Zwangsarbeit im Krieg
Paul Eppstein protokolliert seine Vorladung vom 28. August 1939 bei der Gestapo und die Anweisungen zur Zwangsarbeit von Juden im Krieg:
Aktennotiz
1. Reisebericht
Es wird über die Reisen nach Paris und Genf berichtet, über die Konferenz von Hicem und Joint in Paris, über den Zionistenkongress in Genf. Ein schriftlicher Bericht wird in Aussicht gestellt.
2. Arbeitseinsatz von Juden im Kriegsfall
Mit Rücksicht darauf, dass die Juden als wehrunfähig bezeichnet worden sind, dass andererseits ein Bedarf an Arbeitskräften vorhanden ist, sei es Pflicht der Reichsvereinigung, für den Kriegsfall für die ihrer Fürsorge anvertrauten Menschen zu fragen, was im Kriegsfall zu geschehen habe. Es wird in diesem Zusammenhang auf die bisherigen Erfahrungen mit dem Arbeitseinsatz von Juden, namentlich auch im Zusammenhang mit der Berufsausbildung, eingegangen und die Arbeitseinsatzmöglichkeit behandelt. R.R. Lischka erklärt darauf, dass er über diesen Fall nicht informiert sei und hierüber auch keine Aussagen machen könne. Allerdings sei klar, dass die Frage geregelt werden müsse. Die Frage, wie viele Personen in Betracht kommen, wird dahingehend beantwortet, dass die arbeitseinsatzfähigen Männer und Frauen auf 80 bis 100 000 zu schätzen seien.
In diesem Zusammenhang wird vorgetragen, dass das Jüdische Krankenhaus in Breslau als Festungslazarett erklärt worden sei mit der Auflage, 63 Betten, binnen 14 Tagen weitere 60 Betten, binnen weiterer 14 Tage den Rest von ca. 200 Betten zur Verfügung zu stellen. Das Waisenhaus in Esslingen ist ebenfalls zum Lazarett erklärt worden und musste geräumt werden. R.R. Lischka erklärt darauf, dass eine Einflussnahme auf derartige Massnahmen der militärischen Behörden unmöglich sei, dass den Anordnungen der Wehrmacht selbstverständlich Folge geleistet werden müsse, dass im übrigen nur Fragen der politischen Behörden in seine Zuständigkeit gehörten. Es bleibe uns unbenommen, eine Darlegung über unsere Vorstellung von einem Arbeitseinsatz der Juden im Kriegsfälle vorzulegen. Auf die Frage, ob eine solche Darlegung auch dem Kriegsministerium und im Reichsarbeitsministerium eingereicht werden müsse, wird seitens des Herrn R.R. Lischka geantwortet, dass dies nicht notwendig sei. Er werde die Frage dann mit den zuständigen Behörden erörtern.
3. Sonderdampfer nach Chile
Seitens der Behörde wird mitgeteilt, dass das Reisebüro Postelt die Charterung eines norwegischen Dampfers für eine Reise nach Chile plane, deren Kosten vorwiegend in Reichsmark aufzubringen sei, während pro Kopf £ 20.- in Devisen aufgebracht werden müssten. In diesem Zusammenhang wird die Frage des Schiffsraums nach Südamerika, Ost- und Westküste, erörtert, ferner die Beschränkung der Einwanderung auf 200 im Monat erwähnt.
Die Entscheidung der Frage, ob der Sonderdampfer gehen soll, wird mit Rücksicht auf die Zeitumstände zurückgestellt.
4. Auskunft über Personen
Der Grund der Auskunftseinholung wird mitgeteilt. Es handelt sich darum, dass die fünf Personen mit Ausnahme des staat[en]losen, früher polnischen Staatsangehörigen Berggrün ab 1.9. eine entgeltliche Bibliotheksarbeit erhalten sollen. Die Herren Davidsohn, Finkelt, Lichtenstein und Samuel sollen sich am 1. September, vormittags 10 Uhr, im ehemaligen Logenhaus Eisenacherstr. 12 bei Herrn Hauptsturmführer Dr. Baier melden.
Auf meinen Hinweis, dass es sich bei Rabbiner Dr. Samuel um einen alten Herrn handle, wird geantwortet, dass gegebenenfalls Ersatzvorschläge gemacht werden können von Personen, die ohne Einkünfte seien und für Bibliotheksarbeiten eine entsprechende Qualifikation besässen. Entsprechende Vorschläge könnten durch die in Betracht kommenden Personen bei ihrer Vorsprache am 1.9. gemacht werden.
5. Ausreise der Schüler der Ort-Gesellschaft nach England
Es wird mitgeteilt, dass gestern abend 113 Personen abgereist seien, um über Cleve-Nimwegen in die Ortschule nach Leeds auszuwandern. Es wird darum gebeten, die englische Polizeistelle Cleve, wo die Gruppe etwa 12.30 Uhr eintreffe, entsprechend zu benachrichtigen.
Es wird darauf erwidert, dass bisher keinerlei Weisungen ergangen seien, Auswanderer-Transporte nicht in der bisherigen Weise durchzuführen, so dass angenommen werden könnte, dass von deutscher Seite dem Grenzübertritt Schwierigkeiten nicht entgegen-stehen.
6. Unterschriftensammlung Jugendalijah
Unter Bezugnahme auf die Eingabe wird die Entscheidung über diese Frage zurückgestellt.
7. Sonderschiffe Palästina
Es wird über den Vertragsabschluss berichtet. R.R. Lischka schneidet die Frage der Devisenfinanzierung an und erkundigt sich nach dem Verfahren für die Bereitstellung von Devisen für Tschechen aus dem Stopford-Fonds. Nach seiner Orientierung seien diese Mittel festgelegt. Es müsse dafür Sorge getragen werden, dass Schwierigkeiten hierbei nicht bestehen. Eine nochmalige Erörterung dieser Frage wird Vorbehalten.
8. Teilnahme am Zionistenkongress
Die für diesen Zweck ausgestellten Pässe sollen in den nächsten Tagen gesammelt zurückgegeben werden.
Es wird mitgeteilt, dass die Kongressdelegation längstens bis morgen in Berlin zurückerwartet werde.
Es wird auf die Rundfunk- und Zeitungsmeldung eingegangen, wonach beim Kongress eine Resolution gefasst worden sein soll, derzufolge die Zionistische Bewegung und das „Weltjudentum“ auf der Seite Polens und Englands stehe. Es wird daraufhingewiesen, dass uns von einer solchen Resolution nichts bekannt sei. Weizmann habe nur in seiner Schlussrede auf die Verbundenheit der Zionistischen Bewegung mit dem Mandatsland hingewiesen.
9. Liste der Ausländer
Die Liste soll schnellstens eingereicht werden. Es soll künftig gemeldet werden, wann Ausländer zum Zweck von Verhandlungen einzureisen gedenken. Zurzeit liegen Anträge für Dr. Kreutzberger und Dr. Ernst Marcus vor.
Bezüglich Dr. Kreutzberger wird erklärt, dass der Antrag als überholt zu gelten habe. Bezüglich Dr. Marcus wird die Mitteilung des Ergebnisses einer Rückfrage bei der Paltreu in Aussicht gestellt.
10. Devisen für Auslandsreisen
Auf die Frage, wie wir Devisen für Auslandsreisen beschaffen, wird geantwortet, dass wir eine Devisenverwendungsgenehmigung über den Gegenwert von RM 750.- im Monat besitzen und dass jeder Reisende eine Anweisung auf den Gegenwert eines bestimmten Reichsmarkbetrags von uns erhalte. Den Devisengegenwert erhebe er dann zu Lasten unseres Budgets bei den ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen.
R.R. Lischka erwidert darauf, dass also diese Devisen der Auswanderungsförderung verlorengehen. Darauf wird geantwortet, dass bisher nur in Ausnahmefällen auf Dringlichkeitsbescheinigungen Devisen zur Verfügung gestellt worden seien. Wenn dies aber künftig erfolgte, so könnten die im Ausland befindlichen Devisen der Auswanderungsförderung zur Verfügung gestellt werden. R.R. Lischka erklärt, dass er bisher allen Anträgen auf Ausstellung von Reisebescheinigungen entsprochen habe. Er müsse sich jedoch in Zukunft Vorbehalten, den Umfang der Reisen und die Zahl der Reisenden mit dem Erfolg der Reisen in Beziehung zu setzen und danach die Durchführung solcher Reisen einzuschränken. Ich betone demgegenüber, dass der Monat August als Kongressmonat für den Umfang und die Zahl der Reisen nicht als charakteristisch genommen werden dürfe, dass wir im übrigen selbst das grösste Interesse an einer Beschränkung der Reisen auf die wichtigsten Anlässe hätten, wobei allerdings der Einsatz verschiedener Personen je nach dem Anlass notwendig und zweckmässig sei.
11. Bericht über Ausbildungsstätten
Es wird ein Bericht nach dem derzeitigen Stande über die Belegungsfähigkeit sämtlicher Ausbildungsstätten, auch soweit sie nicht Einrichtungen der Reichsvereinigung sind, angefordert.
12. Auswandererabgabe von Ausgewanderten aus dem Sperrkonto
Die Vorgänge Karl Israel Heimann, früher München, und Dr. Kurt Israel Mosbacher, früher München, mitgeteilt durch Herrn Hechinger, München, werden vorgetragen. Eine nochmalige Erörterung wird Vorbehalten, da der Sachverhalt erst noch im einzelnen geklärt werden müsse.
13. a) Notiz im Nachrichtenblatt betr. Zuständigkeit der Bezirksstelle Aussig
R.R. Lischka fragt, wer für den zweiten Fehler in der Notiz verantwortlich sei. Darauf wird der schriftliche Bericht übergeben.
Ein Bericht über den Sachverhalt, der inzwischen seitens der Behörde bei Herrn Dr. Lilienthal angefordert worden sei, könnte durch den vorgelegten Bericht als erledigt gelten.
b) Für die Palästinawanderung bestehen keine Bedenken dagegen, entsprechend der Bezirkstelle der Reichsvereinigung in Aussig eine Zweigstelle oder einen Vertrauensmann des Palästina-Amtes zu errichten bezw. zu ernennen.
c) Die Anfrage der Bezirksstelle in Aussig betr. Beratung von Personen, die für die Tschechoslowakei optiert haben, wird dahingehend beantwortet, dass Bedenken gegen eine solche Beratung nicht bestehen.
14. Ita-Notiz Protektorats-Auswanderung
Die Notiz in der Ita vom 11. 8.1939 wird gemäss der Anforderung übergeben. Eine Erörterung über die Auswanderung aus dem Protektorat im Zusammenhang mit dem Stopford-Fonds wird zurückgestellt.