Menü
Chronik und Quellen
1939
August 1939

Hoffnung auf Zertifikat

Cilli Lipski macht ihren Eltern und ihrem Bruder in Berlin im Brief vom 19. August 1939 wenig Hoffnungen auf ein Palästina-Zertifikat:

Liebe Eltern und Helmut!

Dein lila Brief, liebe Mutti, kam vorige Woche und konnte ich noch nicht vorher antworten, da ich Dir einige positive Auskünfte eingeholt habe.

Erstens ging ich sofort nochmals (zum x.Mal!) zu unserem Chawer, der die Elternanforderungen bei der Regierung einreicht und zu diesem Zwecke oft nach Jerusalem fährt. Er sagte mir, dass jetzt weder für mich noch für den noch so dringendsten Fall Zertifikate ausgegeben werden, dass noch nicht einmal Aussicht besteht. Ich erzählte ihm alles ausführlich, dass ich Euch für arbeitsfähig glaube und rüstig. Auch dass ich 5½ Jahre hier bin, erwähnte ich usw. und Recht auf Anforderung [habe] und keiner ausser mir für eine Unterkunftsmöglichkeit für Euch Sorge trägt. Er hat sich das alles notiert, und doch weiss er sowohl wie ich, dass das alles auf die Regierung keinen Eindruck macht. Sie hat im Moment alles gesperrt! Basta! Tagtäglich kommen zu ihm soundsoviele wie ich und erzählen ihm dasselbe in anderer Ausführung. Bei dem einen sitzen die Eltern im Gefängnis, beim zweiten im Konzilager, beim dritten sind sie ausgewiesen und wissen nicht, wohin. Daraufhin ging ich dann

2) zum Sekretär und erkundigte mich bezüglich der Sendung, und er sagte, dass sie bestimmt inzwischen ankam, und er wartete auf meine Bestätigung zur Buchung.

3) Sprach ich bezügl. Erhöhung der Elternhilfe und erwähnte sogar, dass ich evtl. [den Kibbuz] verlassen will, falls man dem nicht genügen sollte. Doch wurde mir sofort gesagt, dass das für mich nur schlechtere Folgen hätte, die trostlose Arbeitslage in der Stadt, ich würde wie Tausende arbeitslos sein (das stimmt auch, ich höre täglich von Mädels oder Jungens, die hier verlassen haben u. jetzt kein Brot und kein Bett haben! Bestenfalls würde ich Arbeit finden im Haushalt und könnte dann bei grossen Einschränkungen monatlich Euch 1 £P schicken. Soll ich es also wagen? Falls Du, liebe Mutti, es verlangst, werde ich es wagen!! Doch geht dann die Elternanforderung natürlich verloren, denn ich verlasse ja damit den Kibbuz!

Ich erwarte also keine Stellungnahme, liebe Mutti. Wie gesagt, falls Du glaubst, dass evtl. 1 £P monatlich es lohnen, das Wagnis zu unternehmen, will ich es auf mich nehmen.

Jetzt will ich Dir etwas erfreulicher erzählen. Von Deiner Tochter Cilli. Vorige Woche war in Ein-Charod ein großes Schwimmfest. Von allen Meschakim der Umgebung fuhren die Auserwählten ca. 2½ Std. Bahnfahrt bis dort. Es war eine Beteiligung von 150 Schwimmern. Ich fühlte mich nach der heißen Woche sehr schlecht und wollte gar nicht fahren (wir hatten Tage, an denen mehrere ohnmächtig wurden! An einem Tag 6 Mann!!)

II

Ich sagte auch gleich, dass ich dieses Mal bestimmt keine Lorbeeren ernten werde, besonders [ist] da in -rnn yv ein Mädel, die ist nicht von Pappe. Aber wie das so ist, ich wurde auserkoren, ausser mir noch 6 Jungens und 1 Mädel. Und los ging’s; im Zug war’s sehr lustig, grosses Getobe.

Kurz und gut, nachmittags ging’s los, Appell von 150 rings um das Getümpel (ein lehmhaltiges braunes Gewässer unterhalb des Meschek). Zuerst Wettschwimmen der Kinder bis zu 12 Jahren. Das hätt[est] Du gesehen haben sollen!! Direkt Säuglinge. Prima geschwommen. Deganiah wurde erste. Kein Wunder, die Kinder schwimmen täglich im Jordan. Dann Staffetten, wir haben verloren, unsere Jungens waren faul. Dann Wettschwimmen der grösseren Jugend und schließlich ein Mädelsstart. Wie ich so zum Start stand, war mir klar, dass ich diesmal nichts schaffe, ich brauche mich gar nicht anzustrengen. Wir waren 13 Mädels, ein Pfiff, Befehl und los! Im Anfang war ich unter den letzten, dann merkte ich, dass die ändern schlapp machen und los! Tausende Zuschauer brüllten Zila! [Cilli], Aschdoth! Da habe ich denn losgelegt - und wurde erste! Wollte es zuerst nicht glauben. Man hat mir mächtig gratuliert, direkt ’ne Ehre. Im Brustschwimmen und auch im Rückenschwimmen denselben Erfolg. Wir waren ca. 4 Std. im Wasser und todmüde beim Anziehen. Wen treffe ich Mirjam Weizmann. Sie hat bereits 2 Kinder, sehr niedlich. Der Junge ist wirklich prächtig. Er ist 3 Jahre alt, und das Mädelchen ist 11 Monate. Eine Schönheit, ohne Übertreibung. Ich war so müde, dass ich nur in ihr[em] Zimmer auf dem Fuss-boden schlafen wollte. Dann habe ich eine Unmenge gegessen, und wir gingen nach Tel-Josef, ½ Std. Entfernung. Eigentlich sollte ein Neschef sein, doch ich bin auf der Wiese um 9 Uhr bereits eingeschlafen, trotzdem neben mir gesungen und gespielt wurde. Dann wurde uns ein Zimmer angewiesen, wo wir ca. 40 Mann auf Strohmatten auf dem Fuss-boden sofort einschliefen. Früh gingen wir noch nach [,..]-Kfar, wo ich Feigen entdeckt habe und meine Bademütze gefüllt habe, um das herzubefördern. Auch einen Apfelbaum haben sie dort meinem Appetit überlassen, ich habe seit Deutschland noch keinen Apfel gegessen!! In Aschdoth wurde ich mit grösser Freude empfangen, sogar im Joman (Tageszeitung, erscheint 2 x pro Woche), stand ein Artikel. Den schicke ich Dir einliegend, liebe Mutti!! Dann ging’s sofort zur Arbeit, wir waren zwar nur von Schabbat früh bis Sonntag mittags unterwegs, aber es schien mir eine Ewigkeit.

Schalom Eure Cilli

Baum wird geladen...