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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Bericht aus Berlin

Am 7. Januar 1939 berichtet der Berliner Stadtpräsident über das letzte Vierteljahr 1938:

Die aufgeregten Wochen nach den neuen Judenverordnungen vom November 1938 ließen vielleicht auch als Folge der Septemberkrise deutlich eine Vergröberung der Geschäftsmethoden erkennen. Nicht nur im Einzelhandel bei dem Kampf der Bewerber um die jüdischen Einzelhandelsgeschäfte, sondern auch allgemein besteht der Eindruck einer sich immer mehr verstärkenden rücksichtslosen Ausnutzung von Machtpositionen. [...] Die Interventionen aufgrund flüchtigster angeblicher Bekanntschaft mit Männern in einflußreicher Stellung, über die Parteistellen schon im September 1938 bei dem Beginn der Arisierung klagten, nehmen zu. Jede Gruppe hat ihren Favoriten, dem sie beispielsweise den Betrieb, der gerade zur Arisierung heransteht, zuschanzen möchte. [...]

Überhaupt beginnen so durchgreifende Aktionen, wie sie mit der Verordnung über die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 eingeleitet wurden, in der unteren Instanz der Durchführungsbehörden sehr leicht zu ''schwimmen''. Es werden schon mit der ersten Zeitungsnotiz oder der ersten Verlautbarung einer maßgebenden Persönlichkeit im Rundfunk Kräfte aktiviert, die für die Durchführung solcher Maßnahmen ihre Zuständigkeit bestenfalls sich selbst zusprechen, während sie in Wirklichkeit höchstens beratend beteiligt sind. So ergeben sich dann die ungesetzlichen Einsetzungen privater ''Kommissare'', die Erteilung umfangreicher Vollmachten an sie durch jüdische Betriebsinhaber, die möglichst schnell den Betrieb abstoßen möchten, (weil sie sich daraus den größten Vorteil erhoffen), Versuche zu notarieller Übertragung von Grundstücken aufgrund solcher Vollmachten usf. Dies läßt sich verhindern, wenn die Durchführungsvorschriften möglichst gleichzeitig mit der grundlegenden Vorschrift erscheint. Das unkontrollierbare Wirken solcher Kräfte abzufangen, war die Hauptaufgabe meines Amtes im Rahmen der Arisierung im Einzelhandel.

Eigenmächtige Gesetzesauslegung

So habe ich im Zusammenhang mit der Arisierung auch beobachtet, daß gesetzliche Vorschriften und Verordnungen im Wege ziemlich eigenmächtiger Auslegung durch der Partei angeschlossene Verbände, aber auch durch behördliche Stellen, ergänzt wurden. So wurde ein Betrieb im Rahmen der Aufstellung des Verzeichnisses jüdischer Betriebe immer schon dann für jüdisch erklärt, wenn die arische Inhaberin mit einem Juden verheiratet war, obwohl eine solche Regelung nach den Vorschriften für die Aufstellung dieses Verzeichnisses nirgends grundsätzlich vorgesehen ist, sondern die Entscheidung nach dem Erlaß des Innenministers vom 14.7.1938 sich nach der Sachlage im Einzelfall und danach richten soll, ob der jüdische Ehegatte einen beherrschenden Einfluß auf den Gewerbebetrieb ausübt. Die andere Regelung war unter Umständen sogar absichtlich vermieden worden. Fortentwicklung gesetzlicher Vorschriften aufgrund fortschreitender Läuterung des Rechtsempfindens innerhalb der Volksgemeinschaft ist sicherlich eine Ergänzung der Gesetzgebung, die nicht unterschätzt werden darf. Gefährlich wird es nur - wenn sich auf diesem Gebiet - fern vom Gesetzgeber und ohne Kenntnis seiner Motive - die verschiedene Stärke und Durchschlagskraft der beteiligten Organisationen und der staatlichen und nichtstaatlichen Dienststellen auszutoben beginnt. Dies geschah, als für Juden das Verbot erging, fremde Häuser zu verwalten. Es wurde ein Druck dahin ausgeübt, daß Juden auch für ihre eigenen Häuser deutsche Verwalter zwischenschalten sollten; - ein grundsätzlich gewiß erstrebenswertes Ziel, welches aber in der Gesetzgebung (Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 6. Juli 1938 - RGBl . I S. 823 -) eben noch nicht seinen Niederschlag gefunden hatte. So kam es zu Schreiben, in denen gesagt worden war, es sei für das jüdische Haus ein Verwalter bestimmt worden, und der Eigentümer habe sich ''zur Übernahme der Verwaltung'' bei der Dienststelle einzufinden, auch solle er etwa bereits anderweit eingesetzte Verwalter mitbringen. Für sein Ausbleiben wurden ihm ''Weiterungen'' angedroht. Nachträglich wurden dann solche Maßnahmen damit erklärt, man habe sich ''in den Krisentagen des November genötigt gesehen, verschiedene jüdische Verwaltungen zu beobachten''. Außerdem sei dies Verfahren gerechtfertigt, weil ja auch eine andere Dienststelle ihrerseits den Auftrag erteilt habe, dasselbe Grundstück ''einer Aufsicht zu unterstellen''. Dies war der Weg, auf dem durch das gleichzeitige Tätigwerden zweier Verbände mehrere Vertreter ohne Vertretungsmacht auftraten und unter Umständen auch die Miete einzuziehen suchten.

An unerfreulichen Erscheinungen ist noch das Wirken der sogenannten ''LEGA'' zu nennen, einer Gesellschaft, die sich in Arisierungen in der Lederwarenbranche hineinzudrängen verstanden hat. (LEGA: Gesellschaft zur Förderung des arischen Leder- und Galanteriewaren-Einzelhandels mbH). Ich werde bei dieser höchst unklaren Gründung aufgrund des Geheimerlasses des Herrn Ministerpräsidenten vom 10. Dezember 1938 gegen ungesetzliche Arisierungsgewinne prüfen, inwieweit unberechtigte Gewinne dem Reich verfallen sind. Von kundiger Seite wurde mir zu dem Wirken der LEGA noch berichtet, sie habe vielfach ein Doppelspiel betrieben. Sie habe von Bewerbern um jüdische Betriebe eine ''Gebühr'' sich zahlen lassen, habe es dann aber so zu drehen verstanden, daß der Jude dann doch mit einem zweiten Bewerber abschloß. Wo die LEGA auftauchte, wurden Arisierungsverträge stets dadurch höchst unübersichtlich, daß anstatt Einzelheiten des Arisierungsverfahrens offenzulegen, nur einfach die LEGA als mit der Arisierung betraut genannt wurde.

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