Menü
Chronik und Quellen
1933
März 1933

Beschwerde gegen Boykottaufruf

Der Bürgermeister von Gollnow berichtet am 14. März 1933 als Reaktion einer Beschwerde des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. vom 9. März:

Gollnow, 14.03.1933

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Kaufhauses, richtiger gesagt, eines Spezialgeschäftes für Herren- und Damenkonfektion. Er führt daneben allerdings auch Beiartikel wie Schuhwaren, Hüte usw.

Am 10. März ds. Js. und zwar im Laufe des Vormittags, etwa gegen 11 Uhr, erschienen vor dem Oppel'schen Geschäft 2 junge Männer, die je ein Schild mit der Aufschrift ''Deutsche, kauft deutsche Ware'' und ''Deutsche, kauft nur bei Deutschen'' trugen. Diese beiden Schildträger nahmen am und im Ladeneingang des Kaufhauses Oppel Aufstellung.2 Der Vorgang wurde zunächst gar nicht bemerkt, bis Oppel in sehr aufgeregter Weise telefonisch meine Hilfe in Anspruch nahm. Ich schickte einen Angestellten des Polizeibüros, also einen Zivilisten hin und ließ den Schildträgern sagen, sie möchten das Privatgrundstück und den Ladeneingang räumen, könnten aber auf der Straße auf und ab gehen. Diesem Wunsche kamen die beiden Schilderträger auch nach. Im Zusammenhang damit entstand an den Ecken des Marktplatzes ein Menschenauflauf. Ein derartiger Menschenauflauf kann oft Formen annehmen, die für die Polizei unerquicklich werden können. Deshalb ordnete ich an, daß 2 Polizeibeamte an der Oppel'schen Marktecke, an der sich der Hauptverkehr abspielte, Aufstellung zu nehmen hätten. Gleich darauf oder gleichzeitig erschienen uniformierte SA Männer und nahmen in ziemlich geschlossener Form vor dem Ladeneingang Aufstellung und zwar derart, daß der Eingang vollkommen blockiert wurde. Mir sind Fälle bekannt, in denen das Betreten des Kaufhauses behindert wurde. Ich gab Oppel bei einer weiteren tel. Unterhaltung die Anregung, das Geschäft für diesen Tag zu schließen, um dadurch eine Fortsetzung der Ereignisse zu verhindern bezw. den laufenden Dingen die Spitze abzubrechen. Er lehnte dies ab. Gleichzeitig schrieb ich der Ortsgruppe der NSDAP einen Brief, in dem ich zum Ausdruck brachte, die Aktion müßte liquidiert werden, da sonst die Ruhe und Ordnung evtl. gefährdet sind. Die NSDAP hat hierauf sofort geantwortet und teilte mit, daß die SA Männer nur erschienen sind, weil sie glaubten, die große Menschenmenge störe am Marktplatz Ruhe und Ordnung. Man brachte auch zum Ausdruck, daß eine Demonstration gegen die hiesige Polizei bezw. deren Anordnungen nicht in Frage komme, man im Gegenteil darauf Wert lege, mit dieser im besten Einvernehmen zu arbeiten. Schließlich wurde strikt ausgedrückt und auch durchgeführt, die SA sofort zurückzuziehen. Der ganze Vorgang hat etwa 2 Stunden gedauert. Um 1 Uhr mittags war die Aktion beendet. Es blieben nur noch die beiden Schildträger in den Straßen. Gegen diese einzuschreiten, lehnte ich ab.

In der darauffolgenden Nacht wurden die Schaufenster des Kaufhauses Oppel mit Farbe und Versen bestrichen. In der Gollnower Zeitung des nächsten Tages erschien eine Erklärung der NSDAP und auch eine Stellungnahme des Kaufhauses Oppel. Die anliegend mitüberreichten Vorgänge ergeben alles weitere.

Ich unterbreite die Bitte, die Angelegenheit nach dortiger Überprüfung der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Der oder die Täter sind nicht zu ermitteln.

Mich berührt es merkwürdig, daß die Beschwerde des Stettiner Centralvereins das Datum vom 9. März 1933 trägt und diese am 10. März dort eingegangen ist, während die Ereignisse sich am 10. März abgespielt haben und zwar in der Zeit von 11 bis 1 Uhr vormittags.

Baum wird geladen...