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Chronik und Quellen
1941
November 1941

Schwierigkeiten bei der Emigration

Vermutlich die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Berlin gibt Anfang November 1941 folgenden Bericht über "Die Schwierigkeiten der Auswanderung und ihre Überwindung seit Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung bis Ende Oktober 1941" ab:

Die Schwierigkeiten der Auswanderung und ihre Überwindung seit Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung bis Ende Oktober 1941

I. Von der Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Berlin, bis zum Kriegsausbruch.

II. Nach Kriegsausbruch.
   a)   Vom Kriegsausbruch bis Mai 1940
   b)   von Mai 1940 bis Oktober 1940
   c)   von November 1940 bis Oktober 1941

Anlage

Übersicht über die Sondertransporte jüdischer Auswanderer nach Spanien und Portugal.

 

Von der Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Berlin, bis zum Kriegsausbruch.

Mit Ende des Jahres 1938 setzte eine erhöhte Auswanderung der Juden ein. Hierdurch wurden die für die Passerteilung zuständigen Behörden mit Arbeit überlastet, sodass die Erteilung von Pässen nur sehr schleppend vorwärts ging.

Erst mit Gründung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Berlin wurde diese Schwierigkeit beseitigt, was wiederum einen glatteren Ablauf der Auswanderung zur Folge hatte.

Dies kommt auch in den Auswanderungsziffern der folgenden Monate zum Ausdruck, denn in der Zeit vom März bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges. d. h. bis August 1939, wanderten durchweg 9-10.000 Personen monatlich aus.

Ein grosser Teil dieser Auswanderer ging nach Shanghai. Da aber durch die grosse Nachfrage nach Passagen dorthin eine erhebliche Verknappung des Schiffsraums eintrat, konnte ein grosser Teil der Auswanderer, die an sich bereit waren, nach Shanghai auszuwandern, dorthin nicht gelangen.

Der grösste Teil der Auswanderer ging aber in dieser Zeit nach England und anderen europäischen Ländern, nicht um dort für dauernd zu bleiben, sondern unter Benutzung als Zwischenland, um dort ihre Weiterwanderung abzuwarten. Hierunter befanden sich eine grosse Anzahl von allein auswandernden Kindern.

Die Weiterwanderung aller dieser Personen aus diesen Zwischenländern erfolgte in der Hauptsache nach U.S.A. Es handelte sich hierbei um solche Personen, die für USA zwar registriert waren, deren Wartenummer aber noch nicht an der Reihe war.

Die Auswanderung nach USA nahm ihren normalen weiteren Verlauf und ermöglichte denjenigen Personen, die bereits früher registriert waren, die Auswanderung dorthin. Das Vorrücken der Warteliste ging allerdings deswegen verhältnismässig langsam vor sich, weil eine sehr grosse Anzahl von Quotennummern von Auswanderern aus der Ostmark verbracht war.

Nach Kriegsausbruch.

Mit Ausbruch des Krieges wurde zunächst die Auswanderung unterbrochen.

Die Gründe hierfür waren:

1.) Das Aufhören der Zwischenwanderung nach den europäischen Ländern, insbesondere nach
     England;

2.) Der Fortfall der deutschen Dampferverbindungen,

3.) Die Notwendigkeit, die Passagen auf ausländischen Dampfern in Devisen zu zahlen.

Trotz dieser drei Faktoren gelang es in der Folgezeit, die Auswanderung - wenn auch in geringerem Umfang als vor Kriegsausbruch, - wieder in Gang zu bringen. - Dies gilt zunächst für die Zeit bis

 

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bis zur Besetzung Norwegens, Hollands und Belgiens bezw. bis zum Eintritt Italiens in den Krieg, also bis Mai 1940.

Nachdem es den Bemühungen der Abteilung Wanderung gelungen war, beim Joint die Zusage zu erreichen, dass er die notwendigen Devisen für Passagezwecke zur Verfügung stellt, konnte bereits während der ersten Kriegsmonate eine grössere Anzahl von Auswanderern mit italienischen Dampfern auf den Weg gebracht werden.

Grade nach Südamerika vergrösserte sich dann in den kommenden Monaten die Auswanderung, insbesondere nach Bolivien und Chile.

Durch Erlass neuer Einwanderungsbestimmungen in diesen beiden südamerikanischen Ländern wurde am Ende des Jahre 1939 die Auswanderung dorthin fast völlig gedrosselt. Inzwischen war es aber gelungen, die Auswanderung nach Shanghai von neuem zu ermöglichen; denn während bis kurz vor Ausbruch des Krieges die Einreise nach Shanghai ohne Erfüllung irgendwelcher Bedingungen möglich war, verlangte die Shanghaier Stadtverwaltung von Mitte August 1939 ab entweder den Nachweis eines Vorzeigegeldes von $ 400.- pro Person, oder eine ausdrückliche schriftliche Einreisegenehmigung der Stadtverwaltung, die für nächste Verwandte in Shanghai bereits ansässiger Personen erteilt wurde. Diese Bedingungen konnten erst nach und nach von den einzelnen Auswanderern erfüllt werden, sodass erst Anfang des Jahres 1940 wieder die Auswanderung nach Shanghai einsetzen konnte.

In dieser Zeit war ziffernmässig am bedeutsamsten die Auswanderung nach USA, die gegenüber der Zeit vor Kriegsausbruch unverändert weiterging, zumal für Passagezwecke die Dampfer der nordischen, holländischen, belgischen und italienischen bezw. amerikanischen Linien zur Verfügung standen.

B. Mit der Besetzung Norwegens, Hollands und Belgiens wurde diese Entwicklung unterbrochen. Gleichzeitig fiel auch der Weg über Italien weg, da bereits mehrere Wochen vor Eintritt Italiens in den Krieg Durchreisevisa nicht mehr erteilt wurden.

Durch alle diese Ereignisse war zunächst die Auswanderung von den bisherigen Abfahrtshäfen abgeschnitten. Es musste daher nach einer neuen Möglichkeit, einen Abfahrtshafen für die Auswanderer zu erreichen, gesucht werden. Da gelang es den Bemühungen der Abteilung Wanderung den Weg für die Überseewanderer nach japanischen Häfen und den Landweg nach Shanghai unter Benutzung der Transsibirischen Bahn quer durch Sovjetrussland zu ebnen. Dadurch war der Fortgang der Auswanderung gesichert. Man brauchte für die Benutzung dieses Weges ausser dem Zielvisum ein mandschurisches, japanisches und russisches Transitvisum, die zunächst ohne jede Schwierigkeiten bei Nachweis des Zielvisums bezw. der Einreiseerlaubnis für Shanghai erteilt wurden. Deshalb konnte auch bereits in der zweiten Hälfte des Monats Juni 1940 eine grössere Anzahl von Auswanderern erstmalig auf diesem Wege zur Auswanderung gebracht werden.

Dieser Weg konnte aber die Bedürfnisse der Auswanderung nicht befriedigen, denn, da die Transsibirische Eisenbahn nur zweimal wöchentlich verkehrte und in jedem Zug nur eine beschränkte Anzahl von Plätzen zur Verfügung stand, konnte dementsprechend nur jedes Mal eine beschränkte Anzahl von Personen auf den Weg nach Japan

 

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Japan gebracht werden. Es kam hinzu, dass für die Fahrt ab japanischen Häfen nur die Dampfer der japanischen und eine einzige amerikanische Linie zur Verfügung standen. D[...] unter normalen Verhältnissen der Passagierverkehr zwischen Japan und Amerika recht beträchtlich war, standen für die Auswanderung auf den Dampfern dieser Linie Passagen nur in beschränktem Umfange zur Verfügung. Da aber die Einwanderungsvisen für USA nur eine Gültigkeitsdauer von 4 Monaten haben, dagegen die Einwanderungsvisen für [..]nische Länder im allgemeinen eine Gültigkeitsdauer von [..] mussten die auf der Transsibirischen Eisenbahn und [..] verfügbaren Plätze zunächst für die Auswanderer nach [..] Verwendung finden. Aus diesen Gründen wurden auf dem Weg über Osten vor allem die Auswanderer nach USA befördert.

Hinzu kam noch, dass in der Folgezeit erhebliche Schwierigkeiten für die Benutzung des Eisenbahnweges nach dem Fernen Osten [..]. Zunächst verlangte Ende August 1940 die mandschurische Regierung die Hinterlegung eines Depots an der mandschurisch-russischen Grenze für denen Durchreisenden als Voraussetzung für die Erteilung des mandschurischen Transitvisums. Auf die Bemühungen der Abteilung Wanderung ist es durch das Entgegenkommen des Joint, der die hierfür notwendigen Devisen bereitstellte und in Zusammenarbeit mit der jüdischen Hilfsorganisation in Harbin gelungen, diese Schwierigkeit zu überwinden. Für jeden einzelnen Durchwanderer wurde in Zukunft das verlangte Depot gestellt und dadurch die Weitererteilung mandschurischer Transitvisen gesichert.

Eine neue Schwierigkeit trat aber im Oktober 1940 hinzu, als auch die Erteilung japanischer Transitvisen von der Hinterlegung eines weiteren Depots von je $ 100.- pro Person im japanisch-mandschurischen Grenzort als Voraussetzung der Erteilung des Transitvisums verlangt wurde. Die Durchführung dieses Verlangens der japansichen Behörde scheiterte aber daran, dass die Hinterlegung in diesem Grenzort praktisch nicht durchführbar war. Daher konnten seit Mitte Oktober 1940 Auswanderer in grösserer Zahl nicht mehr zu japanischen Abfahrtshäfen auf dem Landwege befördert werden. Es gelang in der Folgezeit nur noch einigen Auswanderern nach Shanghai, den Weg dorthin mit der Eisenbahn zu ermöglichen.

Die Fortsetzung der Auswanderung war daher davon abhängig, einen neuen Weg zu irgendeinem Abgangshafen zu finden. Zunächst wurden Versuche gemacht, ab finnischen Hafen (Petsamo) Dampferverbindungen nach Nord- und Südamerika zu finden. Regelmässige finnische Verbindungen bestanden nur für den Frachtverkehr, nicht aber für den Personenverkehr. Die wenigen Plätze auf den Frachtdampfern wurden von Angehörigen der nordischen Staaten Monate im voraus belegt, sodass praktisch eine Auswanderung mit diesen Dampfern nicht durchführbar war.

Deshalb wurde in Verhandlungen mit der United States Line der Versuch gemacht, diese Linie zu veranlassen, ihre Dampfer ab Petsamo abfahren zu lassen. Dieser Versuch scheiterte deswegen, weil auf Grund der amerikanischen Gesetzgebung das Anlaufen finnischer Häfen durch amerikanische Schiffe verboten war.

Unter diesen Umständen erschien die einzige Möglichkeit für die Fortsetzung der Auswanderung dann gegeben, wenn es auf irgendeinem Wege gelang, die spanischen oder portugiesischen Häfen zu erreichen da von diesen aus auf spanischen, portugiesischen bezw. amerikanischen Dampfern regelmässiger Passagierverkehr mit Nord- Mittel- und Südamerika bestand. Dies war theoretisch auf drei verschiedenen Wegen möglich:

 

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1.) Mit der Eisenbahn nach Griechenland und von dort auf dem Seeweg durch das Mittelmeer nach
     Lissabon,

2.) Auf dem Eisenbahnweg durch die Schweiz nach Genf und von dort mit einem Autobus durch das
     unbesetzte französische Gebiet nach Barcelona,

3.) Mit der Eisenbahn durch das besetzte französische Gebiet nach Spanien bezw. Portugal.

Zur Ermöglichung des ersten Weges wurden durch Vermittlung eines Vertrauensmannes in Athen Verhandlungen mit einem griechischen Reeder aufgenommen, die Aussicht auf Erfolg hatten. Die Durchführung dieses Planes ist daran gescheitert, dass die für die Benutzung des Weges durch die Strasse von Messina notwendige Zustimmung der italienischen und englischen Stellen nicht zu erlangen war.

Für die Benutzung des Weges durch die Schweiz und das unbesetzte Frankreich war neben einem Endvisum das schweizerische und französische Transitvisum erforderlich.

Da das französische Transitvisum nicht an deutsche Reichsangehörige gegeben wurde, war auch das schweizerische Transitvisum nicht zu erhalten. - Deshalb ist auch dieser Versuch gescheitert.

Dagegen gelang es, die Voraussetzungen für die Benutzung des Weges durch das besetzte französische Gebiet nach Spanien und Frankreich zu schaffen.

Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung teilte uns mit, dass dieser Weg benutzt werden darf, wenn die Transporte dorthin in geschlossenen Sonderwagen durch das besetzte französische Gebiet durchgeführt werden müssen.

Das Mitteleuropäische Reisebüro übernahm die Durchführung dieser Transporte und ihre Organisation. - In Zusammenarbeit mit dem Mitteleuropäischen Reisebüro gelang es dann auch, die notwendigen Transitvisa (spanisches und portugiesisches) zu bekommen.

Auf dieser Grundlage wurden von November 1940 bis jetzt 25 Sammeltransporte durchgeführt. Mit diesen wurden insgesamt 5945 Personen befördert, davon 4808 aus dem Altreich.

Die Verteilung auf die einzelnen Transporte ergibt sich aus der Anlage.

In den ersten Monaten, in denen die Beförderung der Auswanderer auf diesem Wege möglich war, erfolgte insbesondere die Ausreise solcher Personen, die Visen für Südamerika hatten, weil diese aus den oben angegebenen Gründen bei der Auswanderung auf dem Wege durch Russland zurückgestellt werden mussten. Es kam hinzu, dass seit Juli 1940 die Erteilung der für die Vereinigten Staaten von Nordamerika erforderlichen Einwanderungsvisa auf Grund von Verwaltungsanordnungen fast völlig eingestellt worden war. Da die amerikanischen Einwanderungsvisa 4 Monate Gültigkeit haben, sind die Inhaber der damals zuletzt erteilten amerikanischen Visen noch im Oktober auf den Weg über Japan zur Auswanderung gebracht worden, sodass bei Eröffnung des Weges nach Lissabon für die Beförderung ausschliesslich die Auswanderer nach Südamerika in Betracht kamen.

Anfang Januar 1941 änderte sich aber diese Situation dadurch grundlegend, dass die amerikanischen Konsulate wieder zur Erteilung amerikanischer Einwanderungsvisen ermächtigt wurden. Daher nahm die Auswanderung nach USA ab Februar 1941 dauernd zu, bis im Juni 1941 die Visumserteilung, zunächst auf Grund einer Verwaltungsanordnung – später

 

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auf Grund einer neuen Gesetzesvorschrift - wieder fast völlig eingestellt wurde.

Da die letzten amerikanischen Visen im Juni 1941 erteilt wurden. hörte die Auswanderung dorthin im September 1941 auf. An ihre Stelle trat nun in verstärktem Masse die Auswanderung nach Kuba und Ecuador.

Diese neue Möglichkeit kam bisher noch nicht in vollem Umfang zur Auswirkung, da für die Beschaffung der Visen ein längerer Zeitraum notwendig war und die Anlaufszeit erst jetzt überwunden ist.

Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass auch jetzt noch fast täglich 50 und mehr Visumsermächtigungen bei der hiesigen Kubanischen Gesandtschaft neu eingehen.

Zurzeit befinden sich im Altreich mindestens 800 Personen, die im Besitze der Pässe, Sichtvermerke, End- und Transitvisen sind und jederzeit ausreisen können. Davon ist ungefähr die Hälfte im Alter über 60 Jahre.

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