Kritik an Kennzeichnungspflicht
Daniel Lotter aus Fürth kritisiert am 14. September 1941 in seinem Tagebuch die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Juden:
Heute wurde beim Gottesdienst in der Michaelskirche in sehr würdiger und ergreifender Form des Todes von Franz gedacht.
Die Verluste in Rußland sind sehr groß. Die Todesanzeigen in den Zeitungen häufen sich, und die Stimmung im Land wird angesichts des drohenden 3. Kriegswinters gedrückt. Vielfach hört man im Gespräch, daß der Krieg kein gutes Ende nehmen wird. Die Zeitungen freilich melden nur Günstiges, und die Erfolge unserer Wehrmacht in Rußland gehen weiter. Petersburg ist eingeschlossen, und die Verlustziffern der versenkten englischen Handelsschiffe bleiben sehr groß. Aber auch schlechte Nachrichten sickern durch: England bemüht sich, Italien abzusprengen. Der Herzog von Aosta, ein Bruder des italienischen Königs, der in Abessinien gefangengenommen wurde, soll im Flugzeug nach Italien geschickt worden sein, um Verhandlungen zu pflegen. Ein viertägiger Besuch Mussolinis im deutschen Hauptquartier hängt wohl mit diesen Verhandlungen zusammen. Vergangenen Donnerstag hielt Roosevelt eine Rundfunkansprache, deren Wortlaut wie üblich der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten wird, die aber auch nach deutschen Berichten an drohender Schärfe alles übertriflt, was der US-Präsident bisher geäußert hat. Japan, auf dessen Eingreifen in den Krieg man nach dem Drei-Mächte-Pakt für den Fall rechnen dürfte, daß die USA losschlagen, führt Verhandlungen mit Amerika, die mit einer Sonderbotschaft des Tenno an Roosevelt eingeleitet wurden, und eine japanische Zeitung schreibt in aller Gemütsruhe, „das Eingreifen Amerikas in den europäischen Krieg liege im Bereich der Möglichkeit. Vorher müsse es aber sein Verhältnis mit Japan in Ordnung bringen; denn für einen Zwei-Fronten-Krieg seien die USA nicht vorbereitet.“ Die Japaner scheinen es somit ganz in Ordnung zu finden, abzuspringen, wenn ihnen günstige Bedingungen gestellt werden.
Gegen die Wolgadeutschen, die von den Russen bereits von 2 V2 Millionen auf 400 000 durch barbarische Behandlung verringert wurden, wird neuerdings in der unmenschlichsten Weise vorgegangen. Sie sollen nach Sibirien „verpflanzt“ werden, was wohl den sicheren Untergang dieses Restes tapferer deutscher Volksgenossen bedeutet. An scheußlicher Behandlung Fremdrassiger lassen es freilich auch unsere Machthaber nicht fehlen. Nachdem man den deutschen Juden ihre Geschäfte, ihren Grundbesitz und den größten Teil ihres Vermögens genommen hat und ihnen jede Verdienstmöglichkeit geraubt hat, soll am 19. September eine Verordnung in Kraft treten, wonach sie gezwungen werden, sichtbar und fest angenäht einen gelben Stern mit der Aufschrift „Jude“ zu tragen. Was man mit solchen zwecklosen und sadistischen Quälereien erreichen will, ist mir rätselhaft. Um die Verordnung besonders boshaft sich auswirken zu lassen, hat man sie am sog. „langen Tag“, dem Versöhnungstag und höchsten Feiertag der Juden, in Kraft treten lassen.