Deportation aus Köln nach Minsk
Es sind vier Postkarten überliefert, die kurz vor oder während der Fahrt geschrieben wurden. Oscar Hoffmann schrieb am 19. Juli aus der Messe an die Troisdorfer Familie Bernauer:
„Wir sind hier zu 1.200 Personen in der Messehalle. Unser Transport geht morgen, Montag, 15 Uhr ab, wie es heißt nach Minsk in der Südukraine, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten. Es gibt in Russland zwei verschiedene Orte Minsk. Wir alle sind guten Mutes.“ Meta und Erich Klinbansky schrieben während der Fahrt am 21. Juli auf einer am gleichen Tag in Berlin abgestempelten Karte an Familie Jakoby in Köln: „Unsere Gedanken gehen zurück ins Vergangene - und da drängt es mich, Ihnen Beiden von Herzen zu danken für alle Hilfe, die Sie uns geleistet haben. Ist es ein Zufall, daß die Fam. Jakoby die erste war, die ich privat an Menschen in Köln kennen lernte, und dass Sie auch die letzten waren, die uns so Freunde geblieben sind? Lassen Sie mich von Ihnen Abschied nehmen mit dem innigen Wunsch für Ihr Wohlergehen, bleiben Sie drei verschont vor Leid und Schwerem. Vielleicht sehen wir uns eines Tages mal wieder.“
Am 24. Juli 1942 schließlich schrieb Oscar Hoffmann, mittlerweile in Minsk angekommen, eine weitere, am 28. Juli in Hannover [!] abgestempelte Karte an Familie Bernauer:
„Familie Bernauer!
Nach 87-stündiger Fahrt sind wir gesund, munter u. guten Mutes hier in Minsk angekommen. In Wolhonye [gemeint ist Wolkowysk] sind wir aus unserem Kölner Zug in Viehwagen verladen worden. Wie es heisst, sollen wir gleich samt unserem Gepäck den Bahnhof verlassen, um in unser Lager eingewiesen zu werden. Man vermutet, dass wir in der näheren Umgegend v. Minsk bei Bauern in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Ob wir für längere Zeit hier bleiben, ist noch ungewiss. Die Fahrt als solche war für mich ein grosses Erlebnis. Die Landschaft als solche war fast überall gleich. Nur die grösseren Städte wie Landsberg, Bromberg, Thorn, Warschau, Baranowitschi boten Abwechslung. Diese grossen Städte sind aber hier in Russland sehr weit voneinander entfernt. Zwischendurch sieht man fast nur kleine Dörfer mit hölzernen, strohgedeckten Häusern. Merkwürdigerweise hat fast jedes kleinste Dorf seine Kirche, von denen die meisten mit grossem Aufwand und künstlerischen Mitteln erbaut worden sind. Oft sieht [man] villenartige Häuser aus Holz u. Stein gebaut, die einen sehr feinen Eindruck machen.
Die Behandlung während der Fahrt von Seiten des Begleitpersonals war hervorragend, mangelnder war m[einer] A[nsicht nach] die schlechte Schlafgelegenheit im Zuge. In Personenwagen (Kölner Zug) waren wir zu 8 in Waggons eingeteilt. Nachdem wir in Wolhonye [Wolkowysk] umgeladen worden sind, lagen wir samt unserem Gepäck zu ca. 50 Menschen in einem Wagen. Unser mitgenommener Proviant ist bis jetzt noch nicht aufgegangen. Wie ich gerade höre, besteht eine gewisse Möglichkeit, dass wir in den hiesigen Betrieben in unseren Berufen arbeiten können. Wenn es Ihnen möglich ist, senden Sie mir bitte mein Zeugnis, da dies von Wert sein soll.“
Diese Karte wurde von einem Beamten unseres Begleitpersonals in Köln aufgegeben. Bleiben Sie gesund und seien Sie herzlich gegrüsst von Ihrem Oscar.“
Karl Loewenstein berichtete später über das Procedere am Bahnhof in Minsk:
„Sobald ein neuer Transportzug eingelaufen war, konnten die Insassen ihn ruhig und ungestört verlassen. Zu ihrer größten Verwunderung wurden sie weder angeschrien noch gehetzt. Dann wurden sie mit Lastkraftwagen zu einer etwa 14 Kilometer entfernten Wiese gefahren, wo verhältnismäßig gut aussehende „Wohnwagen" bereitstanden. Sobald alle Transportteilnehmer versammelt waren, hielt ein SS-Offizier eine Ansprache, die etwa folgenden Wortlaut hatte: ‚Ihr seid hierher gebracht worden, weil wir zu Euch mehr Vertrauen haben als zu den Russen. Ihr werdet auf unsere SS-Güter gefahren, um dort zu arbeiten. Ihr verbleibt dort bis zum Kriegsende, dann werden wir weitersehen. Ihr könnt unbesorgt sein, es geschieht Euch nichts. Ihr habt nichts zu befürchten. Sind Spezialarbeiter unter Euch, insbesondere Radiotechniker? - die benötigen wir hier.‘ Dann wurden junge, kräftig aussehende Männer ausgesucht und beiseite gestellt - insgesamt vierzig Männer von tausend Männern, Frauen und Kindern, vierzig von tausend! Die übrigen mussten die Lastwagen besteigen.“
Über den wahrscheinlichen weiteren Verlauf wissen wir von Hans Münz, der allerdings erst im Herbst 1942 nach Trostenez kam. Er berichtete 1992 in einem Interview:
„Da stand ein Koffer bereit, in den sollten wir alle Wertsachen werfen. Neben diesem Koffer lag ein wohl gerade erschossenes Mädchen, das noch aus seiner Kopfwunde blutete. Es war offensichtlich tot. Aber niemand verlor ein Wort darüber. Es war so, als ob das alles so sein müsse, es ging ruhig und selbstverständlich zu. Aber jeder, der das sah, wusste, dass hier nicht gespaßt wurde, und so warf man auch seine allerletzten Habseligkeiten in diesen Koffer.“