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Chronik und Quellen
1940
Juli 1940

Lage der Juden in Frankfurt

Eine Jüdin aus Deutschland schildert einer Londoner Emigrantenorganisation die Lage der jüdischen Bevölkerung in Frankfurt am Main bis zum 11. Juli 1940:

Bericht über Frankfurt am Main im Juli 1940

Der folgende Bericht stammt von einer jungen, etwa 20-jährigen Frau, die vor Kurzem in dieses Land gekommen ist. Sie verließ Deutschland am 11. Juli 1940 und reiste über Sibirien und Japan in die Vereinigten Staaten. Man sollte beachten, dass die junge Dame Frankfurt vor Beginn der massiven britischen Luftangriffe verlassen hat.

1. Versorgungslage: Die Lebensmittelversorgung war für Nichtjuden wie für Juden ausreichend. Die Preise waren genau reguliert und lagen nicht über dem Vorkriegsniveau, außer für nicht rationierte Artikel. So kostete beispielsweise ein einfaches Seidenkleid zwischen 30 und 40 $ (Vorkriegspreis 4 -10 $); das Durchschnittseinkommen eines deutschen Mittelstandsbürgers bewegt sich bei 80 -100 $ monatlich. Die Knappheit bestimmter Lebensmittel und Dinge wie Fett, Kaffee, Stoff usw. ist allgemein bekannt und muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden.

2. Stimmung der Bevölkerung: In der Bevölkerung ließ sich kein nennenswerter Widerstand feststellen. Nicht einmal die deutschen Siege in Polen, Belgien, den Niederlanden und vor allem in Frankreich konnten die Gemüter der Deutschen bewegen. Das ist besonders interessant, wenn man sich daran erinnert, wie solche Siege zwischen 1914 und 1918 gefeiert wurden. Es schien so, als ob alle froh wären, wenn dieser Krieg bald enden würde. Dieses Gefühl könnte sich in der Zwischenzeit noch verstärkt haben, da die erstaunliche britische Gegenwehr im Juli 1940 noch nicht abzusehen war.

3. Luftangriffe auf Frankfurt: Jede Nacht war Fliegeralarm zu hören. Alle - außer den Alten und Kranken - waren gesetzlich dazu verpflichtet, sich in die Luftschutzkeller zu begeben. Die sichtbaren Schäden fielen äußerst gering aus. Einmal brach im Verwaltungsgebäude der I.G.-Farben-Werke (Konzern für chemische Farben) ein gewaltiges Feuer aus, das aber schnell gelöscht wurde. Auf dem Gelände des Osthafens, wo sich große Ölvorräte befanden, kam es zu Bränden. In dieser Zeit fanden tagsüber keine Luftangriffe statt. Die Chemiewerke E. Merck am Darmstädter Stadtrand wurden ebenfalls beschädigt. Luftangriffe auf Hamburg: Die Lage in Hamburg war anders als die in Frankfurt. Es gab Tag und Nacht Fliegeralarm. Viele Leute sprachen von den Schäden an Werften, Ölvorräten usw. Die Luftschutzbunker in Hamburg waren besonders groß und bequem, mit eingebauten Luftfiltern, gasdichten Türen, Belüftungssystemen, öffentlichen Toiletten und vielen Notausgängen. Wie in Frankfurt durften Juden die öffentlichen Schutzkeller aufsuchen; dort hingen keine Schilder, die ihnen den Zugang untersagten. In Mietshäusern hingegen gab es im Allgemeinen besondere Keller für Juden. Standen in einem Gebäude keine zwei Schutzräume zur Verfügung, mussten die Juden einen Schutzraum für Juden in der Nachbarschaft aufsuchen.

4. Situation der Juden in Frankfurt: Die Juden lebten in ihren Häusern völlig isoliert von der übrigen Bevölkerung, ohne Telefon, ohne Radio, ohne Badeanstalten, ohne jede Möglichkeit zum Besuch von Cafes, Restaurants, Theatern, Kinos, öffentlichen Parks usw. Diese Situation lässt sich fast mit einem klassischen Getto vergleichen. Die Juden verließen ihre Wohnungen nur, wenn es absolut nötig war. Sie mussten im Winter von sieben Uhr abends, im Sommer von acht Uhr abends bis zum Morgengrauen im Haus bleiben. Ohne Sondererlaubnis durften sich nicht mehr als acht Juden versammeln, diese wurde jedoch nur zu religiösen Zwecken oder für Gemeindearbeit erteilt. Außerdem war es Juden nicht gestattet, die Nacht in der Wohnung eines anderen Juden zu verbringen. Verstöße gegen diese Anordnungen wurden schwer bestraft.

Ein Jude betrat zum Beispiel den Vorgarten seines Hauses um drei Minuten nach acht und traf vor seiner Haustür einen Mann von der Gestapo (Geheimpolizei), den er wegen der Verdunkelung nicht gesehen hatte. Für dieses Vergehen wurde er vier Wochen inhaftiert. Das war die übliche Strafe für „Verbrechen“ dieser Art.

Eine spezielle Maßnahme wurde in Bezug auf Bibliotheken in jüdischem Privatbesitz durchgeführt. Seit dem Juni 1940 wurden die Juden gezwungen, all ihre Bücher aufzulisten. Es wurde angekündigt, dass niemand, der sogenannte verbotene Bücher aufliste, dafür bestraft werde, es wurde allerdings mit Bestrafung gedroht, falls solche Bücher später gefunden würden. Dennoch beschlagnahmte die Gestapo (Geheimpolizei) in vielen Häusern zahlreiche Bücher.

Im Frühjahr 1940 wurden alle männlichen Juden im Alter zwischen 18 und 40 Jahren zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten von ihnen arbeitslos. Sie mussten sehr schwer arbeiten, obwohl sie solche Arbeit nicht gewohnt waren. In den meisten Fällen wurden sie anständig behandelt und erhielten zusätzliche Lebensmittelkarten.

Einige Juden waren immer noch Mitglieder der Krankenkassen. Sie durften nur zu arischen Ärzten gehen. Aufgrund des Ärztemangels wurde diese Anordnung geändert, und danach konnten sie die wenigen jüdischen Ärzte aufsuchen, die noch praktizierten. Die Juden durften Brot und Fleisch nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Geschäften, in denen sie registriert waren, kaufen. Natürlich konnten sie nur das kaufen, was die Arier übrig gelassen hatten. Lebensmittelketten behielten oft einen ihrer Läden ausschließlich der jüdischen Kundschaft vor. Andere Geschäfte, wie Süßwarenläden, Gemischtwarenläden, Schreibwarenhandlungen und andere, fragten meist ihre Kunden, ob sie Juden oder Arier seien, Juden verkauften sie nichts. Da Juden keine Kleidermarken erhielten, konnten sie keine Kleidung kaufen. Wenn sie Kleidung benötigten, mussten sie sich an die Jüdische Gemeinde wenden, die den Antrag prüfte und ihnen das Gewünschte verkaufte bzw. gab. Die Jüdische Gemeinde erhielt ihren Kleiderfundus von jenen Juden, die Deutschland verlassen hatten und die, auf Anordnung der Gestapo (Geheimpolizei), nur wenige Habseligkeiten hatten mitnehmen können. Diese Leute konnten nicht selbst bestimmen, wer ihre Kleidung erhalten sollte, sondern waren gezwungen, sie umsonst bei der jüdischen Gemeinde abzugeben. Diejenigen, die [Deutschland] via Sibirien verließen, durften 50 Kilo Fracht- und 20 Kilo Handgepäck mitnehmen.

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