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Chronik und Quellen
1941
September 1941

Nutzung von Verkehrsmitteln eingeschränkt

Der Reichsinnenminister beschränkt am 15. September 1941 die Freizügigkeit für Juden und knüpft die Nutzung von Verkehrsmitteln an Bedingungen:

Betrifft: Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941 (RGBl. I, S. 547)
Anlagen: je - 2 - (Muster A, B).

In Durchführung der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941 (RGBl. I, S. 547) gebe ich - soweit hierbei die Benutzung von Verkehrsmitteln geregelt wird, im Einvernehmen mit dem Reichsverkehrsminister, Reichspostminister und Reichsminister der Luftfahrt - folgende Richtlinien bekannt:

I. Kennzeichnung der Juden:

a) Tragweise und Verteilung:

Die Kennzeichen sind von den Juden auf der linken Brustseite etwa in Herzhöhe jederzeit sichtbar und festgenäht in der Öffentlichkeit zu tragen. Unter den Begriff der Öffentlichkeit fallen nicht nur jedermann zugängliche, sondern auch private Luftschutzräume, worauf Bedacht zu nehmen ist, da sich bisher gerade in diesen Räumen sehr viele Schwierigkeiten zufolge Nichtkennzeichnung der Juden ergeben haben. Die luden sind anzuhalten, ihre Kennzeichen stets sorgsam und pfleglich zu behandeln sowie in sauberem Zustand zu tragen. Die Verteilung der Kennzeichen an die Juden erfolgt über die Zentralstellen für jüdische Auswanderung Berlin, Wien und Prag unter Einschaltung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und der Jüdischen Kultusgemeinden Wien und Prag.

b) Verstöße:

Vorsätzliche Verstöße gegen die Verordnung oder die dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen wie diese sind grundsätzlich mit Schutzhaft zu ahnden. Bei Verstößen von Juden, die infolge ihrer Jugendlichkeit noch nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, macht sich der jüdische Erziehungsberechtigte nach § 4 der Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechtes vom 4.10.1940 (RGBl. I, S. 1336) in ihrem Gültigkeitsbereich strafbar.

Wie es von seiten der Parteikanzlei in dem Bereich der NSDAP geschehen wird, ist auch von den dortigen Dienststellen auf dem staatlichen Sektor alles zu tun, um eigenmächtige und ungesetzliche Ausschreitungen gegen die nunmehr gekennzeichneten Juden zu verhindern. Gegen Verstöße dieser Art ist unnachsichtlich einzuschreiten.

II. Beschränkung bezüglich Verlassen der Wohngemeinden und Benutzen der Verkehrsmittel (§ 2 der Verordnung).

Zuständigkeit:

In eigenen Angelegenheiten können die Dienststellen der Geheimen Staatspolizei mittels einer Bescheinigung das Verlassen der Wohngemeinde usw. erlauben. Hierunter fallen auch Erlaubniserteilungen für Juden, die als Angehörige von amtlich anerkannten jüdischen Organisationen (z. B. Reichsvereinigung der Juden) aus dienstlichen Gründen die Wohngemeinde verlassen müssen. Im Bereiche der Reichshauptstadt Berlin ist für die Genehmigung derartiger Dienstreisen der Chef der Sicherheitspolizei und des SD (Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Berlin) zuständig.

Anstelle der Ortspolizeibehörden nimmt nach § 2 der Verordnung für das Gebiet des Reichsgaues Wien die Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien die Aufgabe in Beziehung auf die Erteilung der Erlaubnis zum Verlassen der Wohngemeinde und zur Benutzung von Verkehrsmitteln wahr.

In allen anderen Fällen ist für die Ausstellung der schriftlichen Erlaubnis örtlich zuständig die Ortspolizeibehörde, in deren Bezirk der Gesuchsteller seinen Wohnsitz oder mangels eines Wohnsitzes seinen Aufenthalt hat. In Gemeinden mit staatlicher Polizeiverwaltung erteilt die Erlaubnis die staatliche Polizeibehörde.

a) Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis zum Verlassen der Wohngemeinde: Erlaubnisbescheinigungen dürfen nur an Juden ausgestellt werden, die eines der nachstehend bezeichneten Ausweispapiere vorlegen, u.zw.: deutsche Staatsangehörige einen Reisepaß, einen Kinderausweis, eine Kennkarte oder einen amtlichen Lichtbildausweis, Bewohner des Bezirkes Bialystok einen Paß oder einen amtlichen Lichtbildausweis, nichtreichsangehörige Personen einen Paß oder einen nach den allgemeinen deutschen Paßvorschriften gültigen Paßersatz.

Erlaubniserteilungen kommen nur beim Nachweis der unabweisbaren Notwendigkeit des Verlassens der Wohngemeinde in Betracht, worunter u.a. regelmäßig fallen werden: Arbeitseinsatz, der durch eine amtliche Bescheinigung des zuständigen Arbeitsamtes nachgewiesen ist; behördliche Vorladungen oder Maßnahmen, die ein Verlassen der Wohngemeinde notwendig machen, was gleichfalls von seiten der Juden durch Vorlage einer amtlichen Bescheinigung bei der ausstellenden Behörde oder Dienststelle unter Beweis zu stellen ist; notwendige Dienstreisen von Angehörigen der amtlich anerkannten jüdischen Organisationen; wirtschaftliche Gründe, soweit eine Bescheinigung der zuständigen Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer oder einer sonstigen amtlichen Dienststelle vorgelegt wird; sonstige persönliche oder familiäre Gründe wie eigene schwere Krankheit oder eines nahen Verwandten bzw. dessen Tod, worüber in jedem einzelnen Falle eine amtliche Bescheinigung (z. B. des Amtsarztes) beizubringen ist.

b) Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis zur Benutzung von Verkehrsmitteln außerhalb der Wohngemeinde:

Die ausstellende Dienststelle hat in jedem Falle darüber zu entscheiden, welches oder welche Verkehrsmittel der Jude benutzen darf, und dies in der Erlaubnisbescheinigung zu vermerken. Hierbei ist die Auswahl so zu treffen, daß die verkehrstechnischen Belange weitgehendst berücksichtigt werden.

Dementsprechend kommt die Benutzung von Droschken und Mietwagen (§ 39 Absatz 1 bis 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande vom 26.3.1935 - RGBl. I, S. 473), von Fahrzeugen auf Binnen- und Seewasserstraßen sowie von Flugzeugen in der Regel überhaupt nicht und deswegen nur bei unabweisbarer Notwendigkeit in Betracht. So sind für die Inanspruchnahme von Droschken und Mietwagen (ausschließlich der Mietomnibusse und -lastwagen) regelmäßig nur Ärzte, Hebammen, Schwerkörperbehinderte, insbesondere Kriegsbeschädigung (Beinamputierte, Gelähmte u.s.w.), Schwerkranke und Begleiter von erkrankten oder körper-behinderten deutschblütigen Familienangehörigen zuzulassen. Beförderung von Juden mit Mietomnibussen und -lastwagen ist in der Regel nur beim geschlossenen Arbeitseinsatz von Juden u.dgl. zulässig, wobei ein Sammelantrag von seiten des Arbeitgebers der Juden bei der ausstellenden Behörde zu stellen ist. Die Benutzung von Fahrzeugen auf Binnen- und Seewasserstraßen ist gleichfalls auf das allernotwendigste Maß zu beschränken. Ebenso ist der Luftverkehr den Juden grundsätzlich verschlossen. Lediglich in ganz besonders zwingenden Ausnahmefällen kann hiervon eine Ausnahme gemacht werden, wobei es selbst beim Vorliegen einer polizeilichen Zulassung des Juden zum Luftverkehr der Lufthansa entsprechend der bisherigen Regelung noch überlassen bleibt, den Juden aus verkehrstechnischen Gründen auszuschließen. Soll diese Möglichkeit des Ausschlusses von seiten der Lufthansa nicht gegeben sein, so ist diese hierzu rechtzeitig schriftlich in Kenntnis zu setzen. Von der Beförderung durch Ausflugswagen (§ 39 Absatz 2 aaO.) und Benutzung von Landkraftposten (§ 2 Absatz 5 aaO.) sind die gekennzeichneten Juden in vollem Umfange ausgeschlossen.

Falls überhaupt eine Zulassung zu Verkehrsmitteln notwendig ist, sind daher die Juden in der Regel auf die Benutzung der Eisenbahnen, Straßenbahnen (Abschnitt II, Ziffer 1 des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande vom 6.12.1937 RGBl. I, S. 1319) und auf die Beförderung im Landverkehr (Abschnitt II, Ziffer 2 aaO.) sowie im Überlandverkehr (§ 39, Absatz 3 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Lande vom 26.3.1935 - RGBl. I, S. 473) zu beschränken. Die Genehmigungsbehörde, die Deutsche Reichspost und die Deutsche Reichsbahn können auch diese Beförderung von Juden auf bestimmte Tage, Stunden, Strecken oder in anderer Weise beschränken. Erlaubnisbescheinigungen:

Die Bescheinigungen sind nach anliegendem Muster A gebührenfrei auszustellen. Im Falle der Sammelbeförderung von Juden ist eine Sammelbescheinigung in entsprechender Weise auszuhändigen. Die Beschaffung ist örtlich zu regeln, wobei es überlassen bleibt, ob die Herstellung nach Bedarf im Vervielfältigungsverfahren oder durch Druck zu erfolgen hat.

Die Erlaubnis zum Verlassen der Wohngemeinde und zur Benutzung von Verkehrsmitteln ist in der Regel nur für den einzelnen Fall unter genauer Festlegung der Zeitdauer und des örtlichen Bereiches zu erteilen. Sie kann in besonders gelagerten Fällen tür einen längeren Zeitraum bis zu einer Geltungsdauer von höchstens drei Monaten und einen bestimmten Verkehrsbereich auch zum mehrmaligen Verlassen der Wohngemeinde oder zur wiederholten Inanspruchnahme von Verkehrsmitteln erteilt werden, wenn die unabweisbare Notwendigkeit hierfür nachgewiesen wird. Die Verlängerung ist unzulässig; erforderlichenfalls ist eine neue Bescheinigung auszustellen. Die Bescheinigung ist mit Orts- und Tagesangabe, dem Dienststempel und der Unterschrift des ausfertigenden Beamten zu versehen.

Die Bescheinigung ist bei Ungültigkeit infolge Fristablaufes oder nach Abschluß der Reise außerhalb der Wohngemeinde von dem Juden bei den ausstellenden Behörden abzugeben. Über die ausgestellten Bescheinigungen sind von den ausstellenden Behörden besondere Listen zu führen. Die von dem Antragsteller für den Nachweis der unabweisbaren Notwendigkeit zum Verlassen der Wohngemeinde usw. vorgelegten Bescheinigungen sind zu den Akten zu nehmen, es sei denn, daß eine Rückgabe an den Juden im Einzelfall unbedingt erforderlich ist, worüber ein kurzer Vermerk zu den Akten -möglichst unter Beifügung von Abschriften der vorgelegten Bescheinigungen - aufzunehmen ist.

Regelung für die Beförderung durch Verkehrsmittel und die Benutzung ihrer Einrichtungen.

Die unter die Bestimmungen der Verordnung fallenden Juden haben beim Antritt der Fahrt oder beim Lösen und bei der Prüfung der Fahrausweise die polizeiliche Erlaubnis zusammen mit einem amtlichen Lichtbildausweis unaufgefordert vorzuzeigen. Der Verkehrsträger oder -Unternehmer hat dafür Sorge zu tragen, daß nach Möglichkeit bei Antritt der Reise oder beim Lösen des Fahrausweises durch Aufschrift oder Stempelaufdruck auf die polizeiliche Erlaubnisbescheinigung die Inanspruchnahme des Verkehrsmittels kenntlich gemacht wird, damit eine mißbräuchliche Benutzung ausgeschlossen ist. Juden dürfen Verkehrsmittel, von denen sie durch die Verkehrsträger oder deren Aufsichtsbehörden ausgeschlossen werden, nicht benutzen; sie müssen in den Verkehrsmitteln bestimmte Plätze einnehmen, wenn ihnen solche angewiesen werden. Juden dürfen unbeschadet weitergehender Einschränkungen Warteräume, Wirtschaften und sonstige Einrichtungen innerhalb der Verkehrsbetriebe nur insoweit benutzen, als sie das Verkehrsmittel selbst in Anspruch nehmen dürfen.

c) Ortspolizeiliche Erlaubnis zur Benutzung von Verkehrsmitteln innerhalb der Wohngemeinde:

Allgemeines:

Um zu verhindern, daß Juden aus eigennützigen Beweggründen und mißbräuchlich innerhalb ihrer Wohngemeinden bestimmte Verkehrsmittel benutzen, die in erster Linie der deutschen Bevölkerung Vorbehalten bleiben müssen, kommen auch hier im wesentlichen die obigen Einschränkungen und Richtlinien für das Verlassen der Wohngemeinde und die Benutzung von Verkehrsmitteln außerhalb der Wohngemeinde in Betracht. Zuständig für die Erteilung dieser Erlaubnis zur Benutzung von bestimmten Verkehrsmitteln sind hier stets die Ortspolizeibehörden. Innerhalb der Wohngemeinde kommt für die ortspolizeiliche Erlaubnis lediglich die Benutzung von Droschken und Mietwagen (einschließlich der dazugehörigen Mietomnibusse und -lastwagen) sowie von Fahrzeugen auf Binnenwasserstraßen in Frage. Hierbei ist selbstverständlich ein strenger Maßstab anzulegen. Die Erlaubnisbescheinigungen für die Benutzung von Verkehrsmitteln innerhalb der Wohngemeinde sind nach anliegendem Muster B gebührenfrei auszustellen.

III. Staatsangehörigkeit:

Bis zu einer anderweitigen Regelung unterliegen Juden ausländischer Staatsangehörigkeit einstweilen nicht den Bestimmungen der Verordnung, mit Ausnahme der Juden, die in den Gebieten Eupen-Malmedy und Moresnet die belgische Staatsangehörigkeit und in dem der Provinz Ostpreußen eingegliederten Bezirk Bialystok die sowjetrussische Staatsangehörigkeit besitzen.

IV. Vorbehalt weiterer Regelungen:

Der Erlaß weiterer Anordnungen bleibt Vorbehalten. Mit Rücksicht hierauf ist von weitergehenden Maßnahmen als den bisher getroffenen abzusehen. Nähere Regelungen für die Benutzung von Verkehrsmitteln werden durch den Reichsverkehrsminister, Reichspostminister und den Reichsminister der Luftfahrt getroffen. Für das Protektorat Böhmen und Mähren bleibt eine gesonderte Regelung durch den Reichsprotektor in Böhmen und Mähren Vorbehalten.

Zusatz:

a) für die Reichsstatthalter und Landesregierungen - außer Preußen -,
b) für die preußischen Regierungspräsidenten (einschließlich Kattowitz und Zichenau, in Berlin der Pol.-Präs.),
c) für den Reichskommissar für die Westmark,
- je einzeln -

Ich ersuche um sofortige Bekanntgabe dieser Richtlinien an die untergeordneten Behörden, insbesondere an die Ortspolizeibehörden.

d) für den Reichsprotektor:

für eine entsprechende Regelung im Protektorat Böhmen und Mähren bitte ich Sorge zu tragen. Um Übersendung der dortigen Erlasse auf diesem Gebiete wird gebeten.

e) für die Chefs der Zivilverwaltung in Straßburg, Metz, Luxemburg, Marburg und Veldes je einzeln:

Unter Bezugnahme auf mein Schreiben vom 1.9.1941 - Pol. S II A 2 Nr. 399/41 - 151 -bitte ich, für eine entsprechende Regelung Sorge zu tragen. Um Übersendung von Abschriften hiervon wird gebeten.

f) für die Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Straßburg und Metz,

für die Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD in Marburg und Veldes sowie für das Einsatzkommando in Luxemburg je einzeln:

Dieser Erlaß gilt nicht für den dortigen Bereich. Wie ich bereits mitteilte, wurde der dortige Chef der Zivilverwaltung von hier aus ersucht, eine entsprechende Kennzeichnungsverordnung zu erlassen.

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