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Chronik und Quellen
1945
Februar 1945

Befreiung der 1.200 aus Theresienstadt

Klara Caro berichtet 1961 über ihre Befreiung aus Theresienstadt:

Die Befreiung der Zwoelfhundert Theresienstaedter in die Schweiz
Klara Caro

Nach dem furchtbaren Unglueck des Abtransportes der 20000 nach Auschwitz hatte sich ein laehmender Schrecken auf das Ghetto gelegt. Nichts von der so hoffnungsfrohen, optimistischen Stimmung, die Alles im Erdulden so erleichtert hatte, war noch vorhanden. Beraubt aller Freunde, aller zionistischer Gesinnungsgenossen, beraubt des seelischen Halts, den die kulturelle Arbeit gegeben hatte, vegetierte man, zum ersten Mal nahe an Verzweiflung dahin. Hinzu kam, dass wir, glaube ich nur noch 3000 Volljuden im Ghetto waren, sonst Alles Getaufte und Mischlinge, die auch nun die Aemter in Haenden hatten, (wie die getaufte Baronin Stengel, die Jugendfuersorge,) und zu denen wir Juden nicht die geringste Beziehung, sondern nur Misstrauen und Fremdheit empfanden. In diese Stimmung hinein kam an einem Samstag Mittag Ende Januar 45 Frau Bertha Falkenberg zu mir mit einer Botschaft von Leo Baeck. Es ginge ein Transport in die Schweiz, und er haette uns Beide auf die Liste der evtl. Teilnehmer gesetzt. Bertha Falkeberg gehoerte zu den bedeutenden Frauen des Juedischen Frauenbundes. Sie war die Leiterin der Berlinergruppe und viele bedeutenden Institutionen waren ihrer Initiative zu verdanken. Durch ein Wunder vor Auschwitz bewahrt und Theresienstadt ueberstanden, starb sie in der Schweiz einen Tag vor ihrer Emigration. Wir wollen die Botschaft nicht glauben, trotzdem die Quelle viel zu ernsthaft war, als dass nicht doch Ernst dahinter sein muesste. Aber wie koennte das moeglich sein? Wir hatten noch nie von solcher Moeglichkeit gehoert. Ich beschloss in die Magdeburger Kaserne, dem Sitz der Ghetooverwaltung zu gehen und zu Frau Murmelstein, wo sich so wie so 2 bis 3 Wizofrauen, der traurige Rest unser grossen wunderbaren Wizogruppe, jeden Samstag Nachmittag trafen. Frau M. war eine bescheidene, guetige Frau. Sie hat sich - wie ich hoerte - nach der Befreiung sofort scheiden lassen und ging in ihre Heimat Budapest zurueck. An jenem unvergessenen Samstag empfing sie mich mit den Worten: „Es geht ein Transport in die Schweiz und Sie sind als Erste auf der Liste”. Es hiess man koennte sich freiwillig melden. So lief ich sofort zu Anderen,

 

II

wen ich immer nur kannte, mit der Wunder Kunde, die bald wie ein Lauffeuer das Ghetto erfasst hatte. Nur Volljuden seien zugelassen, aber sonst wusst man nichts Naeheres. In der Nacht - merkwuerdigerweise ging dort Alles in der Nacht vor sich - kam die Nachricht, dass die Migehenden sich sofort an einer bestimmten Stelle zu melden haetten. So zog dann durch die nur von Mondeslicht beleuchteten Gassen ein Zug aufgeregter Menschen, zweifelnd, fragend, beunruhigt. An der Meldestelle sass ein mir bekannter tschechischer Ingenieur, Tschechojude, der mir sagte: Es ist wahr. Gehen sie mit. Aber ausschlaggebend war mir, die Ansicht der Polizeiraetin Mosse, die ich aus der Jugendfuersorgearbeit kannte und die mir versicherte, sie habe den deutschen Beamten gesprochen, der fuer die Aktion in das Ghetto kam. So liess ich mich einschreiben. Der naechste Tag verlief in grosser Unruhe, denn immer wieder kamen die Zweifler, die hinter dem Angebot eine der genugsam bekannten Nazifallen vermuteten. Dann kam ploetzlich die Weisung: Wer mitwolle, muesse am naechsten Tag zum Lagerkommandanten, da er die Auswahl treffen wuerde, und es kam dann sofort die Aufforderung zum Erscheinen. Diese Tatsache, der gefuerchteten Bestie gegenueberzustehen, erfuellte uns mit grosser Furcht und daempfte alle Hoffnung. Was wird herauskommen, vielleicht noch Schlimmeres! Man wartete Stundenlang, musste Einzeln herein, aber Niemand der Abgefertigten wusste, war er dabei oder nicht oder nach welchen Prinzipien die Wahl vor sich ging. Das merkte man erst spaeter. Naemlich nach dem, wer faehig waere zu erzaehlen. Mein Glueck war, dass die Bestie - er ist spaeter in Prag gehaengt worden, mich als Reichsdeutsche nicht kannte, noch wusste von meiner Taetigkeit als Leiterin der Wizo im Ghetto, und dass ich einmal die Erste sein sollte, die im Mai 45 auf der Wizotagung in Bern ueber Theresienstadt berichten sollte. So entspann sich zwischen mir und Herrn Rahm folgendes Gespraech: Was war der Mann? Rabbiner. Wo ist er gestorben? Theresienstadt. Woran, das war die verfaengliche Frage. Ich sagte Mittelohrentzuendung. Da sah er mich scharf an und wiederholte drohend das Wort wie: Sage nie etwas Anderes. So war ich im Transport. Haette ich gesagt, Er ist

 

III

verhungert, was der wirkliche Grund war, haette ich die Freiheit nie wiedergesehen. Nun folgten Stunden der Ungewissheit und des Schwankens, da immer noch Stimmen abrieten vor Angst, es sei eine Falle. Dann kam der Bescheid, zu einer gewissen Stunde in einer Kaserne mit Gepaeck zum Abtransport zu sein. Es waren bestimmte Vorschriften, was wir von unseren Habseligkeiten nicht nehmen durften, z. B. kein Ghettogeld, kein Bild etc. Die bei mir bei seinem Abtransport versteckten Bilder des Malers Dichters und Arztes Dr. Fleischmann brachte ich noch schnell zu Professor X, dem Leiter der Bibliothek, der sie spaeter in Prag ausstellen liess. In der Kaserne war es insofern anders als bei Ostentransporten, dass wir frei dort umhergehn und miteinander sprechen konnten. Dann bekamen wir Reiseproviant mit Kostbarkeiten, reichlich Brot, Butter, Wurst, was wir nie dort sonst zu kosten bekommen hatten. Ploetzlich sollten wir uns versammeln und Herr Rahm hielt eine Abschiedsrede mit dem Verbot nie etwas zu erzaehlen, da sonst kein weiterer Transport gehen wuerde, von den in die Schweiz Geplanten. In Wirklichkeit sollte der im April Aufgerufene vergast werden, was durch das Dazwischenkommen von Graf Dunant, dem Leiter des Roten Kreuzes, kurz vor der Befreiung verhindert wurde. Im Gegensatz zu sonst wurden wir auch beim Einsteigen nicht geschlagen und beschimpft. SS Soldaten standen stumm vor dem Zug. Ebenfalls im Gegensatz zu den Osten Transporten waren die Fenster nicht plombiert, sondern offen. Es waren 3. Klasse D Wagen und wir sassen dicht gedrängt zusammen, das Gepaeck in den Gaengen. Es muss Nachmittag 4-5 gewesen sein, als sich der Zug in Bewegung setzte, denn die Arbeiterinnen von der Glimmerfabrik, einer Kriegs Sklawenarbeit, kamen gerade zurueck. Sie winkten uns zu, mit welchen Gefuehlen wohl und das war das Letzte, was ich vom Ghetto sah. Nun begann die Fahrt ins Blaue. Irgend Jemand erkannte Nuernberg dem Erdboden gleich. Wir fuhren und fuhren Tag, Nacht. Nur Zivilpersonen schienen den Zug zu begleiten. Dann kam ein denkwuerdiger Augenblick. Einer kam an die Tuer und sagte: Im Namen des Fuehrers, Sie duerfen den Stern abtrennen. Nun begannen auch die immer noch

 

IV

Zweifelnden zu glauben. Dann kam noch ein Rueckschlag. Zu Beginn der 2. Nacht blieben wir ploetzlich im Stockdunkeln auf offener Strecke stehen, die ganze Nacht. Was der Grund war, weiss ich bis Heute nicht, vielleicht ein voraussichtlicher Fliegeralarm. Es war unheimlich, das Schweigen, das Nichtwissen wie was, und man tat nun Alles die Kleinmuetigen zu troesten. Dann ging es Morgens ploetzlich weiter. Der Zivilbeamte erschien wieder und gab den Befehl, die Maenner sollten sich rasieren, die Frauen frisieren. Wie die Maenner das tuen konnten, da wir kaum Trinkwasser hatten, (einmal hatten Soldaten auf einer Station welches hereingereicht,) weiss ich nicht. Und dann konnte wir glauben, denn wir fuhren in den Konstanzer Badischen Bahnhof ein und sahen zum letzten Mal die verhassten Hackenkreuzfahnen. Und dann hielt der Zug in Kreuzlingen auf Schweizer Boden. Bei allem in einem langen Leben Erfahrenen, kann ich nur sagen, dass das der groesste Augenblick meines Lebens war. Es ist auch unmoeglich die Gefuehle zu beschreiben, die man in der wiedererlangten Freiheit empfand. Da standen Schweizer Rote Kreuz Schwestern und gaben Aepfel und Schokolade, Kostbarkeiten, die wir nicht mehr kannten. Da waren der tschechiche, oesterreichische und hollaendische Konsul. Nur fuer uns Reichsdeutsche war Niemand da. Dann ging es weiter nach St Gallen. Und Jemand sagte: „Lasst uns Kaddisch sagen fuer die, die diese Stunde nicht erleben.” Und wir sagten Kaddisch. Und das ist die Geschichte der Befreiung von 1200 Juden aus Theresienstadt in die Schweiz.

Vorstehendes ist das von Frau Klara Caro, 250 Cabrini Boulevard 9 B, New York 33, mit Brief vom 20. November 1961 an Dr. Ball-Kaduri in Tel Aviv übersandte Original
im Dezember 1961
(Ball-Kaduri)

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