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Chronik und Quellen
1940
Januar 1940

Zunehmende Ausgrenzung

Am 14. Januar 1940 berichtet „The Washington Post“ über die zunehmende Ausgrenzung der Juden in Deutschland:

Von Louis P. Lochner, Associated-Press-Korrespondent

Berlin, 13. Januar - Die deutschen Juden, die ohnehin bereits weitgehenden Einschränkungen unterworfen sind, erlitten einen weiteren Schock, als sie ihre Lebensmittelkarten für die Zeit vom 15. Januar bis zum 11. Februar abholten. Sie mussten feststellen, dass ihre Marken für insgesamt 125 Gramm (knapp 4,5 Unzen) Fleisch und alle ihre Marken für Hülsenfrüchte - wie Erbsen, Bohnen und Linsen - entwertet waren. Darüber hinaus wurden ihnen die allgemeinen Bezugskarten verweigert, die kürzlich an alle anderen Deutschen ausgegeben wurden und es diesen ermöglichen, bestimmte Extras zu erhalten, wenn das Nazi-Regime in der Lage ist, mehr als die normale Tagesration zu bewilligen.

Auf die Lebensmittelkarten der Juden muss der Buchstabe J gestempelt sein. Dies gibt dem Händler die Möglichkeit zu erklären, dass das von den Juden Gewünschte nicht vorrätig sei, oder sie auf andere Weise zu diskriminieren. Für bestimmte noch nicht rationierte Lebensmittel muss man seinen Namen bei seinem Lebensmittelhändler oder Metzger auf eine Liste setzen. Geflügel und Fisch beispielsweise erhält man erst nach einer Registrierung.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, nehmen die Händler keine Juden auf ihre Listen auf. Juden ist der Besuch von Geschäften oder Märkten vor 12 Uhr und nach 14 Uhr untersagt. Auf den Märkten sind die meisten Vorräte mittags schon ausverkauft, oder es sind nur noch zweitklassige Waren erhältlich.

Für den Bezug von Kleidung braucht jeder Deutsche eine Kleiderkarte, doch Juden werden diese Karten verweigert. Diejenigen, die noch über genügend Kleidung verfügen, sagen, dass sie weder Faden noch Zwirn kaufen könnten und nicht wüssten, wie sie ihre Schuhe reparieren sollten, wenn die Sohlen einmal durchgelaufen seien.

Juden müssen nach 20 Uhr im Haus bleiben - die Härte dieser Anordnung wird allerdings dadurch relativiert, dass sie Theater, Konzerte und Oper ohnehin nicht mehr besuchen dürfen. Dennoch müssen viele deshalb jetzt in Wohnungen ausharren, die häufig überfüllt sind, da die Juden auf engerem Wohnraum als zuvor zusammengedrängt sind.

Laut Nazi-Gesetzgebung dürfen Vermieter Mietverträge mit Juden auflösen. Wie viele von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, lässt sich nicht ermitteln. In der Vorstellung der Nazis stellt jedes Mietshaus eine Gemeinschaft im Kleinen dar, in der der Jude als Störfaktor gilt. Ursprünglich war vorgesehen, in allen Städten, in denen sich noch Juden aufhielten, eine Art Getto einzurichten. Diese Idee wurde jedoch offenbar wieder aufgegeben. Die Hauptanstrengung in Deutschland ist darauf gerichtet, die Juden loszuwerden.

Von den 59000 Berliner Juden wurden etwa 20000 zur Straßenreinigung, zum Schneeschaufeln und Straßenbau sowie zu anderen körperlichen Arbeiten eingeteilt, darunter auch Forst- und Gartenarbeit. Jüdinnen, die vom Nazi-Regime zuvor aus ihren Berufen verdrängt worden waren, werden zum Arbeitseinsatz, vor allem als Dienstmädchen, Land- und Textilarbeiterinnen, gezwungen.

Offenbar finden frühmorgendliche Massenrazzien bei Juden und deren Inhaftierung in Konzentrationslagern nicht mehr in großem Maßstab statt.

Es ist daraufhingewiesen worden, dass das Regime die Lage eines jeden Juden kennt, praktisch das ganze jüdische Vermögen beschlagnahmt hat und daher nur noch ein Interesse hat: den Juden aus dem Land zu schaffen.

Juden, die in Konzentrationslager gebracht werden, erwartet dort eine harte Behandlung, die umso schlimmer ausfällt, je vehementer der Antisemitismus des Aufsehers ist. Doch kein Jude spricht gern über seine Erfahrungen in solch einem Lager, und generell wissen die nicht-jüdischen Deutschen wenig über die Lage der Juden, da die einschränkenden Maßnahmen nicht mehr in Form von Verordnungen, sondern eher als Befehle erteilt werden, für deren Durchführung die Gestapo Vertreter der jüdischen Gemeinde zur Verantwortung zieht. Jeder Jude erfährt also schriftlich durch die Vorsteher seiner Gemeinde von neuen Maßnahmen.

In seiner Reichstagsrede am 30. Januar letzten Jahres drohte Adolph Hitler:

„Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es den internationalen Financiers in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

Seine Anhänger im besetzten Polen scheinen ihn wörtlich zu nehmen, denn durchsickernde Einzelheiten lassen darauf schließen, dass mit jedem Juden, der sich Nazi-Befehlen widersetzt, kurzer Prozess gemacht wird.

Krankheiten stellen einen starken Verbündeten im Ausmerzungsprozess dar, und das massenhafte Herausschmuggeln von polnischen Juden aus dem von Deutschen besetzten Teil Polens nach Russland enthebt die deutschen Eroberer der Verantwortung für viele Juden.

Polnische Juden werden zügig aus den Gebieten vertrieben, die auf Dauer vom Reich annektiert werden. Lublin wird offensichtlich in ein jüdisches Reservat umgewandelt. Allerdings wurden seit der Abschiebung Tausender Juden aus Wien, Prag und Mährisch-Ostrau offenbar keine weiteren Anstrengungen unternommen, um weitere [Juden] aus dem Großdeutschen Reich in das Reservat zu schicken.

Im Protektorat Böhmen und Mähren wurde die Jüdische Gemeinde davon in Kenntnis gesetzt, dass alle Juden unter 60 Jahren vor Ende Mai ausreisen müssen. Wer sich nach Ablauf dieser Frist noch dort aufhält, läuft Gefahr, in einem Konzentrationslager inhaftiert zu werden.

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