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Chronik und Quellen
1939
August 1939

Kriegsangst

Margarete Korant aus Berlin schreibt am 28. August 1939 an ihre Tochter in den USA über die Angst vor Krieg und Isolation:

Mein geliebtes Kind,

obgleich ich nicht weiß, ob dieser Brief in Deine Hände gelangen wird, es soll vorübergehend Postsperre sein, will ich doch versuchen, ihn abzuschicken. Du kannst Dir denken, in welcher Verfassung ich bin, wenn ich mir vorstelle, daß ich vielleicht jetzt auf unabsehbare Zeit nichts mehr von Dir höre und daß wir nun völlig auseinandergerissen sind. Die Briefe waren doch immerhin ein, wenn auch schwacher, Ersatz. Vielleicht dämmert es jetzt auch bei Elerbert, daß ich recht hatte, als ich ihn voriges Jahr immer und immer wieder gebeten habe, daß er dafür sorgen soll, daß ich mit Euch zusammen weg kann. Die Situation ist sehr, sehr ernst, und ich kann es gar nicht mit anhören, wenn im Radio seit Tagen nur noch Kriegsmärsche gespielt werden, es erinnert zu sehr an 1914. Man kann nur noch hoffen, daß bei allen noch in letzter Minute die Vernunft siegen wird und daß ein Krieg vermieden wird. Tante Ellen schreibt auch, daß sie in großer Sorge um uns alle ist. Sie wollten jetzt ihr Gepäck nach E. nehmen, aber es geht vorläufig nicht, da die Schiffe von Hamburg auslaufen. Sie werden schön unglücklich darüber sein. Sie hat übrigens Mutti besiegt und schreibt, daß diese Glück wie immer hat. Sie bewohnt augenblicklich die Wohnung von Eva M., wofür sie nichts zu zahlen hat und wird wahrscheinlich in den Arbeitsprozeß mit eingeschaltet. Wir haben seit 14 Tagen eine schreckliche Hitze, und es kühlt sich auch abends nicht ab. Da es in meinem Zimmer mit heruntergelassenen Jalousien und geschlossener Tür zum Ersticken ist, gehe ich seit ca. 8 Tagen jeden Vormjittag] schwimmen. Ich fahre bis Rosenecke u. gehe dann runter zum See. Vorm. ist es nicht voll und sehr erholsam. In meiner eigenen Wohnung bin ich nur noch geduldet, und der Kerl schikaniert mich auf ekelhafte Art und Weise. Morgen gehe ich wieder zum Anwalt, aber ohne Räumungsklage wird es leider nicht abgehen. Ich hätte das dem Mann wirklich nicht zugetraut, und es ist mir auch nicht recht erfindlich, was er damit bezweckt. Daß meine Briefe durch alle diese Vorkommnisse und Sorgen nicht sehr freudig klingen, mußt Du verstehen.

Gestern war auch wieder so ein einsamer Sonntag, und ich muß mich mit Gewalt rausreißen, um auf andere Gedanken zu kommen. Da es sehr heiß war, habe ich zeitig gegessen, bin nach Potsdam gefahren und von dort mit dem Dampfer nach Ferch, übrigens zum 1. Mal. Es war wirklich schön und gar nicht so voll, nur müßte man so einen Ausflug nicht so ganz allein machen. Am Sonnabend war ich wieder mit Lottes Schwägerin Else in Gatow, sie ist gar nicht so übel, wenn man sie näher kennt, nur müßte sie nicht immer so schrecklich schlampig aussehen. Heute haben wir Bezugskarten für alles bekommen. Dadurch ist wenigstens dem Hamstern vorgebeugt worden, und es wird alles gleichmäßig verteilt. Gut, daß ich nichts von Garderobe brauche. Der Ausflug zu Reiner und Steffi muß ja sehr schön gewesen sein. Die Beschreibung der Camps hat mich auch sehr interessiert. Daß Steffi so ist, wie sie ist, freut mich sehr, sie ist halt doch ein Apt... Bei Reiner wird es schon auch noch werden, er ist ein sehr gutes Kind und hat sicher gute Anlagen. Die Fahrigkeit wird sich hoffentlich mit der Zeit verlieren. Über Korants, Grossgörschen-str., bin ich sehr ärgerlich. Sie haben sich seit meinem Geb[urtstag] noch nicht wieder gemeldet, und ich tue es auch nicht.

Tante Trude erzählte mir gestern, daß sie evt. eine Wohngemeinschaft mit ihnen machen wollen, die passen doch weiß Gott nicht zusammen. Tante Tonis Mieter ist übrigens als Arzt wieder zugelassen. Rolf schreibt sehr hoffnungsfroh, er hat bereits eine Stellung, von der er leben kann. Er ist doch tüchtig! Walter und Heinz sind Sonnabend nach Shanghai abgereist, ich sende Dir den Brief mit, den ich bekommen habe. Sie waren so oft in Berlin, haben aber nie den Weg zu mir gefunden. Marianne ist da auch viel schuld. Als ich das letzte Mal in Oppeln war, hat sogar Tante Hede sehr über sie geklagt. Mein Blumenkursus ist leider diese Woche zu Ende, ich habe leider nicht genügend Material zum Vorarbeiten gekauft, da es zu sehr ins Geld läuft. Jetzt kriege ich nichts mehr ohne Bezugsschein, dadurch wird auch der Kursus, den ich ev. in O. geben soll, schwierig sein.

Frau Po. hat sich ihre Frau Kunze mitgenommen und 2 Monate dort behalten. Wer es so gut hat! Ich wollte mir gerne noch diese Woche etwas Pflaumenmarmelade einkochen, da sie dieses Jahr sehr billig sind, aber leider reicht mein Zucker nicht aus dazu. Schade. Daß Du Frau U. beauftragt hattest, wäre mir nicht eingefallen, umso mehr, da sie schon seit Wochen verreist ist. Anscheinend hat aber Senta die Sachen besorgt und hier abgegeben. Ich muß schließen für heute, da der Brief in den Kasten soll. Tausend herzliche Grüße und Küsse für Euch alle und besonders für Dich in Liebe, Deine Mutti Ich bin doch sehr dafür, daß Du Dir die Sachen von Erich kommen lässt.

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