Lage der Juden
Ein anonym bleibender Lkw-Fahrer berichtet über die Lage der jüdischen Bevölkerung in verschiedenen deutschen Städten Mitte 1941:
Juden in Deutschland Mitte 1941
Selbst Erlebtes und Beobachtetes.
Die Behandlung der Juden in Deutschland (Altreich) ist lokal sehr unterschiedlich. Was in einer Stadt erlaubt ist, ist in einer anderen verboten. Bei der Bearbeitung der verschiedenen Fälle kommt es nach wie vor darauf an, wie der betreffende Beamte gerade geschlafen hat. Es gibt Gaue, die in der Welt ganz besonders verrufen sind, während in der Tat gerade dort die Behandlung eine nicht so schlimme ist. Juden dürfen zum Beispiel in Leipzig keine öffentlichen Gaststätten (Restaurants, Cafes usw.) besuchen, während in Jena nicht ein einziges Lokal verboten ist. In Berlin sind an vielen Gaststätten Schilder angebracht „Für Juden verboten“, zumindest aber „Juden unerwünscht“, hingegen sind dort alle Hotels für Juden frei; es ist wenigstens so, daß Schilder nicht angebracht sind und in der Praxis Juden nicht abgelehnt worden sind. (Ganz wenige Ausnahmen - Hotel Excelsior - bestätigen die Regel.) Hingegen ist es mir in Restaurants selbst passiert, daß mich begleitende Glaubensgenossen von der Bedienung gefragt worden sind: „Sind Sie Nichtarier?“ Auf die Bestätigung hin wurde gesagt, „da muß ich die Geschäftsleitung fragen, ob ich Sie bedienen darf“. (Ich nehme allerdings an, daß Gäste, die nebenan saßen, die Veranlassung zu der Frage gegeben haben.)
Berlin ist ja wohl überhaupt die Stadt, in der die meisten anti-jüdischen Schilder ausgehängt sind. So ist - auf Anordnung der Gauleitung - an jedem Geschäft, also nicht nur Lebensmittelgeschäften und ähnlichen, ein großes, gelbes Schild angebracht: „An Juden und für Juden kann nur in der Zeit von 16 -17 Uhr Ware abgegeben werden!“ Es ist kaum zu sagen, welch unangenehme Folgen dieser nur einstündige Verkauf nach sich zieht; einmal kann eine Hausfrau - da sie ja meistens anstehen muß - bei weitem nicht ihre ganzen Einkäufe in einer Stunde erledigen, und anderseits vor allem auch sind am Nachmittag die meisten Waren, insbesondere Lebensmittel, ausverkauft. Ein weiter sehr bezeichnendes Schild „Mangelware und markenfreie Ware kann an Juden nicht abgegeben werden“ findet man auch an einer ganzen Reihe von Geschäften der Reichshauptstadt. In diesem Zusammenhang möchte ich sogleich sagen, daß es in Berlin schon länger untersagt ist, Obst und Milch abzugeben. (In anderen Städten bekommen die Juden wenigstens Magermilch.) An Schokoladengeschäften, ebenso wie an Tabakwarenverkaufsstellen, steht kategorisch in ganz Groß-Berlin „An Juden kein Verkauf!“ Diese Schilder und Anschriften sind ja alle nur ein sichtbares Zeichen des großen Warenmangels und sind alle nur auf höheren Befehl hin ausgehängt.
Da ich mich gerade mit Berlin beschäftige, möchte ich einige Tatsachen berichten, die ich dort erlebt habe, und andere wieder, die nur dort so scharf durchgeführt werden. Berlin hat neuerdings Zuzugsverbot für Juden, ln Berlin müssen Wohnungen von Juden sehr oft für SS frei gemacht werden, diese müssen oft innerhalb 24 Stunden geräumt sein und müssen noch auf Kosten des ausziehenden Juden wieder neu hergerichtet werden. Juden werden bis zu 3 Personen nur ein Zimmer zur Verfügung gestellt. In Berlin sind bereits alle Juden, also Männer und Frauen, im Alter zwischen 16-65 Jahren zur Arbeit zwangsweise herangezogen. Die Arbeit erfolgt in geschlossenen Kolonnen, die Bezahlung erfolgt tariflich, aber da es sich doch meistenteils um ungelernte Arbeiter und Arbeiterinnen handelt, sind die Sätze sehr niedrig. Infolge der hohen Abzüge - Invalidenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Krankenkasse, Steuern (stets der höchste [Satz] für Ledige), teilweise auch Wehrsteuer und die für Juden und Polen eingesetzte Sondersteuer der sogenannten Sozialabgabe in Höhe von 15 % des Bruttoverdienstes - ist es nichts Seltenes, daß eine Frau bei 48stündiger Arbeitszeit mit RM 12,- bis RM 14,- die Woche nach Hause gehen muß. Wenn man nun berücksichtigt, daß hiervon noch das Fahrgeld abgeht, kann man sich vorstellen, was übrigbleibt.
Die jüdischen Organisationen, Reichsvereinigung, Kultusgemeinde usw., sind durch die Gestapo gezwungen worden, einen großen Teil ihrer Arbeitskräfte zugunsten der Industrie abzugeben. Die Gehälter bei den jüdischen Stellen sind zwangsweise auf ein Minimum heruntergesetzt worden.
Die jüdischen Lehrwerkstätten in Berlin wurden im April 1941 zwangsweise aufgelöst, um selbst die jüngsten Menschen für die Kriegsindustrie frei zu machen. Ein mir befreundeter junger Mensch von knapp 18 Jahren ist in einem Bleiwerk eingesetzt worden und muß dort den ganzen Tag mit einem Schwamm im Munde arbeiten; trotzdem ist Bleivergiftung nicht ausgeschlossen. Hiergegen gibt es nur ein Mittel, ständig - also auch während der Arbeit - viel Milch trinken. Die arischen Arbeiter bekommen Milch vom Werk gestellt, für die Juden ist eine Milchlieferung untersagt worden.
Ein sehr geschickter Mechaniker, der in dem größten optischen Werk mit Erfolg gelernt und dort weitergearbeitet hatte, mußte von seiner Firma 1937 entlassen werden. Um sich aber den guten gelernten Facharbeiter zu erhalten, hat man diesen in einem kleineren, befreundeten Werk in Berlin untergebracht. Hier zeigten sich die Qualitäten des Spezialisten sehr bald, und dieser kam in das Privatlabor des Chefs. (Dort arbeitete er allein, von allen anderen Leuten getrennt.) Der Betreffende machte hier auch einige Erfindungen, die für die Firma gute Erfolge brachten, und wurde deshalb von seinem Arbeitgeber natürlich auch geschätzt; er erhielt ein sehr anständiges Monatsgehalt. Plötzlich im Dezember 1940 kam durch die Arbeitsfront die überraschende Verfügung: X ist sofort zu entlassen und hat sich zwecks anderweitiger Unterbringung beim Arbeitsamt zu melden, da einzelne Juden nicht mehr beschäftigt werden sollen. Der Mann wurde kurze Zeit darauf Meister in einer jüdischen Abteilung bei Zeiss-Ikon und muß jetzt mit RM 30,— trotz seiner verantwortungsvollen Tätigkeit - die Woche nach Hause gehen. Unter ihm arbeiten einige arische Vorarbeiter und Kontrolleure, denen darf er aber nichts sagen, ist aber anderseits für ihre Tätigkeit voll verantwortlich.
Am 13. Juli 41 bin ich abends von Potsdam kommend mit der S-Bahn nach Berlin zurückgefahren; im gleichen Waggon befanden sich zwei Jungens, die sich korrekt und anständig verhielten. Plötzlich tritt ein Mann auf sie zu und fragt: „Seid ihr Juden?“ Was von dem einen Kind bejaht wurde, darauf: „Und da sitzt ihr noch? Aber schnell auf, sonst passiert etwas.“ Erschrocken standen natürlich die Kinder sofort auf, und der Betreffende setzte sich. Einzelne Mitreisende waren über das Verhalten sichtbar empört und versuchten, dagegen zu protestieren, mußten aber auf eine scharfe Bemerkung dieses großen Helden doch ruhig sein.
Die Transporte auswandernder Juden gehen alle ab Berlin. (Auch wenn ein Transport z. B. über Frankfurt geht, muß ein Frankfurter erst nach Berlin fahren.) Drei Stunden vor Abgang des Zuges müssen die Transportteilnehmer im Luftschutzkeller versammelt sein und dürfen den Keller bis zur Abfahrtszeit nicht mehr verlassen; alsdann werden die Reisenden geschlossen zum Waggon geführt. Die Vorhänge in den Abteilen müssen geschlossen gehalten werden. Verwandte und Freunde dürfen nicht zur Verabschiedung zum Bahnhof kommen.
Sehr scharfe Verfügungen Juden gegenüber bestehen auch u. a. in Leipzig, besonders seit der neue Oberbürgermeister Freyberg - ehemals Nazi-Minister in Braunschweig (aber dort scheinbar wegen allzu großer Fähigkeiten kaltgestellt) - im Amt ist. So war es in der Messestadt schon lange verboten - bevor irgendeine andere Stelle nur daran gedacht hat -, in Tabakwarengeschäfte zu gehen (es fand in Leipzig sogar einmal eine Haussuchung nach Cigarren, Cigaretten usw. statt), Friseurgeschäfte zu besuchen, die Stadtgrenze ohne ausdrückliche Genehmigung zu verlassen, Betreten von Anlagen, Verbot für auswärtige Juden - mit Ausnahme eines bestimmten kleinen Hotels -, Beherbergungsstätten zu benutzen und viele andere kleine Schikanen. Bei geringsten Anlässen wurden viel härtere Strafen ausgesprochen als anderswo. Es herrschten dort zwei anti-jüdische Stellen, die sich nach Möglichkeit gegenseitig übertreffen wollten.
In Leipzig fand im Februar 41 überraschend eine Haussuchung nach Geld statt, wer mehr als RM 500,- im Hause hatte, wurde sofort mitgenommen und kam später - selbstverständlich ohne jede Verhandlung - in ein Konzentrationslager. Ich weiß Fälle aus anderen Städten, wo Tausende vorgefunden wurden, und die Betreffenden kamen mit zwei bis vier Monaten Gefängnis weg und wurden auch nach Verbüßung der Strafe entlassen. Ich möchte hier dazwischenschalten, daß Juden, die mit Zuchthaus bestraft werden, nach Verbüßung ihrer Strafen ohne weiteres in ein Konzentrationslager kommen. Auch die Mitnahme von Gepäck usw. bei Auswanderern ist in Leipzig besonders beschränkt; es darf dort z. B. nur je ein Sommer- und Winteranzug, zwei Paar Schuhe und alles andere entsprechend wenig mitgenommen werden, außerdem muß alles auf dem Zollhof gepackt werden. In anderen Bezirken hingegen wurde alles genehmigt, was auf der eingereichten Liste verzeichnet war, ausgenommen ganz vereinzelte Sachen, die in einer Reichsverfügung festgelegt waren. Die Zollbeamten kamen dort auch ins Haus zum Packen.
Ich kenne, im Gegensatz zu Berlin usw., in der Provinz Städte, in denen nicht ein einziges anti-jüdisches Schild angebracht ist. Ich erinnere mich eines Falles, daß im April 1941 in einer dieser Städte an einem Palm-Zigarrengeschäft ein Schild angebracht wurde „An Juden kein Verkauf“; nach wenigen Stunden war dieses aber wieder weg.
Es gab Gestapohauptstellen, die im Mai 1939 bestimmte Juden als „Betreuer der Juden“ eingesetzt haben und diese mit gewissen Vollmachten versahen. Von diesem Zeitpunkt an wurde dann zum größten Teil nur noch über die Betreuer mit der Judenschaft verhandelt. Er bekam die einzelnen Verfügungen zugestellt und mußte sie weiterleiten. Der Betreuer wurde allerdings persönlich für die Durchführungen der Anordnungen verantwortlich gemacht. (Es war nebenher gesagt ein sehr unangenehmer Posten, denn die guten Juden widersetzten sich sehr oft dem Vorgesetzten Glaubensgenossen und sahen nicht ein oder wollten nicht einsehen, wieviel angenehmer es für sie war, mit diesem als mit der Gestapo direkt zu verhandeln.
Alle Verfügungen gingen zunächst an alle Rassejuden, also auch an solche, die getauft waren, oder an solche, die in Mischehe lebten. Für letztere kamen später wenige geringe Erleichterungen. Im Oktober 39 wurden zunächst generell dort überall die Radio-Apparate entschädigungslos weggenommen, wo Juden mit in Hausgemeinschaft waren; später bekamen Mischehen auf Antrag teilweise wieder die Erlaubnis, sich einen neuen Radio-Apparat zu kaufen (der erste Apparat blieb nach wie vor ohne jede Entschädigung beschlagnahmt), Voraussetzung sollte nur sein, dass die Möglichkeit gegeben war, daß der jüdische Teil die Übertragungen nicht mit anhören konnte.
Im Sommer 40 kam die Verfügung, daß in den Fernsprechverzeichnissen der zusätzliche Vorname (Israel, Sara) mit eingetragen werden muß; kurze Zeit darauf bekamen die Juden die Fernsprechapparate überhaupt weggenommen. Die Verfügungen über Luftschutzkeller und befristeten Ausgang sind hier sicher bekannt.
1941 erhält auch der jüdische Teil in Mischehen die Kleiderkarte wieder, ebenso bekommt er die Lebensmittelkarten, die er wie alle Juden in der Provinz auf den Lebensmittelämtern abholen mußte, durch die Blockwalter der NSV wieder zugestellt. Auch bekommt er vorübergehend das „J“ nicht mehr auf seine Lebensmittelkarten aufgedruckt. In der Provinz tragen die Lebensmittelkarten nur in der Mitte - auf dem Stammabschnitt - ein „J“, während in einer Reihe von Großstädten jeder einzelne kleine Abschnitt ein „J“ eingedruckt hat. Alle anderen - außer den oben angeführten - Anordnungen gelten nach wie vor für alle Rassejuden.
In der Provinz müssen Juden in bestimmten Geschäften und zu bestimmten Zeiten - vor allem Lebensmittel - einkaufen. Die Regelung ist lokal ganz verschieden. Teilweise ist der Einkauf nachmittags zwei Stunden gestattet, und zwar täglich, woanders wieder nur zweimal wöchentlich am frühen Morgen (diese Zeit ist bestimmt die beste, da am Morgen die Ware immer da ist). Es gibt Städte, da bekommen Juden die Fischkarte, in anderen wieder nicht. Teilweise sind Abschnitte entwertet, d. h. daß die Artikel, die es auf diesem Abschnitt gibt, Juden nicht zu verabreichen sind (Schokolade, Hülsenfrüchte und sonstige Sonderzuteilungen). Jüdische Weltkriegsteilnehmer, die nachweisbar verwundet waren, können auf Antrag, über den eigenartigerweise die Gestapo entscheidet, alle Sonderzuteilungen bekommen.
Männer, die mit Jüdinnen verheiratet sind, wurden aus dem Heeresdienst wieder entlassen, ebenso Mischlinge ersten Grades. Aus allen Versicherungen und Privatkrankenkas-sen mußten Juden ausscheiden. Pensionen - auch staatliche und städtische - werden im allgemeinen weitergezahlt. Ich darf hier einen Fall anführen, der besonders interessant ist.
Ein Jude, der über 30 Jahre in einem Industriewerk beschäftigt war, mußte vor einigen Jahren, 58 Jahre alt, entlassen werden; der schon lange sozialisierte Betrieb zahlt seinen alten Betriebsangehörigen gute Pensionen; auch unser Freund bekam von der Stunde seiner Entlassung an die ihm statutengemäß zustehende Pension. Im Februar 1940 kam der Betreffende wegen politischer Äußerungen ins KZ. Die Kinder, längst volljährig, bekamen trotzdem die Pension weitergezahlt. Im Gegenteil, Anfang 1941 stellte sich bei einer Kontrolle heraus, daß die Pension etwas zu niedrig berechnet gewesen war, und die Tochter bekam den Differenzbetrag für die ganze Zeit rückwirkend nachgezahlt.
Im gleichen Werk ist heute noch ein Volljude als maßgeblicher wissenschaftlicher Mitarbeiter aktiv tätig. (Soweit ich unterrichtet bin, darf dieser auf Grund einer Verfügung der Obersten Heeresleitung nicht entlassen werden.)
Von einem anderen bedeutenden Werk ist mir hingegen bekannt, daß der Chefchemiker, der wegen seines Wissens auch nicht auswandern sollte, eines Tages im November 1940 in ein Konzentrationslager abtransportiert wurde. Im Beisein seiner Angehörigen wurde ihm erklärt, daß er im Lager volle Freiheit genieße und daß er dort in einem chemischen Labor arbeiten solle. Nach wenigen Wochen war er aber „plötzlich“ verstorben.
Ein jüdischer Mann, der in einem arischen Betrieb beschäftigt war, kassierte eines Tages für seine Firma Rechnungen ein. Er soll bei dieser Gelegenheit an einer Stelle „Heil Hitler!“ gesagt haben - es wurde von ihm aber energisch bestritten -, eine junge Dame machte wegen dieses angeblichen Grußes bei der Gestapo Anzeige und erklärte, sie fühle sich verletzt und beleidigt, wenn ein Jude den Namen unseres Führers nur ausspreche. Die Anzeige wurde aber von der Gestapo zunächst mit der Erklärung niedergeschlagen: Es wäre unwürdig, einen wiederholt verwundeten Frontkämpfer, wenn er auch, wie in diesem Falle, Jude sei, und der sich stets national verhalten habe, zu bestrafen. Das achtzehnjährige Mädel gab sich hiermit aber nicht zufrieden und hat sich über die Kreis- und sogar Gauleitung an die Vorgesetzte Behörde dieser Gestapostelle gewandt. Die Folge davon war, daß dieser Jude dann doch eines Tages auf der Straße von der Stelle weg verhaftet und ohne Mitteilung an Frau und Kinder abtransportiert wurde. Er bekam eine Haftstrafe von zehn Tagen. Als er gefragt wurde, ob er mit der Strafe einverstanden sei , die natürlich ohne jede Verhandlung ausgesprochen wurde und er dem Gestapobeamten erklärte, „wenn Sie dies anordnen, muß ich wohl damit einverstanden sein, nur eine Frage, auf Grund welches Gesetzes werde ich verurteilt“, bekam er prompt die Antwort: „Verfluchter Judenjunge, du wagst noch nach Gesetzen zu fragen, ich soll dich gleich für immer nach Buchenwald bringen.“ Im Gegensatz zu anderen Gefangenen mußte er stets melden: Häftling Jude X.
Wer im Verkehr mit sogenannten amtl. Stellen - insbesondere mit den Finanzämtern -den zusätzlichen Vornamen Israel oder Sara wegläßt, wird im Durchschnitt zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Von einem Gefangenen im Zuchthaus Untermaßfeld ist mir durch Angehörige berichtet worden, daß dieser - er ist wegen Rassenschande verurteilt - durch Wärter und Mitgefangene nicht mit Nummer oder Namen, sondern mit „Jude“ angesprochen wird.
Auf Antrag erhielten auch Juden Volksgasmasken geliefert; bei Auswanderung mußten dieselben jedoch zurückgegeben werden.
Ich habe in meiner letzten Stellung bald ein Jahr mit französischen Kriegsgefangenen zusammengearbeitet, das ging ganz gut und ohne jede Reibung. Eines Tages wurden diese durch serbische Gefangene ersetzt. Als die letzteren eines Tages erfuhren, daß ich Jude bin, erklärte einer davon, der deutsch sprach, von Juden lasse er sich nichts sagen, und machte Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Es war natürlich für mich und meinen Betriebsleiter eine sehr heikle Situation; es war kurz vor meiner Auswanderung, und ich schied deshalb aus der Stellung etwas eher aus als vorgesehen, und wurden dadurch ernstliche Differenzen, die vielleicht auch mir nur schaden konnten, vermieden.
Ich war übrigens in dieser meiner letzten Stellung als Lastkraftwagenführer tätig und durch die Kreis- und Landesbauernschaft reklamiert. Ich betone dies nur, um den gewaltigen Mangel an Arbeitskräften zu dokumentieren. Ich war der einzige Jude in Mitteldeutschland, der nach ausdrücklicher Genehmigung durch das Innenministerium den Führerschein - allerdings nur für die Kriegsdauer - wiederbekommen hatte. Ich muß feststellen, daß sich alle Behörden bei Ausstellungen von Bestätigungen und sonstigen Unterlagen zur Auswanderung sehr korrekt und höflich benommen haben, alles wurde wunschgemäß und auch stets prompt und schnell erledigt. Die maßgebliche Devisenstelle hat sich bei Genehmigung der Gepäckliste sehr großzügig verhalten.
Es hat sich immer wieder gezeigt, daß die breite Masse mit dem Radau- und Gewaltantisemitismus nichts zu tun haben will, ja gar nicht einverstanden ist. Aber keiner wagt etwas dagegen zu sagen oder gar sich dagegen aufzulegen, die Angst ist zu groß. Die Angst ist sogar so groß geworden, daß es viele Leute zu vermeiden suchen, sich auf der Straße zu einem Juden hinzustellen, während sie abends gern zu ihm in die Wohnung kommen.