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Chronik und Quellen
1939
August 1939

Emigration durch Krieg gefährdet

Walter Tausk aus Breslau sieht Ende August 1939 seine Auswanderungspläne durch den bevorstehenden Krieg bedroht und notiert in sein Tagebuch:

Sonnabend, den 26.8.1939

An Auswanderung ist natürlich nicht zu denken. Holland hat alle Häfen für fremde Kriegsschiffe - und alle Gewässer für jedes fremde Schiff gesperrt. Die Grenze soll angeblich auch schon gesperrt sein. Ich und mancher andere, der heute auf den Schiffahrtsstellen nachfragte, bekam ein Achselzucken und nervöse Stimmen als Antwort. Niemand wußte Bescheid. Auf dem amtlichen Reisebüro der Reichsbahn kam ich gerade dazu, wie ein Beamter die Weisung gab: „Alle Urlauber, auch befristete Urlaubskarteninhaber, sind fahren zu lassen. Von morgen an gelten andere Bestimmungen.“

Von morgen an ist nämlich Krieg!

Erwähnt muß werden, daß sich die deutsche Presse in den letzten Tagen mit Greuelnachrichten aus Polen, Hetzartikeln und Schandtaten aller Art geradezu überschlug - nur um Stimmung im Volk für den Krieg zu machen. Aber die Auslandssender, die ja heute jeder fast hören kann, stellten diese Berichte gut zu neunzig Prozent als Lügen fest.

Den 28.8.1939

Keinerlei Spur irgendeiner Begeisterung ist zu sehen, höchstens bei ganz jungen oder ganz verblödeten Dachsen. Die Truppen, soweit sie nicht auf Autos vorbeihuschen (oder soweit nicht einzelne Autos mit teilweise angeheiterten wenigen Soldaten vorbeifahren), ziehen vorüber wie Leichenzüge, ohne jede Äußerung. Und das Straßenpublikum steht ebenso still oder geht schweigend beiseite.

Auffallend ist hier die große Anzahl von SS-Leuten. Alles saubere, frischgebügelte, ausgesucht hübsch gewachsene und aussehende, „zartwangige,“ gepflegte „Herrlein“, die früher nicht hier waren und über deren Zweck man nicht nachdenken kann. Fürs Feld werden diese lackierten Figuren bestimmt nicht sein.

Ebenfalls auffallend die vielen blutjungen „Rote-Kreuz-Schwestern“, die zum Teil dem BDM angehören. Im Weltkrieg hatten wir schon eine besondere Meinung vom „Roten Kreuz“, und die sogenannten Schwestern hießen „Hindenburg-Matratzen“ und „Feldmatratzen“. Es waren Puppengesichter in der Hauptsache. Die heutigen sind „Püppchen-Gesichter“. Eine verführte, armselige, ahnungslose Jugend.

Den 29.8.1939

„Es fängt an, wie der letzte Krieg endete“, wie ich’s immer gegenüber meinen Freunden vertrat. Mit Ausnahme bei der Artillerie, die immer aus „besseren“ Leuten bestand und über die anderen „wegspuckte“ (nämlich „schoß“), ist bei allen hier durchziehenden Truppen keinerlei „Begeisterung“ oder Stimmung zu merken. Sie sind niedergedrückt, mißmutig, kriegsunlustig und „mit einer Sauwut im Leibe gegen Adolf“. In der hiesigen Karlowitzer Kaserne reden die jungen Leute wie die alten Reservisten: „Der kann seine Ränzel schnüren, von dem haben wir genug.“

Der Ausschank von Branntwein wurde Montag verboten: „Um die öffentliche Ruhe und Sicherheit nicht zu stören.“ In Wirklichkeit aus diesen Gründen, erstens: alle kleinen Kneipen und Kaschemmen lagen mit besoffenen Soldaten voll. Ich habe seit vorigem Montag mehr derartige Leute gesehen als im mitgemachten Krieg durch alle seine Jahre. Zweitens: Sonntag abend wurden auf dem Hauptbahnhof Transporte verladen.

In Breslau waren Montag wahre Stürme auf die Banken und Sparkassen, die sich auch heute noch ereigneten. Das Volk redet offen und überall von den Zuständen und gibt seinem Unmut in jeder Weise Luft.

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