Paul Eppstein in Theresienstadt
1961 erinnerte sich Klara Caro an ihre gemeinsame Zeit mit Paul Eppstein in Theresienstadt:
Klara Caro: „Paul Eppstein in Theresienstadt”
20. Oktober 61
Trotzdem nun ca 16 Jahre dazwischen liegen, haben sich manche Dinge in der schrecklichen, absonderlichen Zeit so eingepraegt, dass sie bei scharfem Nachdenken wieder an die Oberflaeche des Gedaechtnisses gelangen. Man kann ueber Paul Epstein nicht sprechen ohne Jacob Edelsteins zu gedenken, weil Epsteins Beurteilung doch mit seinem Verhaeltnis zu E. zusammenhaengt. E. ging mit einer Gruppe von Poallei Zionisten nach Th. um unter unvorstellbaren Schwierigkeiten aus dem Nichts das „bevorzugte Ghetto” aufzubauen. Er lebte in jeder Beziehung das Leben seiner Kameraden mit. Als die Bodenbach Kaserne geraeumt wurde - ich erinnere mich seiner grossartigen Rede - blieb diese innige Verbindung bestehen. Der Judenaelteste E. blieb weiter der Kamerad der Arbeiter, das zeigte sich auch in der Einfachheit seiner Kleidung, der Primitivität seiner Wohnung in der Magdeburger Kaserne, in seinem ganzen Auftreten und Gehaben. Zu ihm zu kommen, bedurfte es keiner Anmeldung, Tag und Nacht stand seine Wohnung Jedem offen. Dazu im Gegensatz Paul Epstein! Als er mit der Reichsvertretung ½ Jahr spaeter in das Ghetto kam, war das Ghetto einigermassen durch die Tuechtigkeit und den Fleiss der tschechischen Juden aufgebaut und dasbez. das Schlimmste vorueber. P. E. kam als Vorgesetzter, schon aeusserlich in seiner kultivierten, aesthetischen Art und seinen aristokratischen Allueren ein Gegensatz zu Edelstein. Hinzukam die den Tschechen sowieso verhasste Art der Pedanterie des sogenannten Preussentums, das er im Guten und Schlechten verkoerperte. Anstatt in der immerhin heiklen Situation Takt und Zurueckhaltung zu bewahren, legten er und Andere seines Stabes ein arrogantes und herausforderndes Benehmen an den Tag. Das begann schon damit, dass seine Sekretaerin sich schon am ersten Morgen auf den Sitz der sehr verdienten Frau Steif, der Sekretaerin von Edelstein plazierte, und Alles den Anschein hatte, als wolle man den bisherigen Judenaeltesten und seine Mitarbeite an die Seite schieben. Um zu Epstein zu gelangen, bedurfte es steter Anmeldung, er war koeniglich, unnahbar. Seine Wohnung, fuer dortige Begriffe elegant, er hatte sogar mit Erlaubnis der Nazis seinen Fluegel und gab fuer Geladene, hochmusikalisch wie er war, Hauskonzerte. Sehr wenig schoen war sein Verhalten nach dem Unglueck der Verhaftung von Edelstein. Dessen wundervolle Frau Mirjam wartete oft vergebens auf ein Wort der Nachricht oder des Trostes, wenn Epstein von der Kommandatur kam oder er liess die Geschlagene zu sich kommen.
Dass Epstein den Nazis gegenüber es an dem noetigen Stolz - wie behauptet wurde -, fehlen liess glaube ich nicht. Im Gegenteil, sie hassten ihn sicher besonders wegen seines selbstbewussten Auftretens. Epstein war ungeheuer begabt, geistig ueber Durchschnitt. Seine wissenschaftlichen
Vortraege waren nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorische meisterhaft. Er war ein glaenzender Dialektiker und Paedagoge. In der Debatte brillierte er wie in unserem zionistischen Elitekreis, den Professor Franz Baum und Franz Kahn aus Prag leiteten. Ich habe nie vorher oder nachher einem Kreis mit einem solchen Niveau angehoert. In der Neujahrskundgebung, einen Tag vor RauschHachono, hielt er seine letzte sehr mutige, aber sehr unvorsichtige Rede. Ob er ahnte, dass es sein Schwanengesang war, ob er selbst so ueberzeugt von dem nahen Zusammenbruch war, wer kann es wissen. Er brachte das Gleichnis vom Schiff, das bald im Hafen sicher landen wuerde trotz aller Stuerme. Am selben Abend kam er auf die kleine Festung als Auftakt fuer die Tragoedie des Transportes der 20000 Volljuden nach Auschwitz. Erst nach der Befreiung erfuhren wir sein tragisches Ende. In mormalen Zeiten waere Epstein bei seiner Begabung eine Leuchte seines Berufes und wahrscheinlich auch ein Stolz fuer unsere Gemeinschaft geworden. Wie auch immer seine Maengel gewesen sein moegen, er hat sein Bestes getan in einer abnormen Situation und verdient deshalb in die Reihe der Maertyrer eingereiht zu werden, denen wir ein ehrendes Andenken schulden.
Klara Caro