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Chronik und Quellen
1941
April 1941

Ermordung Geisterkranker

Willy Cohn hält am 1. April 1941 in seinem Tagebuch fest, dass er von der Ermordung jüdischer Geisteskranker in Chelm bei Lublin gehört hat:

Breslau, Dienstag. Heute war für mich schon ein sehr bewegter und anstrengender Tag; ich halte ja leider nicht viel aus! Beim Milchholen lange gewartet; Bank; dort die Freude gehabt, daß von der Lehranstalt 100 Mark eingegangen waren. Ich hänge ja nicht sehr am Gelde, aber man braucht es schließlich doch zum Leben. Und ich muß ja überhaupt noch besonders dankbar sein, daß ich verdienen darf. Auf der Bank aber auch einen sehr traurigen Eindruck gehabt. Ich sah gerade, wie ein älterer Jude eine Rechnung der Irrenanstalt Chelm bei Lublin bezahlte. Das ist die Anstalt, von der erzählt wird, daß man dort alle jüdischen Geisteskranken umbringt. Ich fragte ihn voll Mitgefühl, ob er für jemanden bezahlt, der hoffentlich noch am Leben ist; worauf er sagte, seine Frau lebe jedenfalls nicht mehr. Ich fragte ihn, wo sie vorher gewesen sei: „In Braniß“, und ob sie ganz wahnsinnig gewesen sei, worauf er sagte, sie habe eine Manie gehabt. Es ist grausig, wie man mit den kranken Menschen verfährt. Auch ein früherer Schüler von mir, Mamlok aus Militsch, ist dort an „Kreislaufschwäche“ gestorben; man schickt dann einfach Todesanzeigen mit solchen Diagnosen. Die Nachricht hatte mich so mitgenommen, daß ich mich dann in der Straßenbahn ein Stück verfahren habe.

Archiv: Die sehr interessanten Akten aus Sagan weiter geordnet; wenn man Zeit hätte, das alles durchzusehen. Überraschenderweise kam dann Susannchen mit Hanna Schmollny. Sie wollten eigentlich auf den Tippelmarkt und hatten sich verfahren. Zuerst war ich etwas erschrocken, weil ich dachte, Trudi ließe mir etwas sagen, aber dann habe ich mich sehr gefreut. An meinen Sachen konnte ich heute nicht arbeiten, was auch weiter kein Unglück ist.

Der Pfarrer aus Tarnowitz war wieder da. In den K.Z. sollen in jeder Nacht drei Menschen sterben; am nächsten Morgen müssen dann beim Appell die Decken der Toten zur Stelle sein. In Oberschlesien sind die Polen auf halbe Lebensmittelrationen gesetzt worden. Aus der Zeitung bemerkenswert: Die Italiener geben die schweren Verluste in der Seeschlacht im Mittelmeer zu. Sie haben u. a. drei Kreuzer verloren. In Jugoslawien ist eine sehr scharfe antideutsche Bewegung ausgebrochen! Ich glaube, daß Italien nicht mehr lange mitmachen wird. Aber alle Rückschläge werden uns deutsche Juden treffen.

Mit den Kindern nach dem Neumarkt gegangen; wir dachten, es wäre Topfmarkt, das war aber nicht der Fall. Die beiden Mädels in die Straßenbahn 18 gesetzt; ich selbst mit der 9 zur Gemeinde, um die Lebensmittelkarten abzuholen, die Frl. Silberstein für uns besorgt hat.

Viele Leute gesprochen, auf der Straße lief ich gerade dem alten Leß in die Hände, den ich ja nicht sehr schätze und der mit mir wegen der Notizen im Nachrichtenblatt sprach, dann längere Zeit Dr. Pex gesprochen. Er sprach sich sehr lobend über Trudis Arbeit im Kursus aus, über den ich ja nicht sehr glücklich bin, aber andererseits freut es mich, daß Trudi Anerkennung findet, woran ich auch gar nicht gezweifelt habe. Ella nur im Vorbeigehen begrüßt. Mit Hannah Lemm, der Tochter des Rabbiners, der schönen Krankenschwester bis zur Viktoriastraße gefahren. Sie scheint ein sehr kühler Mensch zu sein; wir unterhielten uns über ihren Bruder; sie hatten in letzter Zeit 3 Rote-Kreuzbriefe von ihrem Bruder aus Jerusalem; er scheint dort auf die Schule zu gehen. Wir warten doch so sehr auf Nachrichten von den Kindern!

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