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Chronik und Quellen
1940
Juli 1940

Denkschrift zur Auswanderung

Eichmann fordert jüdische Funktionäre aus Berlin, Prag und Wien (Jakob Edelstein, Prag, Dr. Franz Weidmann, Prag, Dr. Josef Löwenherz, Wien, Dr. Paul Eppstein, Berlin) am 3. Juli 1940 auf, eine Denkschrift zur Auswanderung aller Juden aus Europa auszuarbeiten. Hierüber wird folgende Aktennotiz angelegt:

I. Mit Herrn Hauptsturmführer Eichmann

1. Tätigkeitsberichte

Gemäß Aufforderung von HSTF Eichmann wird über die Tätigkeit auf dem Gebiete der Auswanderung, der Organisation und hinsichtlich der Finanzen berichtet.

Dr. Löwenherz soll binnen vier Wochen eine Statistik der in der Ostmark lebenden Juden, geordnet nach den von ihnen zuletzt vor dem Umbruch 1938 verübten Berufen, der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien vorlegen, ferner ein namentliches Verzeichnis der Juden ausländischer Staatsangehörigkeit, die sich noch in der Ostmark befinden, Staatenlose sind hiebei nicht zu berücksichtigen. Dr. Löwenherz wird ferner beauftragt, binnen 4 Wochen weitere 100 Angestellte der Israel. Kultusgemeinde Wien zu kündigen. Auf Grund eines Vortrages von Dr. Löwenherz über den Verkauf des Grundstückes Wien IX., Müllnergasse, das an eine Privatperson für RM 40 000,- verkauft werden soll, wogegen ein anderer Käufer bereits RM 60000 bietet, gibt HSTF Eichmann den Auftrag, einen diesbezüglichen Bericht samt Antrag an die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien zu überreichen, wonach der Sachverhalt von ihm nochmals überprüft werden wird. HSTF Eichmann erklärt auch, daß weitere Abverkäufe der der Israel. Kultusgemeinde Wien und der Allgemeinen Stiftung eigentümlich gehörenden Grundstücke in seinem Aufträge nicht erfolgen werden. Die Verwaltung dieser Grundstücke und der Wertpapiere wird die Israel. Kultusgemeinde Wien als Treuhänder unter der Kontrolle der Zentralstelle für jüdische Auswanderung [... ] haben. Die bereits auf ein Sonderkonto eingezahlten Beträge aus dem Titel des Kaufpreises für die abverkauften Grundstücke in der Provinz und in Wien und die noch einfließenden Kaufpreisbeträge werden nach Berechnung und Abstattung der Aufbauumlage über besonderes Einschreiten der Kultusgemeinde für Auswanderungs- und Fürsorgezwecke ausbezahlt werden. Die Verfügung über diese Beträge durch die Kultusgemeinde kann erst nach erfolgter Bewilligung vom HSTF Eichmann erfolgen. Wegen der Finanzen der Kultusgemeinde hat Dr. Löwenherz am 4. Juli um 11 Uhr vormittags bei HSTF Eichmann vorzusprechen.

2. Sondertransporte nach Palästina.

Ein Bericht über die Durchführbarkeit von Sondertransporten nach Palästina ist morgen nach Rücksprache mit Herrn Berthold Israel Storfer, der heute Abend in Berlin eintref-fen soll, zu erstatten.

3. Schutzhäfilinge.

Es wird dringend darum gebeten, Anträge auf Enthaftung von im Konzentrationslager befindlichen Schutzhäftlingen zuzulassen. HSTF Eichmann erklärt, daß dies zur Zeit nicht möglich sei. Dies gilt zunächst auch für die weiterhin vorgetragene Bitte, jugendliche Schutzhäftlinge aus der Schutzhaft zu entlassen.

4. Auswanderungsfrage.

HSTF Eichmann erklärt nach Entgegennahme der Berichte über den gegenwärtigen Stand der Auswanderung, daß die Bemühungen um die Auswanderung über den Fernen Osten sowie über Lissabon fortzusetzen sind.

Nach Beendigung des Krieges werde jedoch voraussichtlich eine Gesamtlösung der europäischen Judenfrage angestrebt werden müssen. Es werde sich hiebei um etwa 4 Millionen Juden in den in Betracht kommenden europäischen Staaten handeln. Die Einzelauswanderung werde für deren Ansiedlung nicht ausreichend sein, wenn auch in besonderen Fällen die Einzelauswanderung weiter zugelassen werden wird. HSTF Eichmann fragt, ob bereits nach dieser Richtung Erwägungen oder Pläne erörtert worden seien. Diese Frage wird verneint. HSTF Eichmann erteilt den Auftrag, die allgemeinen Gesichtspunkte, die bei einem solchen Plan zu berücksichtigen wären, in einer kurzen Niederschrift zusammenzufassen.

Es wird darauf hingewiesen, daß ein solcher Plan nur im Hinblick auf ein konkretes Siedlungsgebiet, auf die Sicherstellung der Finanzierung, besonders durch staatliche Mittel, sowohl der Auswanderung als auch der Ansiedlung sowie auf die Siedlungsorganisation möglich sei. HSTF Eichmann erklärt, daß es sich zur Zeit nur um die Aufstellung von Richtlinien handeln solle, die die Durchführung eines solchen Auswanderungsplanes ohne Reibungen für beide Teile und ohne Härten etwa innerhalb einer Frist von drei bis vier Jahren ermögliche.

In diesem Zusammenhänge wird auf die Bedeutung Palästinas eingegangen. Es wird darauf hingewiesen, daß Palästina mit nicht etwa 500 000 Juden wohl den wichtigsten Ansatzpunkt für die Aufnahme und Ansiedlung größerer jüdischer Massen bilde und daß eine Mitwirkung jüdischer Hilfsorganisationen wohl am ehesten für einen großen Siedlungsplan in Palästina zu erwirken wäre. HSTF Eichmann erklärt, daß bestimmte Pläne bezüglich des Siedlungsgebietes und der Siedlungsform noch nicht vorliegen. In der Niederschrift soll es sich lediglich darum handeln, einige Grundgedanken zu einem solchen Plane zu äußern. Die Niederschrift soll bis zum 4. Juli nachmittags eingereicht werden.

II. mit Herrn Obersturmführer Dannecker

5. Auswanderungsfrage

OSTF Dannecker gibt zu der angeforderten Niederschrift eine Reihe von Erläuterungen. Es wird auf die Schwierigkeiten für die Ausstellung eines solchen Planes innerhalb der kurzen Frist eingegangen. OSTF Dannecker bemerkt, daß es sich lediglich um eine erste Äußerung zu dem Gesamtproblem handeln solle. Hiebei könne, auch wenn ein konkretes Gebiet noch nicht feststehe, sehr wohl von dem Beispiel eines Landes ausgegangen werden.

Es wird in diesem Zusammenhang die Erörterung über Palästina als Siedlungsgebiet fortgesetzt. (OSTF Dannecker äußert sich zu der Frage dahin, daß Palästina nicht genug Fassungsraum aufweise und daß auch von seiten der Araber Schwierigkeiten gemacht werden können. Darauf wird erwidert, daß Palästina in seinem heutigen Umfange Fassungsraum für etwa drei Millionen Juden haben dürfte, bei Hinzunahme von Transjordanien sogar das vorliegende Gesamtproblem lösen könnte.

6. Pässe für Protektoratsangehörige

Es wird die Bitte vorgetragen, an Protektoratsangehörige in Prag Pässe ohne J und ohne den jüdischen Zusatzvornamen auszustellen. OSTF Dannecker sagt zu, daß eine entsprechende Weisung an die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag ergehe, da gemäß den gesetzlichen Bestimmungen gegen die Ausgabe solcher Pässe keine Bedenken bestehen.

7. Betreuung von Juden nichtmosaischen Glaubens im Protektorat

OSTF Dannecker erklärt auf Anfrage, daß über eine Unterstützung der Arbeit der Abteilung der Jüdischen Kultusgemeinde Prag für nichtmosaische Glaubensjuden durch das Büro Pfarrer Grüber nur über die Zentralstellen für jüdische Auswanderung Berlin und Prag erfolgen könne.

8. Fernost-Passagen

a) OSTF Dannecker nimmt zur Kenntnis, daß bezüglich der Schlüsselung der durch die Reichsvereinigung beschafften Passagen auf Altreich, Ostmark und Protektorat im Verhältnis 47:37:16 volles Einvernehmen zwischen den beteiligten Personen besteht.

b) OSTF Dannecker ist damit einverstanden, daß ein Angestellter der Jüdischen Kultusgemeinde Prag etwa einmal vierzehntägig zur Erörterung aller einschlägigen Fragen mit der Reichsvereinigung nach Berlin kommt; hierüber ist der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag jeweils zu berichten.

c) Anträge auf Ausstellung von Empfehlungsschreiben des Auswärtigen Amtes für Juden aus der Ostmark sollen durch den in Berlin befindlichen Angestellten der Israel. Kultusgemeinde Wien unmittelbar der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Berlin eingereicht werden. Über diese eingereichten Anträge ist der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien durch die Israel. Kultusgemeinde Wien zu berichten.

d) Die Einreichung der Anträge auf Ausstellung von Empfehlungsschreiben des Auswärtigen Amtes von Juden im Protektorat erfolgt durch die Wanderungsabteilung der Reichsvereinigung.

9. Broschüre über die amerikanische Einwanderungsgesetzgebung

Es wird darüber berichtet, daß Dr. Julius L. Israel Seligsohn eine Broschüre über die amerikanische Einwanderungsgesetzgebung fertiggestellt habe, daß das Propagandaministerium der Veröffentlichung dieser Broschüre im Verlag des Jüdischen Kulturbundes grundsätzlich zugestimmt habe und das Lektorat über die Broschüre der Zentralstelle für Jüdische Auswanderung Berlin übertragen werde. Die Broschüre werde daher in den nächsten Tagen durch das Propagandaministerium der Zentralstelle zur Prüfung zugeleitet werden.

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