig, fing aber gleich wieder zu rufen an: ''Raus muß er der Jud usw. Auf Befragen aus wessen Grund wurde der Gendarmerie mitgeteilt, daß Oppenheimer einer Frau Schilling von Alzenau, die vor einigen Jahren bei ihm Waren gekauft und diese noch nicht ganz bezahlt mit Pfändung gedroht habe. Nachdem sich die Menschenmenge, obwohl sie auf den rechtlichen Standpunkt aufmerksam gemacht wurde nicht beruhigen wollte, wurde das Bezirksamt von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt und erging von diesem der Auftrag den Oppenheimer in Polizeihaft zu nehmen, was denn auch geschah. Nachdem Oppenheimer abgeführt war, beruhigte sich die Menschenmenge und ging auseinander. Über diesen Vorfall wurde dem Bezirksamte in dreifacher Fertigung ausführlicher Bericht vorgelegt.

In der darauffolgenden Woche wurden zur Nachtzeit alle jüdischen Geschäftshäuser in Alzenau an verschiedenen Stellen auf der Seite gegen die Straße zu in weißer und zum Teil roter Farbe mit dem Worte ''Jud'' beschmiert. Wer diese Häuserbeschmierung vorgenommen hat, konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden. Bei einem Teil der Bevölkerung in Alzenau hat die Beschmierung der jüdischen Geschäftshäuser, die alle an der Verkehrsstraße liegen, einen gewissen Unwillen hervorgerufen. Sonst ist in politischer Hinsicht nichts vorgefallen.

Die allgemeine Volksstimmung kann als gut bezeichnet werden.

Baum wird geladen...