Zwangsarbeit und Einsamkeit
Das Ehepaar Malsch aus Düsseldorf schreibt am 7./8. August 1939 dem Sohn in den USA über Zwangsarbeit und Einsamkeit:
Lieb’ Männe,
Deine Luftpostkarte v. 25./7. kam erst heute - wohl mit der Manhattan an! Also fast 14 Tage! Wir schrieben Dir ausführlich dieser Tage + hoffen, bald eine feste Adresse von Dir zu haben. Für heute herzliche Grüße + Küsse Dein Dich liebender Papa
D/dorf 8.8.39
Mein geliebtes Kind! Du wirst Dich gewiß wundern, dass der 1. Papa so wenig heute dran geschrieben hat, er schrieb gestern Abend, er kommt immer todmüde nach Flause, ißt + geht sofort ins Bett. Das ist harte + sehr ungewohnte Arbeit. Um 5 Uhr stehen wir auf, um 6 Uhr geht der Omnibus ab Thonhalle nach Krummenweg, um 7 beginnt die Arbeit. Brote nimmt Papa sich mit + Kaffee, abends wird dann warm gegessen. Gestern Abend z.B. hat er sich schon um V2 8 Uhr hingelegt und schläft sofort ein. Du siehst also, wie schwer die Arbeit ist. L. Papa sagt, was soll das noch werden, wenn wir nicht zum Män-nele kommen, immer + dauernd könnte ich die Arbeit nicht machen. Papa tut mir sehr leid, sein Ohr ist auch bestimmt nicht besser geworden, im Gegenteil. Wenn wir nicht zu Dir kommen können, dann weiß ich bestimmt nicht, was aus uns noch werden soll. Papa verdient brutto 66 [Pf] die Stunde. So ist unser Leben hier. Ich möchte auch sehr gerne noch etwas dazu verdienen, aber es ist nichts zu kriegen, die reichen Leute sind alle fort, die anderen haben selbst nichts. Anschaffen können wir uns schon überhaupt nichts mehr, und man kommt in Kleidung dadurch sehr herunter, das kannst Du Dir wohl vorstellen. L. Papa ist doch immer sehr fleißig gewesen und hat doch immer sehr gut für uns gesorgt, nicht wahr lieb’ Männele? Es ist bestimmt kein Leben mehr, nichts wie Sorgen, Sorgen. Wenn wir doch nur zu Dir können, mehr wollen wir ganz bestimmt [nicht], dann sind wir zufrieden. Aber wann und wie? Auch hier das Zimmer ist schlimm, kein Wasser, kein Gas, wo ich drauf kochen kann. Wir haben einen kl. Spiritus-Kocher, dann haben wir einen kleinen elektrischen Kocher gekauft, ist aber auf die Dauer zu teuer mit dem Strom, es ist doch alles nichts mehr. Ungeziefer haben wir auch, was wir doch nie in unserem Leben gekannt haben, und dann die furchtbar dreckigen St. dazu, ich muß off beide Augen zudrücken zu allem, und die teure Miete, 30 Mark für ein Zimmer. Ein anderes Zimmer ist überhaupt nicht zu haben, da muß man auch froh sein, wenn man das überhaupt hat. Wir dachten im Winter, es wäre nur für eine kurze Zeit, da haben wir uns aber schwer getäuscht. Es ist uns doch schließlich alles gleich, wenn wir doch die Gewissheit hätten, bald bei Dir zu sein, dann soll mir alles, nur alles recht sein. Viel Kleider + Wäsche können wir sowieso jetzt nicht mehr mitbringen, auch das ist das wenigste, nicht wahr, lieb’ Männele. Deine Luftpostkarte vom 25. Juli kam gestern, den 7. August, erst an. Wenn das Kistchen ankommt, schreiben wir Dir gleich Antwort. Unsern letzten Luftpostbrief vom 4. ds. [M.] mit der Bremen hast Du ja wohl inzwischen richtig erhalten. Warum lässt Du Dir dann nicht in Deine Wohnung schreiben. Du glaubst gar nicht, lieb’ Mopsle, was wir uns Sorgen um Dich machen, ich bete jeden Tag zum 1. Gott, daß er Dich gesund läßt und daß er uns bald wieder zu dritt zusammen lassen kommen will, das ist mein tägliches Abend-Gebet. Wir sind innerlich und äußerlich recht alt geworden, ist das denn ein Wunder? Ich muß den 1. Papa off noch aufmuntern, [,..] mir bald selbst off das Herz zum Zerspringen ist. Aber ich will Dir Dein junges Herz nicht auch noch von uns schwermachen, Du hast es doch jetzt bestimmt auch nicht leicht. Ich gehe manchmal über die Straße, dann laufen mir nur so die Tränen herunter, wenn ich an alles denke, besonders, daß wir nicht bald zu Dir können, so bin ich mit den Nerven herunter. Jetzt habe ich Dir aber genug vorgeklönt, nimm es mir aber bitte nicht übel, man muß doch mal einen Menschen haben, dem man sein Herz ausschütten kann, und bei Dir kann ich es doch wohl. Alles, alles ist zu ertragen, wenn wir doch bald zu Dir kommen könnten. Jetzt kommt der 1. Sept., lieber Gott, was soll dann noch werden, der arme Papa, ich sprech mit ihm gar nicht darüber. Nun kannst Du Dir wohl ungefähr vorstellen, wie mir zu Mute ist. Weißt Du sonst keinen Rat? Viele, viele Leute sind von hier fort, und wir kommen + kommen nicht dazu.
L. Männele. Ich hoffe, Du hast uns nun recht ausführlich geschrieben, alles, nur alles, was Du tust, was Du verdienst, wie Du Dich eingewöhnt hast, ob Du zurechtkommst und vieles, vieles mehr. Du bist doch nun schon 6 Wochen dort. Auf Lämmle hast Du auch zu große Hoffnungen gesetzt, da sieht man es wieder + wieder, der Mensch muß sich immer wieder selber helfen, die Erfahrung haben wir auch jetzt immer wieder gemacht.
Von Irma haben wir nie mehr etwas gehört. Gestern kam nun eine Karte aus M. Gladbach, Heinz sei in Brüssel seit 5 Wochen. Farn. Abraham wollte uns diese Woche mal hier sprechen, wir sollten doch mitteilen, wann + wo sie uns hier treffen könnten, es gäbe doch so viel zu erzählen. Lieb Männele, so sind die Menschen, wir geben gar keine Antwort. Die ganze Zeit haben sie nichts von sich hören lassen, jetzt wollen [sie] bestimmt nur etwas von uns wissen, dann ist wieder Schluß. Ende vorigen Jahres haben sie sich nicht mal um mich gekümmert, ich war einmal dort, sie haben nie mehr was von sich hören lassen. Sollten sie sich nicht mal um mich gekümmert haben? Sie waren vielleicht bange, sie müßten mir etwas geben, jetzt wollen wir nicht, sie sollen machen, was sie wollen, und uns in Ruhe lassen, der 1. Gott mag doch ein Einsehen mit uns haben und uns bald zu Dir schicken. Irma ist genauso. Ich hoffe, Du richtest Dich auch danach und schreibst Irma nicht. So bin ich nun den ganzen Tag alleine und gehe meinen Gedanken nach, ich danke noch dem 1. Gott, daß der 1. Papa etwas verdient, wovon sollen wir auch sonst leben?
Tue uns den einzigsten Gefallen und gebe uns auf unsere div. Briefe eine recht ausführliche Antwort, damit keine unnötigen Fragereien entstehen. Hast Du denn nun endlich die Muster an Alfred zurückgeschickt? Hast Du den Pullover von ihm erhalten? So, für heute kannst Du mal wieder zufrieden sein mit dem langen Brief. Sei 10 000 mal gegrüßt, geküßt + gedrückt, bleib gesund, immer Deine Dich sehr liebende Mutter.