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Chronik und Quellen
1944
Dezember 1944

Erlebnisse in Auschwitz-Birkenau

Helmut Lohn, zunächst von Köln nach Theresienstadt deportiert, schildert unmittelbar nach Kriegsende seine Erlebnisse in Auschwitz-Birkenau:

geschrieben Jahre 1945
Alle Zahlen sind neu geschätzt u. daher nicht genau zu nehmen.

Helmut Lohn
04516 Av. Rouxinol 407, Apto. 24
01000 Sao Paulo

Birkenau-Auschwitz!

Die Aussortierung des SS-Officiere ist vorüber. Sein Daumen hat mich auf die linke Seite gewiesen. So wurde ich von unzähligen Kameraden getrennt nichtahnend daß sie in das tödliche Gas geschickt wurden.

In einer langen Schlange standen wir, vollkommen beeinflusst durch all das Furchtbare um uns. Auf den Wiesen die mit elektr. Stacheldraht und hohen Wachtürmen (MG & Scheinwerfer) bewacht sind hören wir klägliches Geschrei von Häftlingen, die Sport machen müssen oder sonstigen Strafen ausgesetzt sind. Für uns Neulinge ein furchtbar entmutigender Empfang. Dann kommt das Kommando zum Abmarsch. Zwischen elektr. Stacheldrähten, von SS mit geladenem Gewehr in der Hand tragend, werden wir begleitet. Wir haben nicht schwer zu tragen, da wir ja alles im Zug lassen mussten. Ich hatte mir aber noch einige Brote heimlich in die Tasche gesteckt. Nach einigen Kilometern Marsch, kommen wir vor mehreren Baracken an. Zuerst kommt der Befehl, alle Uhren, Gold & Wertgegenstände in ein ausgebreitetes Bettuch zu werfen. Ich verdrücke mich in eine Ecke der Baracke und esse meine heimliche Vorräte. Dann beginne ich sämtliche Papier, Photos und was ich überhaupt besitze zu vernichten. Bevor ich sie den Nazis gebe, vernichte ich sie lieber selbst. Dann kommt das Kommando, je 100 Mann zum Brause antreten. Vor dem Bad müssen wir uns nackt ausziehen. Befehl kommt, nicht mit reinnehmen, ausser seinen Schuhen, Gürtel & Brille. Manch einer versucht ein Stück Seife, oder eine Photographie seiner Liebsten, mit durchzuschmuggeln, aber meistens fällt er auf und bekommt eine ordentliche Tracht Prügel zur Einführung. Ich verzichte darauf und werfe das Stück Seife lieber weg. Zuerst kommen wir zu den Frieseuren (meistens holl. Juden) die uns bis auf 1 mm die Haare scheeren müssen. Nachdem diese nicht erfreuliche Prozedure überstanden ist, kommen wir unter die Brausen und müssen anschliessend im nassen Zustand eine der berüchtigten Zebra Hosen & Jacke und Mütze anziehen. Dann müssen wir, nass wie wir sind draußen im Schnee aufstellen und warten bis alle 2000 durch sind. Spätabends marschieren wir dann endlich ab zu unseren Schlafstellen. Wir kommen in das C Lager Birkenau. (Zigeunerlager). Ich war schon auf allerhand vorbereitet, aber das übertraf die schlimmsten Erwartungen. Wir marschierten zu 700 Mann in eine vollkommen leere Baracke. Ein Schwerverbrecher (mit grünem Winkel begrüsste uns mit einem schweren Knüppel als „Blockältester”. Sodann stellte er uns seine weiteren Handlanger vor, wie Stellvertreter, Hausdienst, Schreiber usw. alle ähnlich bewaffnet. Nachdem wir zu je 350 Mann in 10er Reihen angetreten stehen, beginnt er uns mit den Verhältnissen eines KZ Lager vertraut zu machen. Wir begreifen dass er der authorisierte Vertreter der SS ist und das Faustrecht die einfachste und durchgreifenste Aufgabe ist die er zu erfüllen hat. Zuerst fordert er uns auf das eindringlichste auf, etwa durchgeschmuggeltes Gold oder Wertgegenstände ihm auszuhändigen, ebenso wer noch gute Stiefel besitzt, da er diese Sachen dort sehr gut zum organisieren von Lebensmittel für sich gebrauchen könnte. Das war nun die neue offene Art des Diebstahls, über deren Offenheit ich vollkommen verblüfft war. Dann kam die Drohung bei wem er nachher etwas findet, der könne sich freuen. Auf unsere Beteuerung dass wir doch vollkommen nackt in Lager marschiert sind und alles dalassen mussten, lachte er nur und sagte, ich finde trotzdem noch was, und tatsächlich fand er bei einem Holländer einen Juwel im Schuh. Die Freude des Blockältesten war gross. Der arme Holländer bekam als Anzahlung 25 mit seinem schweren Knüppel. Da er zwischendurch ohnmächtig wurde, schüttete man kaltes Wasser nach, und sobald er wieder dabei war, bekam er den Rest der Züchtigung. Da er auch am andern Tag drangsaliert wurde, zog ers vor an den Draht zu laufen und seinem Leben eine Ende zu machen. Des Abends hielt uns dann der Blockältester-Stellvertreter auch noch einen Vortrag, wo er unter anderen erwähnte, dass der Blockälteste eine Seele von Mensch wäre, wenn er uns auch schon mal schlüge, dass

 

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müßte man so sein. Dann kommandierte die Seele von Mensch, dass wir uns zwecks Nachtruhe, je 10 Mann ineinandergeschachtelt mit angezogenen Knien, rechts & links auf Tuchfühlung, hinhocken mussten und zwar die ganze Nacht, ca. 10 Nächte lang. Wir waren alle froh, wenn morgens um 4 Uhr das Kommando aufstehen erfolgte. Denn es war eine furchtbare Qual Nacht für Nacht eng gegeneinander gepresst. Nur der Vorderste konnte seine Füsse ausstrecken. Der letzte wurde dagegen von den andern 9 fast erdrückt.. Seine Bedürfnisse durften wir nur in Kolonnen zu 10 Mann 1 mal am Tag verrichten. Tagsüber standen wir den ganzen Tag bei furchtbarem Wetter vor der Baracke Appell im tiefen Schlamm oder Schnee und waren dauernden Schlägen unserer Vorgesetzten ausgesetzt. Abends hatte unser Block- - ein neues Spiel mit uns, indem er uns unsere Schuhe ausziehen liess, und alle in dem mittleren Gang der Baracke auf einen Haufen werden liess. Nachts suchte er dann in aller Gemütlichkeit die besten für seine Zwecke aus. Wenn er dann morgens aufstehen kommandiert stürzten sich 700 Menschen auf die Schuhe, jeder das erste beste Paar, ob es passte oder nicht, keine wollte unter den letzten sein, die dann keine Schuhe hatte. Nach 3 Tagen stand bei mir bereits fest, länger als noch 8 Tage halte ich es hier nicht mehr aus. Die Suppe assen wir mit den Fingern aus ungespülten Schüsseln, morgens Kaffe, mittags Suppe, abend wieder Kaffe drin, immer eine andere ungespülte Schüssel. Waschgelegenheit bekamen wir überhaupt nicht zu sehen. Frieren und Schläge, dazu die dauernde Ansicht der 5 Krematoriums-Schornsteine, deren Flammen Tag & Nacht häuserhoch flammten, und das Bewusstsein das man dort dauernd unsere vergasten Kameraden verbrannte, liessen auch in mir das Gefühl aufkommen, dass ich das Ganze auch höchstens noch einige Tage überstehen könnte. Es gab für mich nur eins, nur fort aus diesem Lager, ganz egal wohin. Facharbeiter wurden dauernd von anderen Lägern angefordert und Auschwitz-Birkenau war nur ein Auffangs-Vernichtungslager. Ich hatte nun Glück gleich nach 10 Tagen bei der ersten Auswahl, wurden Eisendreher verlangt, ein Ingenieur und mehrere SS musterten uns und stellten fachliche Fragen, bei insgesamt 89 Mann war auch ich dabei. Man sagte wir kämen nach Leipzig in eine Fabrik und unsere Freude war gross. Leider stimmte es mal wieder nicht, wir kamen nur in das ¼ Std. weiter gelegene Hauptlager Auschwitz I. Das Lager war noch kleiner, aber Stammlager und vor allen Dingen sanitär. Steinhäuser mit 2 Betten übereinander Brausebaracken, in jedem Block Waschgelegenheit. Und vor allen Dingen, wir arbeiteten wieder. Das Apellstehen in unserer Freizeit und die Schläge waren allerdings genau so schlimm. Für unsere Arbeit bekamen wir Prämienscheine ca. RM 0.50 die Woche, dafür konnten wir Zigaretten oder Senf (je nach Bestand) in der Kantine kaufen. Hunger musstern wir weiter und ich war froh als ich in der Fabrik in welcher ich arbeitete zur Nachtschicht versetzt wurde. Bekamen wir doch dann einen 2. Teller Suppe. Nur der Kapo in der Nachtschicht war furchtbar, so schlug er mir einmal - weil ich das 3. mal während der Arbeit zur Toilette musste - 3 Rippen kapput. Auch war es ihm ein Vergnügen uns bei dieser Gelegenheit mit kaltem Wasser zu überschütten, sodass wir die ganze Nacht nass arbeiten mussten. Aber im Allgemeinen war ich mit meiner Arbeitsstelle ganz gut daran. Besser jedenfalls als die, welche im Freien arbeiten mussten. Ich werde nie den Tag vergessen, wo ich einen Tag lang aushilfsweise Kartoffeln von Waggons in die Scheunen tragen musste. Immer in Laufschritt. Eine lange Reihe von SS und Kapos standen Spalier und wer nicht lief kriegte einen mit einem Knüppel über den Rücken. Bei dem Tempo klappte man bald zusammen. In dem Union Weichselwerk wo ich arbeitete, kriegte man nur 25 wenn man etwas versaut hatte und ich hatte in dieser Beziehung an meiner Hobelmaschine (Sheppingbank) ziemliches Glück. Es waren auch 1000 Frauen ausser uns 1000 Männer in der Fabrik. Fast alles Juden. Sprechen mit den Frauen war streng verboten und sehr gefährlich. Doch suchte ich die 2 einzigsten deutschen Jüdinnen die noch dabei waren oft auf

 

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und unterhielt mich - hinter einer Kiste versteckt - mit Ihnen. Leider war es so, dass tatsächlich nur noch ganz wenige deutsche Juden am Leben waren. Es war furchtbar traurig, man durfte nicht darüber denken. - Meine Freunde waren sämtliche theschiche Juden, denen noch heute meine ganze Achtung & Liebe gehört. In den Pausen träumten wir oft ob wir die Freiheit nochmals sehen würden. Ein jeder kannte die Familie des andern ganz genau. Ein jeder lud den andern, für den Fall dass noch mal --- für später in sein Haus ein. Ein jeder sagte wie die Angehörigen sich freuen würden, mich gastlich einladen zu können. Und keiner wusste, dass sie fast alle - sofern sie selbst lebend blieben - später mutterseelen allein dastanden -------.

Mancher Industrielle lehrte mich Fachkenntnisse. So dass ich z. B. die Herstellung von Schockoladen und ähnlichem in der dort so geistlosen Zeit x mal zu hören bekam. Die übrige Unterhaltung war bei den meisten Häftlingen nur über das Essen. Je weniger man hatte desto mehr wurde darüber phantasiert. Die herrlichsten Gerichte aller dort vorhandenen Nationen träumten uns durch die furchtbare Wirklichkeit. Aber auch manche schreckliche Ereignisse, jagten uns neue grosse Sorgen ein. So vergesse ich niemals im Leben den Morgen, als wir todmüde aus unserer Nachtschicht heimkehrend nach einer Stunde Schlaf mit furchtbaren Schlägen aus unseren Betten geholt wurden. Stellvertretender Lagerkommandant Kadok erschien mit einer Reitpeitsche und einem Trupp SS-Männern, liess uns unter Schlägen schnellstens antreten und eröffnete uns dann, dass im Laufe der vergangenen Nachtschicht 1 Revolver und 300 Prämienscheine aus der Bude des Kommandoführers aus der Fabrik gestohlen worden war. Falls wir uns freiwillig meldeten, passierte uns nicht. - Keiner meldete sich -. Darauf erfolgte Befehl an den Blockältesten und Kapo in unserer Gegenwart, dass kein Essen für uns mehr in die Fabrik zu schaffen sei, da im Falle des Nichtauffindens des Revolvers bis zum Abend - das Kommando geschlossen vergast würde. -- Lagerkommandt Hössler erschien dann selbst bei uns, hörte sich den Bericht an und wiederholte den Befehl dass wenn die Angelegenheit bis Abends nicht geklärt wäre, einen ganz bestimmten Weg ginge ++. (annährend 1000 Mann). Dann wurden sämtliche Häftllinge in der Tür nochmals durchsucht, bekamen wieder Schläge und durften draussen warten. Dann wurden alle Betten durchsucht und wir durften wieder reinkommen. Abends kam endlich der Befehlt dass der Revolver gefunden wäre wir doch auszurücken hätten. 2 Frauen hatten sich freiwillig gemeldet die die Bude geputzt hatten. Sie wurden bei unserm ausrücken aneinander gefesselt an uns vorbeigeführt und aufgehangen. Es war dies für uns ein ziemlich harter Tag gewesen, da täglich dort viele tausend Menschen vergast wurden und immer noch zuviele da waren.

So lebte man voller Angst von einem Tag in den andern. Erst als durch einen mutigen Sabotageakt 4 Schornsteine in die Luft gesprengt wurden (4 Frauen wurden dabei hingerichtet) liess die Gross-Vergasung nach und befreite einen wenigstens von dieser Todesart.

Wie wir Auschwitz verliessen, berichtete ich in einem extra Bericht.

Helmut Lohn
Av. Rouxinol 407, Apto. 24
04516 Sao Paulo - Brasil
Telefon (011)613442

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