Vierteljahresbericht der Auswandererstelle Köln (Juli-September 1940)
Vermutlich im Oktober 1940 übermittelt die Auswandererstelle Köln ihren Vierteljahresbericht für Juli bis September 1940:
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Die jüdischen Auswanderungswilligen, die die Beratungsstelle in der Berichtszeit in Anspruch nahmen, waren größtenteils ältere Leute, einzelne Ehefrauen, teils mit Kindern, die die Wiedervereinigung mit vorausgewanderten Familienangehörigen anstrebten. Wie schon erwähnt, ist die jüdische Auswanderung, die in Anbetracht der Zeitverhältnisse sich fast nur nach überseeischen Ländern, dem Fernen Osten und vereinzelt auch nach Palästina bezieht, durch die ungünstigen Verkehrsverbindungen außerordentlich gehemmt. Besonders die Amerika-Auswanderer sind oft in einer mißlichen Lage, da die Ausreise über Rußland-Japan neuerdings erschwert ist. Wie verlautet, kann oder will Japan nicht mehr genügend Schiffsraum zur Verfügung stellen und Sowjet-Rußland macht Schwierigkeiten wegen des Durchreisevisums, das selbst bei Vorhandensein der Verbalnote des Auswärtigen Amtes nicht immer erteilt wird. Die Anträge auf Erlangung von Verbalnoten haben daher auch merklich nachgelassen. Insgesamt wurden 37 Anträge ausgefertigt und über die Reichsstelle dem Auswärtigen Amt zugeleitet. In 33 Fällen handelte es sich um Auswanderung nach USA: je zweimal war Brasilien bezw. Shanghai das Ziel. Die 37 Antragsteller hatten 31 mitauswandernde Angehörige.
Nun hat sich neuerdings eine neue Ausreisemöglichkeit nach Amerika über den Westen ergeben. Amerikanische Schiffe vermitteln den Verkehr ab Lissabon nach Nord-, Mittel- und Südamerika. Der Anweg nach Lissabon erfolgt ab hier mit deutschen und ab Barcelona mit spanischen Flugzeugen. Diese Ausreisegelegenheit kann ab kurzem auch von Juden benutzt werden, denn entgegen ihrer früheren Gepflogenheit erteilt die Spanische Gesandtschaft in Berlin in solchen Fällen, wenn auch nur vereinzelt, Durchreisevisen an Juden. Sie können aber nur dann von der Lufthansa mitgenommen werden, wenn die Plätze nicht anderweitig in Anspruch genommen sind. Es ist daher immer noch fraglich, ob die Ausreise über Lissabon und innerhalb der Visumsfrist auch tatsächlich angetreten werden kann. Der Schiffsraum ist im übrigen auch nur beschränkt verfügbar, da die amerikanischen Schiffe durch den Abtransport der USA-Bürger aus Europa stark in Anspruch genommen sind.
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Staatlose Juden sind von der Einwanderung nach Shanghai nachweislich ausgeschlossen, da sie weder das russische noch das japanische Durchreisevisum erhalten, auch dann nicht, wenn, wie in zwei hier behandelten Fällen, die Verbalnote des Auswärtigen Amtes vorlag. Einmal handelte es sich dabei um einen früheren russischen Staatsangehörigen, der am 10. Mai in der Auswanderung begriffen war, an der holländischen Grenze aber zurückmußte, während sein Gepäck, das bereits nach dem Hafen unterwegs war, in Rotterdam restlos verbrannte. Der Weg über den Fernen Osten war für ihn die letzte Chance, die Reise nach Shanghai durchzuführen. Der zweite Fall betraf ein junges Mädchen, die als Minderjährige mit ihrem Vater die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte, während man der Mutter (gebürtige Reichsdeutsche) die deutsche Staatsangehörigkeit beließ, sodaß letztere keine Schwierigkeiten hatte und die Ausreise zu ihrem in Shanghei beschäftigten Ehemann antreten konnte. Die Tochter kann nun in absehbarer Zeit nicht zur Auswanderung kommen. -
Die uns mit Schreiben der Reichsstelle vom 22.6.40, E 6601, übermittelte, vom St. Raphaelsverein verfaßte Zusammenstellung der Fahrtdauer, des Reiseweges und der Reisekosten für Reisen durch Rußland, Japan nach Shanghai und Nord- bezw. Südamerika ist recht aufschlußreich und leistet uns in der Beratung guter Dienste.
Brasilien, wohin viele Juden persönliche Beziehungen haben, scheint neuerdings recht zurückhaltend in der Erteilung der Einwanderungserlaubnis geworden zu sein. Einwanderungsgenehmigungen neueren Datums wurden nicht mehr vorgelegt. Wohl sprachen verschiedene Juden vor, die bereits seit Monaten im Besitz des Visums waren, deren Ausreise sich durch die Kriegsverhältnisse aber immer wieder verzögert hatte, wegen Verlängerung des inzwischen abgelaufenen Passes hier vor. Bei dieser Gelegenheit konnte beobachtet werden, daß das hiesige Generalkonsulat sehr unzugänglich ist und keinerlei Bescheinigungen darüber ausstellt, daß das seinerzeit erteilte Visum bei Verlängerung des Passes noch Gültigkeit besitzt. Es stellte den Auswanderern mündlich verhältnismäßig kurze Fristen, binnen derer sie den verlängerten Paß und die Passage nachweisen sollten, andernfalls würde das Visum seine Gültigkeit verloren haben. Wir haben uns dann damit begnügt, vom Konsulat eine fernmündliche Bestätigung dieser Angaben zu erhalten oder haben uns auch auf entsprechende Angaben der Schiffahrtslinien verlassen.
Besonders schwierig lag der Fall eines alten Ehepaares, für welches das argentinische Einreisevisum im Februar ds. Js. erteilt worden war. Die Llamada datiert aus Dezember 1939, der deutsche Reisepaß von 1935
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kann mithin nicht mehr verlängert werden. Das Konsulat weigert sich, das Visum in den neuen Paß zu erteilen, zumal die Llamada, die ja als Grundlage des Visums dient, inzwischen verfallen ist (ein Jahr gültig!). Es ist auch nicht damit einverstanden, daß der alte Paß bis auf das argentinische Visum ungültig gemacht wird und zusammen mit dem neuen daß im Besitz des Antragstellers bleibt. Beharrt das Konsulat auf seiner Weigerung, so sehen wir keine Möglichkeit zur Durchführung dieser Auswanderung.
Gründlich enttäuscht waren zwei Juden, die gehofft hatten, durch unsere Vermittlung Pässe ohne „J” zu erhalten. Von einer dem hiesigen Brasilianischen Generalkonsulat nahestehenden Person war ihnen aufgegeben worden, sich solche Pässe zu besorgen, in die der Mittelsmann dann ein brasilianisches Einreisevisum eintragen lassen wollte, das ohne Rückfrage in Rio de Janeiro - also ohne Chamada - erhältlich sein sollte.
Die beiden Antragsteller, ein älterer Viehhändler und ein Landwirt, standen mit dem Mittelsmann seit vielen Monaten in Verbindung und hatten allem Anschein nach bereits erhebliche Mittel für die sich nun als aussichtslos erweisende Sache geopfert. -
Hinsichtlich der USA-Auswanderung, für die zurzeit nur Juden in Frage kommen, gilt folgendes:
Das Amerikanische Konsulat hat seine Praxis in der Visumerteilung und der hierfür geforderten Papiere verschiedentlich geändert. Im Juli wurden die üblichen Vorladungsschreiben - Bestellung zu einem bestimmten Termin zur Vorlage der Papiere, ärztliche Untersuchung und evtl. Entgegennahme des Visums - nicht mehr versandt. Die Antragsteller erhielten Umdruckschreiben, in denen sie ersucht wurden, erst dann wieder mit dem Konsulat in Verbindung zu treten, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen könnten. Hierunter war vor allem zu verstehen: Nachweis der zu einem bestimmten Termin fest gebuchten und bezahlten Passage und des von einer deutschen Paßbehörde ausgestellten Ausreisesichtvermerkes. Diese Vorschrift bezügl. der Passage erwies sich als nicht durchführbar. Das Konsulat begnügt sich daher jetzt mit Bescheinigungen der Schiffahrtslinien, die besagen, daß die Passage zu einem bestimmten Tage mit einem namentlich zu benennenden Schiff reserviert werden kann. Der Abfahrtstermin des Schiffes soll aber möglichst in die ersten 3 Monate der Geltungsdauer des Visums fallen (das USA-Einwanderungsvisum muß innerhalb von vier Monaten ausgenutzt sein). Jetzt versendet das Konsulat
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wieder die bekannten Vorladungsschreiben, die allerdings die Aufforderung enthalten, Zeugnisse über den Leumund in Form eines Affidavits beizubringen. Hat der Visumbewerber irgend eine strafbare Handlung oder ein Vergehen sich zu schulden kommen lassen, so soll dies aus dem Affidavit genau ersichtlich sein. Auf das Affidavit ist im übrigen eine ganz besondere Form vorgeschrieben. Unbescholtenheit des Antragstellers ist also eine Hauptbedingung für die Visumerteilung. Da sich das Konsulat mit einem bereinigten Führungszeugnis nicht zufriedengibt, muß das Führungszeugnis alle etwaigen Strafen, auch die geringfügigsten, enthalten.
Bei der Erteilung des Visums werden in erster Linie solche Personen berücksichtigt, die nahe Verwandte drüben haben, so Ehegatten, Eltern, Kinder; andere, d. h. über diesen engen Personenkreis hinausgehende Personen scheinen bei der Visumerteilung keine Berücksichtigung zu finden. -
Von den 514 Juden, die die Beratungsstelle in der Berichtszeit erfaßte, erhielten 293 Paßbescheinigungen gemäß Erlaß des Herrn Reichsminister des Innern vom 16.11.37, die sich auf die Zielländer und Monate folgendermaßen verteilen:
Juli Aug. Sept. Sa.
Ver. Staaten 188 58 7 253
Shanghai 3 5 6 14
Palästina 5 -- -- 5
Argentinien 1 2 1 4
Manschukuo 1 -- -- 1
Ungarn -- 2 -- 2
Brasilien -- 1 1 2
Niederlande -- 3 -- 3
Haiti -- -- 4 4
Mexiko -- -- 3 3
Paraguay -- -- 1 1
Belgien -- -- 1 1
198 71 24 293.
Im Vorvierteljahr wurden 325 Paßbescheinigungen an Juden abgegeben, die über 21 verschiedene Zielländer lauteten. -
Diese Zahlen geben keine Anhaltspunkte für die tatsächliche Auswanderung, da eine ganze Anzahl Juden, die jetzt zur Auswanderung kommen noch im Besitz von früher ausgestellten Pässen ist und andererseits viele von denjenigen, die jetzt Paßbescheinigungen und anschließend Pässe erhalten, durch die Kriegsverhältnisse u. U. doch noch nicht zur Auswanderung kommen. Die Beratungsstelle hat daher in bestimmten Fällen bei den Paßbescheinigungen die Auflage gemacht, daß
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der Paß wieder einzuziehen ist, wenn nicht nach einer genau bezeichneten Frist das Einreisevisum des Ziellandes und die voll bezahlte Passage bezw. Fahrkarte vorgewiesen werden könnte.
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Entsprechend der allgemeinen geringen Inanspruchnahme der Beratungsstelle in der Berichtszeit wurden auch nur wenige Anträge auf Befürwortung einer Devisenausfuhrgenehmigung eingebracht. In zwei Fällen kam es zur Ausfertigung eines Gutachtens. Der erste Antragsteller war ein älterer, deutschblütiger Reichsangehöriger, der seit Jahrzehnten seinen Wohnsitz in Luxemburg hat und im Mai ds. Js. infolge der kriegerischen Ereignisse mit Familie nach Deutschland flüchtete. Nachdem ihm die zuständigen deutschen Stellen die Rückkehr nach Luxemburg gestattet haben und ihm einen Grenzpassierschein aussstellten, beantragte er die Genehmigung zur Wiederausfuhr der auf der Flucht von dort mitgebrachten 43.740 belg. Frcs., die zur Inbetriebsetzung bezw. Fortführung eines seiner Tochter gehörenden Lebensmittelgeschäftes in Luxemburg dienen sollen. Da hier ein besonderes deutsches Interesse vorliegt, konnten wir die Freigabe und Wiederausfuhr der erwähnten Summe befürworten.
Das zweite Gutachten betraf eine arische ungarische Staatsangehörige und lautete über RM 1000.-. Infolge Unfalltodes ihres Ehemannes auf einer deutschen Zeche (er hatte sich als Bergmann die Mittel zum Ausbau eines eigenen, in Ungarn belegenen Grundstücks verdienen wollen), war sie in den Besitz vorstehender Summe gelangt. Das Geld sollte nach ihrer Rückwanderung in Ungarn zu dem von dem Manne geplanten Ausbau des Grundstücks Verwendung finden und ihr somit eine Existenz sichern. -
Der Verkehr mit den verschiedensten Behörden unseres Betreuungsgebietes wickelte sich in altgewohnter Weise reibungslos ab. -
Abschließend kommen wir noch einmal zurück auf den im Vorbericht - Seite 7, Absatz 2 - erwähnten Fall eines Mischlings I. Grades, die einen hier kennengelernten Peruaner heiraten und mit ihm in seine Heimat auswandern wollte. Die über den Familiendienst für Ausgewante e. V. eingezogenen Ermittlungen ergaben, daß gegen den jungen Mann selbst nichts einzuwenden ist. Er wird als fleißiger, charaktervoller und anständiger Mensch bezeichnet, der sich stets musterhaft betragen hat. Von seinem Vater heißt es, daß er Familie habe, aber nicht verheiratet sei. Die Familie sei sehr bekannt in Chiclajo
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ihre finanziellen Verhältnisse sollen aber ungünstig sein.
Nach Angabe des jungen Mannes - angehender Arzt - haben verschiedene peruanische Ärzte nach hier vollendendetem Studium deutsche Frauen geheiratet und mit nach Peru genommen. Die auskunftgebene Stelle schreibt hierzu, daß ihr bisher kein Fall bekannt geworden sei, in dem deutsche Frauen mit peruanischen Ärzten nach Peru gekommen seien. Im allgemeinen wären Mischehen zwischen Deutschen und Peruanern nur selten von Dauer, um meist sehr bald in nicht sehr glückliche und wünschenswerte Verhältnisse einzutreten. Die auskunftgebende Stelle teilte dieses mit auf Grund ihrer 15jährigen Erfahrung im Lande.
Der Beratungsstelle ist nicht bekannt, ob das junge Mädchen, das den Peruaner heiraten will, auf Grund dieser Auskunft von der Eheschließung und Ausreise nach Peru Abstand genommen hat oder ob sie, veranlaßt durch die Schwierigkeit ihrer Stellung als Mischling in Deutschland, sich trotz allem zu der Heirat mit dem Peruaner bereit gefunden hat. -
In unserem Vierteljahresbericht April/Juni 1940 teilten wir auf Seite 15 mit, daß lt. Mitteilung einer Kölner Speditionsfirma der Inhaber des Hanseatischen Reisebüros in Wien, Heinrich Schlie verhaftet worden sei. Wenig später erbaten wir durch die Polizeibehörde in Wien einige in Händen des Reisebüros Schlie befindliche Pässe von jüdischen Auswanderern zurück. Gleichzeitig mit den Pässen ging uns ein längeres Schreiben von diesem Reisebüro direkt zu, das von Schlie persönlich unterzeichnet war. Somit scheint Schlie wieder frei und das Büro wieder zu arbeiten, jedoch sich nicht mehr mit der Judenauswanderung zu befassen.
Über das Reisebüro Rudolf Postelt, Hamburg 36, Poststr. 3, das in unserem Vorbericht ebenfalls erwähnt wurde, haben wir über die Reichsstelle folgende Auskunft erhalten:
„Der Inhaber des Reisebüros Rudolf Postelt und Georg Pankow sind nicht im Besitz einer diesbezüglichen Konzession nach § 11 des Gesetzes über das Auswanderungswesen vom 9.6.97[?]. Gegen das Reisebüro Postelt sind verschiedentlich Verfahren wegen unerlaubter Auswanderertätigkeit eingeleitet worden. Im Verlaufe dieser Verfahren mußten des öfteren ernstliche Verwarnungen angedroht und P. nahegelegt werden, jede Tätigkeit in Auswanderungsangelegenheiten zu unterlassen. Um jedoch die jüdische Auswanderung auf alle Fälle zu fördern, ist bislang von einer Strafanzeige Abstand genommen worden.”
Sobald in der Folgezeit das Reisebüro Postelt hier noch einmal in Erscheinung trat, haben wir der Reichsstelle sogleich Meldung erstattet.