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Chronik und Quellen
1940
Juli 1940

Versorgung und Arbeitseinsatz

Der Leipziger Oberbürgermeister informiert den sächsischen Wirtschaftsminister am 18. Juli 1940 über die Versorgung und den Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung in Leipzig:

Sehr geehrter Herr Staatsminister!

Unter Bezugnahme auf Ihr gestriges Ferngespräch, den Judeneinsatz und die Lebensmittelzuteilung für Juden betr., berichte ich folgendes:

Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30.4.1939 gab den unteren Verwaltungsbehörden eine geeignete Waffe in die Hand, um das Judenproblem ernsthafter, wie das bisher auf Grund bestehender gesetzlicher Vorschriften der Fall sein konnte, anzufassen. Ich habe seitdem bei der Stadtverwaltung Leipzig im Einvernehmen mit dem Kreisleiter einen Beamten, der gleichzeitig Ortsgruppenleiter der NSDAP ist, verantwortlich mit der Erledigung dieser Aufgabe betraut.

Die Bearbeitung der Mietangelegenheiten der Juden brachte zwangsweise die Erledigung anderer Aufgaben mit sich, wie Überwachung der in der Abwicklung begriffenen oder aufzulösenden Gewerbebetriebe, Arbeitseinsatz der durch die Aufgabe der Gewerbebetriebe freigewordenen Juden, Verbot des Aufenthalts der Juden auf Schmuckplätzen, in Parkanlagen und Waldungen und dann seit Beginn des Krieges Belieferung der Juden mit besonders gekennzeichneten Lebensmittelkarten, Kohlenzuteilung, Schaffung von eigens für Juden bestimmten Verkaufsstellen der verschiedenen Branchen usw. Durch sehr eingehendes und energisches Anfassen dieser Arbeiten wurde erreicht, daß von den etwa 6000 Juden, die noch am 1.6.1939 sich in Leipzig aufhielten, bis heute über die Hälfte aus- bezw. abwanderten, so daß es zur Zeit hier noch etwa 2300 Juden gibt.

Der Sachbearbeiter hatte bei den beiden letzten Besuchen des Gauleiters in Leipzig im Winter 1939/40 und Frühjahr d. J. Gelegenheit, ihm u. a. über den zahlenmäßigen Rückgang der Juden zu berichten, worüber der Gauleiter seine Befriedigung aussprach.

Ich hatte, als die Lebensmittelzwangsbewirtschaftung einsetzte, angeordnet, daß Juden keine Sonderzuteilungen zu erhalten haben. Kranke, Gebrechliche, werdende und stillende Mütter sowie Wöchnerinnen erhielten, auch auf Attest, keinerlei Bevorzugung gegenüber dem Normalverbraucher. Schwer-, Lang- und Nachtarbeiter (es gab und gibt welche) erhielten keine Zusatz- und Zulagekarten; außerdem wurden den Juden grundsätzlich weder Schuhe noch Spinnstoffe auf Bezugscheine zugeteilt.

Ich habe die Anordnung hinsichtlich der Lebensmittelzuteilung auf Grund des Erlasses des Herrn Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 11.3.1940 — II C 1 — 940 -, der für mich zwingend war, abändern müssen. Seitdem erhalten die Juden die gleichen Normalrationen wie die übrigen Versorgungsberechtigten, und die Bestimmungen für Kranke, Gebrechliche usw. gelten anordnungsgemäß auch für sie.

Gesuche auf Gewährung von Langarbeiterzulagen von Juden, die innerhalb der Stadtverwaltung oder anderswo Arbeit leisten und mindestens täglich 11 Stunden von der Wohnung abwesend sind (das ist die reichseinheitlich festgesetzte Vorbedingung dafür), habe ich mit Rücksicht auf diesen Erlaß an das dafür zuständige Gewerbeaufsichtsamt weitergeleitet und dieses Amt „um Entschließung“ gebeten. Das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt hat mit Rücksicht auf den obenerwähnten gleichen Erlaß des Herrn Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Juden Langarbeiterzusatzkarten zugebilligt.

Ihren Ausführungen, sehr geehrter Herr Staatsminister, anläßlich des gestrigen Ferngesprächs habe ich entnommen, daß Sie diese Handhabung durch das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt trotz des Erlasses des Herrn Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft nicht wünschen. Ich darf mir die Anregung erlauben, das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt in der von Ihnen gewünschten Richtung anzuweisen.

Wie oben erwähnt, war dafür zu sorgen, daß Juden in den Arbeitsprozeß eingespannt wurden. Es war insbesondere nach Beginn des Krieges bei dem Mangel an Handarbeitern nicht mehr zu verantworten, daß Juden müßig waren bezw. ihrem früheren Gewerbe offen oder versteckt nachgingen und dadurch staatliche und städtische Aufsichtsstellen dauernd beschäftigten. Es gab nur eine Möglichkeit, dem radikal zu begegnen, und zwar dadurch, daß man die Juden körperlich anstrengend und täglich möglichst lange beschäftigte. Die erforderlichen Schritte wurden zusammen mit dem Arbeitsamt durchgeführt und Juden gruppenweise und getrennt von der Gefolgschaft angesetzt. Der Herr Präsident des Landesarbeitsamts Sachsen hatte für den Arbeitseinsatz von Juden u. a. Erdarbeiten, Straßenbahnarbeiten, Aufforstungsarbeiten und Arbeiten in Gartenbaubetrieben vorgesehen. Diese Art des Arbeitseinsatzes erschien auch mir örtlich zweckmäßig. Ich habe deshalb eine Anzahl Juden, auch Jüdinnen, dem Stadtforstamt zu Aufforstungsarbeiten zugewiesen, eine größere Anzahl wurde der Städt. Arbeitsanstalt (Holzspalterei) zugeteilt, andere verrichteten Schanzarbeit und schufen Luffschutzlaufgräben an der Großmarkthalle, wieder andere waren auf dem neuen großen Müllberg beschäftigt und hatten aus der dort angefahrenen Asche Textil- und Metallabfälle, insbesondere Blechbüchsen, herauszulesen. Eine weitere Gruppe wurde für Planierungs-, Erd- und Gartenarbeiten auf den einzelnen Leipziger Friedhöfen, u. a. dem Südfriedhof, angesetzt. Schließlich wurden, um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, Juden privaten Müll-abfuhrgeschäffen zugeteilt.

Ich habe früher die Juden, die bei der Stadt Pflichtarbeit verrichteten, mit 10,20 oder 25 Pf pro Stunde entlohnt. Diese Anordnung mußte abgeändert werden, weil das Arbeitsamt Leipzig dagegen vorstellig wurde und mich auf Bestimmungen hinwies, die eine tarifmäßige Bezahlung vorschreiben.

Für das Friedhofsamt arbeiten zur Zeit insgesamt 74 Juden, und zwar 51 auf dem Südfriedhof, 15 auf der Baustelle Westfriedhof und 8 in den Anlagen des Richard-Wagner-Hains. Die Arbeiten, die die Juden dort zu verrichten haben, sind ausgesprochene Schmutzarbeiten, für die städtische Gefolgschaftsmitglieder neben der Schmutzzulage auch Schutzkleidung erhalten müßten. Beides wird Juden nicht gewährt. Auf dem Südfriedhof arbeiten sie zunächst an der Kanalisation. Sie haben die Schleusen der Hauptstraßenzuführungen zu räumen, verschlammte Wege zu säubern, verunkrautete Gemeinschaftsgrabanlagen zu reinigen, Böschungsabhänge, die mit Wildrosen besetzt sind, von Disteln und anderem Unkraut zu säubern.

Bei den Neubaustellen auf dem Westfriedhof haben die Juden Planierungsarbeiten zu verrichten und, da die Wasserleitung noch nicht in Betrieb genommen werden konnte, Wasser von weit her in Kübeln heranzubringen, um die Schmuckanlagen zu bewässern. Auch dort sind sie, wie auch im Richard-Wagner-Hain, bei der Unkrautbekämpfung tätig. Weiter sind dort grobe Wegebauarbeiten zu leisten und dafür Steine zu klopfen. Juden sind also entgegen Ihrer mir gestern übermittelten Annahme weder auf dem Südfriedhof noch auf anderen Friedhöfen dazu herangezogen worden, Gräber auszuheben bezw. zuzuschaufeln.

Heil Hitler!

Ihr sehr ergebener

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