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Chronik und Quellen
1941
September 1941

Bitte um Hilfe

Ein unbekannter jüdischer Verfasser bittet den Münsteraner Bischof Galen Mitte September 1941 um Hilfe für die deutschen Juden:

Hochwürden!

Mit größter Bewunderung für Ihren Heldenmut habe ich Ihr Telegramm und Ihr Schreiben gelesen, die Sie in Sachen der Beschlagnahme Ihrer Klöster an den Herrn Minister gerichtet haben, und ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Ihr Eintreten Erfolg haben möge!

Man ist heute leider kaum noch daran gewöhnt, daß Menschen den Mut aufbringen, für das Recht einzutreten! Sie können in Ihrem Schreiben wenigstens von „deutschen Menschen“ sprechen, denen Unrecht getan wird. Mir wird sogar das Recht genommen, Deutscher zu sein!

Das Volk hat zugesehen, wie das Stehlen öffentlich angefangen hat - bei den Juden. Nun sind so viele Köpfe verwirrt, daß sie nicht mehr wissen, was erlaubt ist und was nicht. Auch die Katholiken haben keinen Einspruch erhoben gegen die menschenunwürdige Behandlung, die man uns hat zuteil werden lassen. Man spricht immer von Blut und Boden. Ja, der Boden hat seinen Anteil an der Entwicklung des Menschen. Ich und viele mit mir haben deutsche Kultur aufgenommen von den Vätern her. Ich bin mit jedem Atemzuge bewußter Deutscher gewesen, bin freiwillig in den Krieg gegangen, und 1933 war es mein größter Schmerz, daß man mir das Vaterland nehmen wollte, ich nicht mehr Deutscher sein sollte.

Seither hat sich Qual auf Qual gehäuft, man hat tragen gelernt, was man für untragbar gehalten hat. Gott hat uns langsam an die Last gewöhnt, unter deren voller Wucht man erst zusammengebrochen wäre. Aber was nun kommen soll, erscheint einem doch wieder untragbar! Hochwürden, Sie werden wissen, daß am 19. September ein Judenabzeichen für uns bestimmt ist, daß niemand mehr auf die Straße darf ohne das Abzeichen. Man ist dem Pöbel ausgeliefert, jeder darf einen anspucken, ohne daß man sich wehren darf! Und, o Sadismus, man hat den Beginn unserer höchsten Feiertage dazu gewählt! Das finsterste Mittelalter tritt voll ans Tageslicht! Niemand wird uns zu Hilfe kommen, und wir werden es tragen, wie ja die armen Menschen in den besetzten Gebieten es längst tragen müssen.

Das deutsche Volk, die deutsche Wehrmacht hat still geschwiegen, als der Geßlerhut aufgerichtet wurde. Sie werden wissen, Hochwürden, daß in Polen, Litauen etc. es schon lange so ist, daß jeder Jude ein Abzeichen trägt, daß er nicht auf dem Bürgersteig gehen darf, jeden Soldaten grüßen muß, ohne daß dieser den Gruß erwidern darf. Daß man in den Ghettos die Menschen langsam verhungern läßt... Hochwürden, ich würde nichts sagen, wenn man uns alle an die Wand stellt, erschießen würde, aber diese langsame Marter, die Entwürdigung, das ist unmenschlich! Ihnen wird auch das Fortschleppen der Juden aus Stettin bekannt sein, das aus Baden, aus Breslau, das z. Z. im Gange ist. Ich spreche nicht, weil ich alle Juden für Engel halte. Es gibt sehr schlechte und sehr gute darunter - genau so wie unter den Deutschen. Verzeihen Sie, daß ich Binsenwahrheiten sage. Ich kann nicht die Dinge so geschliffen formulieren wie Sie, Hochwürden, zumal ich im Innersten zerquält und betäubt bin von dem Gedanken, was für neues Elend der 19. September für viele 1000 Menschen bringen wird. Ob uns ein Helfer ersteht?

Ich will nur eines hoffen, daß Ihnen dieser Brief keine Unannehmlichkeiten bringt. Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie nicht. Nur der aberwitzige Wunsch, die irre Hoffnung, daß uns irgendwo ein Helfer ersteht, treibt mich zu diesem Brief. Gott segne Sie!

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