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Chronik und Quellen
1941
Juli 1941

Ausfüllen eines Affidavits

Frida Neuber aus Berlin erklärt am 19. Juli 1941 Bob Kunzig in Philadelphia, welche Formulare er für ihr Affidavit wie ausfüllen muss:

Mein lieber guter Bob, nun endlich ist die Spannung von mir genommen, ich habe vor 3 Tagen Deinen lieben so herzlichen Brief v. 27. Juni erhalten & bin froh & glücklich, daß nichts Ernsthaftes Dich am Schreiben gehindert hat & Du mir auch nicht irgendwie zürnst. Ich hatte am 7. Juli noch mal einen SOS-Ruf an Dich gesandt, der inzwischen wohl in Deine Hände gelangt sein wird. Ja, das Bild ist nun ein ganz anderes & alle Hoffnungen scheinen wie eine Seifenblase zerplatzt zu sein! Von hier aus ist augenblicklich nichts zu machen möglich. Ich bin beim Hilfsverein & bei der Hapag gewesen, habe da folgendes erfahren. Alles wird jetzt von Washington aus bearbeitet & kann nur von den Affidavitgebern in die Wege geleitet werden. Du müßtest an das Visadepartment des State Departments in W. schreiben & Dir von dort die Formulare B & C geben lassen. Das Formular B muß folgendermaßen ausgefüllt werden:

Name: Friederike Johanna Neuber geb. Maison
Geb. 6. November 1869 in Breslau
Religion: Evangelisch
Adresse: Berlin SO 16, Engeldamm 66 II
Nationalität: Deutsche Staatsangehörige
Civilstand: Verwitwet seit 1912.
Familienverhältnisse: Eltern, 2 Kinder u Ehemann verstorben, es leben noch 3 Geschwister in Berlin & zwar Clara Kramer geb. Maison, Wwe, Berlin SO 16, Engeldamm 66
Hermann Maison, Witwer, Berlin SO 16, Engeldamm 66
Robert Maison, verheiratet, Berlin SO 16, Köpenickerstr. 48 II
Erziehung: Ich besuchte bis 1887 die Viktoriaschule, eine höhere Mädchenschule
Einen Beruf habe ich seit 1930 nicht, ich führte meinem Bruder die Wirtschaft
Politische Verbindungen: Keine
Strafen wegen politischen oder anderer Vergehen: Keine
Alles was sich auf Politik bezieht, kann mit nein beantwortet werden.
Früherer Aufenthalt in den Staaten: Ich war vom Dezember 1925 bis Juli 1928 in Philadelphia u. habe bei Mrs. Marie A. Lowe, 4622 Adams Ave gewohnt.
Zweck der jetzigen Einreise: Dauernde Übersiedlung nach U.S.A.

Das alles & vielleicht nun etwas mehr muß im Formular B von Dir angegeben werden. Formular C verlangt, Affidavit von 2 Bürgen einzureichen für den Fall, daß der Einwandernde unterstützt werden muß, wie es ja bei mir zutrifft. Ich schreibe das alles schon heut, damit Du nicht erst wieder zeitraubende Rückfragen halten mußt. So, das erfuhr ich beim Hilfsverein.

Bei der Hapag sagte man mir folgendes: Augenblicklich könne man nur über Cuba nach U.S.A. einwandern, was natürlich die Reisekosten beträchtlich erhöht & aus dem Grunde wohl gar nicht in Frage kommen könnte. Du müßtest Dich drüben mit dem Joint oder Htfls, beides jüdische Einrichtungen für Auswanderer, in Verbindung setzen, die eventuell das Nötige veranlassen würden. Die Bestimmungen über Weg & Einwanderungsmöglichkeiten wechseln naturgemäß in Zeiten wie den augenblicklichen schnell. So, wie ich es Dir schildere, ist es gerade jetzt.

Wie kommt es, daß Hapag mir mitteilte, daß Du $ 420 eingezahlt hättest, während Du doch tatsächlich $ 460 eingezahlt hast? Sind da schon $ 40 ins Wasser gefallen beim Herüberzahlen? Armer lieber Junge, hoffentlich hast Du diese Summe nicht schon einbüßen müssen, sondern die ganzen 460 zurückerhalten.

Also in Rangerhodge steckst Du augenblicklich & bist da wieder tätig; ich weiß aus Gr. Schilderungen, daß ganz Maine landschaftlich herrlich sein soll, See & Gebirge vereinigt zu wunderbarsten Bildern. Daß Du gerade dort besonders oft an unsere liebe Verstorbene erinnert wirst, glaube ich gern, das ist aber gut so, so bleibst Du immer in seelischer Verbindung mit ihr & sie wollte sich ja auch nicht von Dir lösen, weil sie Dein Leben, auch ohne von Dir gesehen zu werden, verfolgen will & immer an Deiner Seite bleiben möchte. So hat sie es mir mal gesagt. Am 12. Juli war ich im Geiste viel bei Euch. Gr. ist manchem Seelenleid aus dem Wege gegangen, die jetzige schwierige Lage hätte sie doch wieder sehr bedrückt. Ich bin gespannt zu hören, wohin die Eltern & Mildred gegangen sind & ob O.C. [...] ist.

Wir leben ganz zurückgezogen; mitunter machen wir kleine Ausflüge in die nähere Umgebung, so nach Treptow oder Potsdam, Orte die Du ja auch kennst, aber wir sind in allem gehindert & deshalb bleibe ich am liebsten zu Haus. Das Wirtschaften ist jetzt auch schwierig, so daß ich, nachdem ich mein Tagewerk vollbracht habe, müde bin & gern die Ruhe pflege. Ich lese jetzt in deutscher Übersetzung von A. T. Hobart „Oil for the lamps of China“, ein Buch, das mich sehr interessiert. Das ist das Schönste für mich, ein gutes Buch & meine Ruhe!

Ob dieser Brief noch in Deine Hände gelangen wird? Man weiß ja nicht, was die allernächste Zeit bringen kann, aber auch ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß alles zum guten Ende kommen wird & ich bald bei Euch sein kann. Du wirst diesen Brief wahrscheinlich am 8ten August haben, der Deine brauchte 19 Tage.

Lebe wohl, mein lieber, lieber Bob, von ganzem Herzen danke ich Dir für Deine lieben Zeilen & bitte Dich nun, gib mir öfter mal ein kurzes Lebenszeichen, damit ich weiß, daß Du gesund und noch frei bist. Ich sorge mich sehr um Dich, wenn ich nichts höre. Grüße

bitte alle Angehörigen, die Eltern, Mildred, Tante Else, Miss W. last but not least Miss Schmidt herzlich von mir, Du selbst aber nimm mit dem Gruß auch einen herzl. Kuß von Deiner

alten, Dich herzlich liebenden Tante

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