Menü
Chronik und Quellen
1941
Juli 1941

Massenmorde an Juden

Willy Cohn aus Breslau erfährt im Sommer 1941 von Massenmorden an Juden in den besetzten Gebieten im Osten und notiert hierüber zwischen dem 22. und 26. Juli 1941 hierüber in sein Tagebuch:

22. Juli 1941

Breslau, Dienstag. Gestern Vormittag in der Dombibliothek fleißig gearbeitet und besonders für „Dresden“ und Sachsen eine Menge Material zusammengetragen! Am Nachmittag sehr tief und mit [...] geschlafen. Barbier [...] dann zu Prof. Goerlitz, der mir folgendes berichtete:

Er war in meiner Angelegenheit bei dem Oberbaurat Stein, da er ihn früh nicht sprechen konnte, war er in der Mittagsstunde noch einmal da. Goerlitz sagte zu Stein etwa folgendes; er wünsche, daß ich von den Evakuierungsmaßnahmen aus der Wohnung zuallerletzt betroffen würde; Stein schloß sich dieser Auffassung an; er rief dann einen ihm bekannten Beamten bei der Preisstelle Judenmietsverhältnisse an, der ihm sagte, sie seien bei allen diesen Dingen lediglich ausführendes Organ, die Entscheidung liege bei der Preisstelle. Wer von den Juden jetzt eine wenig schöne Wohnung habe, der sei am besten dran; wenn eben eine Wohnung gefalle, würde sie zugewiesen! Jedenfalls war dem Oberbaurat Stein nichts davon bekannt und auch der anderen Stelle nicht, daß jetzt größere Evakuierungsmaßnahmen geplant seien, was mir eine Beruhigung, vor allem ja auch im Interesse der Gesamtjudenschaft von Breslau, ist. Ich war ganz gerührt über das Verhalten von Goerlitz und auch von Oberbaurat Stein, der mich ja sehr selten gesprochen und offenbar einen günstigen Eindruck von mir empfangen hat! Schließlich, und das ist ja die größte Befriedigung für einen Gelehrten, macht objektive Forschung immer ihren Weg und findet auch heute noch in den „arischen“ Kreisen Anerkennung. Vor allem habe ich mich über die menschliche Hilfsbereitschaft sehr gefreut! Das sind Lichtblicke in dieser Zeit. Goerlitz erzählte mir auch noch, wie anständig sich der neue Bürgermeister von Breslau Dr. Spielhagen benommen hat, als er in eine jüdische Wohnung eingewiesen werden sollte. Weniger Erfreuliches wußte er vom Schicksal der rumänischen Juden zu berichten. Sein Neffe, Oberleutnant der Flugwaffe, schrieb, es sei geradezu eine Schlächterei, die man dort veranstalte. Schaurig!

Zeitung: Immer weitere Siege im Osten, während anscheinend im Westen alles zerstört wird. In Münster in Westfalen soll nur noch eine Kirche stehen! In Schweidnitz mußte wieder ein Kloster der Ursulinen, das 80 Schwestern beherbergt, geräumt werden. Abends sehr erschöpft früh ins Bett; eine sehr böse Nacht gehabt.

23. Juli 1941

Breslau, Mittwoch. Gestern Vormittag bin ich mit Trudi einmal an die Luft gegangen; man muß, solange es noch Sommer ist, wenigstens ab und zu ein Feriengefühl haben. Wir gingen am Bahndamm entlang bis nach dem Südpark und saßen dort längere Zeit. Auf der Umgehungsbahn rollen ununterbrochen die Transportzüge. Durch den Südpark gegangen, wo wir schon lange nicht gewesen sind. Es hat sich manches verändert. So ist zum Beispiel der hübsche Pavillon am See nicht mehr vorhanden! Durch die Kleinburg- und Wölflstr., dort ist jede Stelle mit Erinnerungen für mich erfüllt. Auf der Kleinburgstr. steht das Restaurant von Paschke auch nicht mehr. Dresdner Bank, dann noch zur Schulverwaltung gefahren wegen eines Unterrichts-Erlaubnisscheines. Da der betreffende Beamte auf Urlaub ist, kann ich erst in der nächsten Woche wieder hingehen! Auf dem Nachhauseweg begleitete mich der Arzt Dr. [Jjuttmann, ein etwas komisch gewordener Mann. Am Nachmittag fleißig für die G.J. gearbeitet; nach dem Abendbrot die Lebensmittelkarten von Fräulein Silberstein geholt; ich persönlich habe keine bekommen, weil ich Auslandspakete erhalten habe; in Wirklichkeit habe ich nur einmal 400 Gramm Kakao in letzter Zeit bekommen. Jedenfalls muß ich dann morgen zur Bezirksstelle laufen und werde dadurch wertvolle Zeit verlieren! Man versucht, uns das Leben immer mehr zu erschweren! Auf dem Nachhauseweg von […] Eis mitgebracht, dann noch etwas auf dem Balkon gesessen!

24. Juli 1941

Breslau, Donnerstag. Schon Vormittag ziemlich fleißig an der G.J. gearbeitet, dann Trudi Briefe diktiert, in der Mittagsstunde zur Post, am Nachmittag aus dem Schlafe aufgestört worden, die Mutter von Moritz Kalischer brachte mir einen Brief zum Übersetzen aus dem Spanischen. Dadurch um die Wirkung einer Tablette gekommen und mich am Nachmittag ziemlich gequält. Trotzdem fleißig gearbeitet. Post, auch für die G.J. einiges und ein Stück Erinnerungen, dann noch beim Barbier gewesen. Fräulein Cohn brachte die sehr traurige Nachricht, daß RA Polke in Haifa von einer Fliegerbombe getötet worden ist. Ein schreckliches Ende! Erst für die Deutschen Frontsoldat im Weltkrieg, dann von den Deutschen nach Buchenwald geschleppt und schließlich von einer deutschen Fliegerbombe in Erez Israel getötet. Bitter.

Zeitung: Schilderung des Bombardements auf Moskau! Post: Ein sehr lieber Brief von Erna mit guten Nachrichten von Wölfl. Erna hat den Plan, ihm ein Affidavit nach Amerika zu verschaffen, er arbeitet jetzt wieder etwas Latein und Griechisch und ist im Büro tätig. Auch von Steps (Stefan Brienitzer) aus Edinburgh kamen gute Nachrichten!

25. Juli 1941

Breslau, Freitag. Gestern für mich ein sehr anstrengender, wenn auch in mancher Beziehung sehr anstrengender Tag; früh erst zur Post, dann zur Markenausgabe, um mir meine Lebensmittelkarten abzuholen; abgezogen wurde mir für den chinesischen Kakao nichts, aber das Stehen strengte mich sehr an, und ich bekam einen Schweißausbruch und war dicht an einer Ohnmacht; leider haben sich meine Rassegenossen wenig diszipliniert benommen, so daß, wie ich abends von Herrn Foerder hörte, die Gestapo angerufen und um Entsendung eines Schutzmannes gebeten werden mußte. Traurig. Als ich von der Markenausgabe herauskam, traf ich Emil Kaim, der ja Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde ist, und sagte ihm, daß es gut wäre, von seiten der Gemeinde jemanden hinzuschicken, aber er hat offenbar darauf nicht gehört. Dann in das alte Elisabethgymnasium; dort den Stadtarchitekten Dubiel wegen des hebräischen Grabsteines gesprochen; er hat noch einmal den Photographen angeläutet; und er hat zugesagt, nun das Bild fertig zu machen. Dann habe ich mir etwas Eis zur Erfrischung gegönnt und noch etwas in der Amtsbibliothek gearbeitet. Am Nachmittag war ich bei Professor Hermann Hoffmann zum Kaffee eingeladen; Professor Hoffmann ist im Ruhestand lebender katholischer Geistlicher und wohnt in dem Kloster der Elisabethinerinnen auf der Antonienstraße. Welche Ruhe und Sauberkeit ist in einem solchen Kloster! Ich kenne ja noch die Atmosphäre von Trebnitz her! Es war ein sehr schöner Nachmittag. Die Hauptsache war nicht, daß es echten Bohnenkaffee mit dick gestrichenen Buttersemmeln und Zwiebacken gab, es war so eine schöne geistige Atmosphäre; wir sprachen viel über wissenschaftliche Arbeiten. Auch Bücher tauschten wir. Ich schenkte ihm ein vollständiges Machsor, über das er sich sehr gefreut hat; von ihm bekam ich sein großes Werk über die Geschichte der Jesuiten in Schweidnitz und noch manches andere, darunter die Dissertation von Simonsohn! Professor Hoffmann will uns auch einmal besuchen, jetzt fährt er für 14 Tage zur Erholung auf ein Schloß bei Troppau. Am Abend habe ich noch Johannisbeeren abgezogen, um etwas Entgegengesetztes zu tun! [...] ziemlich schwindlig. Leider strengt eben alles noch sehr an! Professor Hoffmann sagte mir noch das Grausige, kaum Faßbare, daß in Lemberg 12 000 Juden erschossen worden seien. Die SS soll das gemacht haben.

26. Juli 1941

Breslau, Sonnabend. Gestern Vormittag mit Frl. Bohn gearbeitet, etwas Post, vor allem ein größeres Stück an den Erinnerungen diktiert; am Nachmittag für die G.J. gearbeitet; eine Zeitlang war auch Fräulein Witt wegen der hebräischen Photokopien da; sie hat aber nichts herausbekommen. Trudi hat fleißig an der Flotte Karls I. geschrieben, Barbier Müller Storchsynagoge; dort war ziemlich trübe Stimmung; am Donnerstag müssen 51 Juden nach Thomasdorf bei Rothenburg unweit Görlitz übersiedeln;21 10 Wohnungen sind gekündigt worden; das ist erst der Anfang der Aktion, wie dem Gemeindevorsitzenden Dr. Kohn bei der Gestapo gesagt worden ist. Diese Behörde will das offenbar nicht, es kommt dies von einer anderen Seite. Die Begründung ist wohl immer der Bedarf an Wohnungen. Rabb[iner] Fewin22 hat in seiner Ansprache, die ich nicht gehört habe, anscheinend die Leute wieder sehr aufgeregt, so daß es mich nicht erstaunen würde, wenn es heute Nacht Fälle von Selbstmord gäbe. Ich halte sein Verhalten für sehr unrecht! Doch habe ich ja auf ihn keinen Einfluß. Lebensmittel dürfen wir jetzt nur von 11-1 einkaufen. So bringt jeder Tag neue Restriktionen. Der Zug der Rache gegen die Juden!

Zur Lage; Die Russen scheinen ihre Hauptoffensivkraft auf den Süden von Rumänien zu legen. Sie scheinen nach dem rumänischen Ölcentrum vorstoßen zu wollen. Man spricht von einer Million Verluste der Deutschen!

Baum wird geladen...