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Chronik und Quellen
1940
September 1940

Bitte um Volksempfänger

Emilie Cassel bittet den Polizeipräsidenten in Stettin am 9. September 1940 um die Erlaubnis zur Anschaffung eines Volksempfängers, obwohl ihr Mann „Nichtarier“ sei:

Antrag um die Erlaubnis mir einen Radio-Volksempfänger anschaffen zu dürfen: Endesunterzeichnete ist die Tochter des 1905 hier verstorbenen arischen Drechslerm[ei] st[e]r[s] Johannes Bannert. Mein Mann, mit dem ich seit bald 40 Jahren verheiratet, ist von Geburt Nichtarier einer hier seit Jahrhunderten ansässigen Familie, ist aber bei der Machtergreifung des Führers Februar 1933 aus der jüdischen Vereinigung ausgetreten. Da auch dessen beide Brüder arisch verheiratet, haben wir auch vorher kaum welche Beziehungen zu Juden gehabt. Die nationale Zuverlässigkeit meines Mannes steht außer Frage; ich verbürge mich dafür. Er war mehr als 4 Jahre Weltkriegsteilnehmer, ist Jubilarmitglied des Stett. Turnvereins (Korp) und war bis zum Ende Mitglied des Deutsch. Flottenvereins. Unser einziger Sohn ist anerkannter Volksgenosse, seit elf Jahren arisch verheiratet, Mitglied der Deutschen Arbeitsfront und nach freiwilliger Meldung seit Februar d. J. zur Verteidigung des Vaterlandes einberufen. Er hat den Vormarsch in Holland und Belgien mitgemacht und ist zurzeit Soldat in Frankreich (F.P. Nr. 06942).

Auf meine Bitte vom 25/9. und 24/10. [1939], mir meinen Radioapparat zurückzugeben, ist mir dieses zwar versprochen worden, aber ich habe ihn leider nicht erhalten. Da ich nun annehme, daß die Rückgabe aus technischen Gründen nicht mehr möglich ist, bitte ich um die Erlaubnis, mir ein anderes Gerät ohne Auslandsempfang anschaffen zu dürfen, damit ich, da doch mein Sohn im Felde ist, die nationalen Vorgänge, die mich infolgedessen begreiflicher Weise noch mehr interessieren, verfolgen kann.

Hinzu kommt, ich bin gleich meinem Manne bald 68 Jahre alt, habe durch Unfall mein linkes Bein verloren und bin durch diese körperliche Behinderung fast dauernd an das Zimmer gefesselt. Infolgedessen halte ich auch eine 48 jährige arische Hausgehilfin, die ebenfalls nur 50 prozentig arbeitsfähig ist. Zu meiner Wohngemeinschaft gehört ferner ein bald 84 jähriger arischer Untermieter und für uns alle 4 Personen wäre das Radio die einzige Freude und Abwechslung in den kommenden langen Winterabenden. Ich bitte deshalb wiederholt um die Erlaubnis mir baldlichst einen Apparat kaufen zu dürfen.

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