Verweigerung des Anlegens
Die Exil-SPD zählt im Juli 1939 in den „Deutschland-Berichten“ die Flüchtlingsschiffe auf, denen die Landung verweigert wird:
b) Die Flüchtlingsschiffe
In eine andere Art „Niemandsland“ geraten die jüdischen Flüchtlinge, und zwar abermals zu vielen tausenden, auf hoher See. Aus allen Häfen gejagt, ausserstande, ihre verzweifelnde menschliche Fracht wo immer in der Welt an Land zu setzen, kreuzen die „Geisterschiffe“ auf den Meeren. Lebensmittel, Trinkwasser und Kohle werden knapp, die Passagiere werden von ansteckenden Krankheiten befallen, die Selbstmorde mehren sich. Hilferufe werden nach allen Seiten gefunkt, aber nur selten wird Hilfe gewährt. Einige Beispiele:
Flandre hatte etwa 100 Flüchtlinge aus Deutschland an Bord. Cuba und Mexiko verweigerten die Landung. Am 19. Juni ist das Schiff nach wochenlanger Irrfahrt im Hafen von St. Nazaire (Bretagne) gelandet.
St. Louis, ein Hapag-Dampfer mit 937 Flüchtlingen an Bord, konnte in Cuba nicht landen, weil die cubanischen Visa der Passagiere sich nicht als gültig erwiesen. Amerika lehnte eine sofortige Aufnahme dieser Flüchtlinge ab. Endlich, nach einer wochenlangen Irrfahrt des Schiffes erklärten sich die Regierungen von England, Frankreich und Belgien damit einverstanden, dass die Passagiere auf ihre Länder verteilt würden. Orinoco befand sich mit 200 jüdischen Flüchtlingen etwa um die gleiche Zeit auf der Fahrt von Deutschland nach Cuba. Im Hafen von Cherbourg erreichte sie aus Berlin der funktelegrafische Befehl: „Sofort zurück nach Hamburg!“ Mehrere Flüchtlinge versuchten, ins Meer zu springen. Orinoco ist das erste Schiff, das zwangsweise nach Deutschland zurückbeordert worden ist, und zwar unter Hinweis auf das Aufsehen, das das Schicksal der St. Louis erregt hat.
Usaramo irrte mit 500 jüdischen Flüchtlingen, darunter mehreren Aerzten, Anwälten, Schriftstellern, sechs Wochen auf dem Meer umher und nahm dann Kurs nach Shanghai. Die Unterbringung auf dem Dampfer war denkbar schlecht. Die Flüchtlinge durften die Baderäume nicht benutzen.
Orbita mit 68 jüdischen Flüchtlingen durfte in Ecuador nicht landen und lag lange Zeit in Balboa, Panama-Kanal-Zone, in Quarantäne. Endlich bekamen die Passagiere die Erlaubnis, in Panama an Land zu gehen, wo sie für drei Monate Aufenthaltsbewilligung erhielten. Nach Ablauf dieser Frist müssen sie, sofern sie nicht von Amerika aufgenommen werden, nach Europa zurückkehren.
Cap Norte hat mit 15 Flüchtlingen an Bord am 28. April Hamburg verlassen, und zwar mit dem Ziel Südamerika. Paraguay, Uruguay, Argentinien verweigerten die Landung. Am 26.6. landete das Schiff in Boulogne sur mer. Die Passagiere wurden vorübergehend in Frankreich aufgenommen.
Auf dem Motorschiff Monte Olivia der Hamburg-Südamerika Linie befanden sich 78 jüdische Passagiere, die eine Einreiseerlaubnis nach Paraguay hatten. Aber Uruguay verweigerte Landung und Durchreise. Die Passagiere durften nach wochenlanger Unsicherheit am 15. Juni in Buenos Aires an Land gehen, wo sie Aufenthaltsgenehmigung für 20 Tage erhielten. Schliesslich nahm Chile sie auf.
Prosula mit 65 Flüchtlingen, meist aus der Tschechoslowakei stammend, verliess am 25. Juni den Hafen Sulina (Donaumündung) mit dem Ziele Shanghai. Unterwegs gingen Geld und Lebensmittel aus. Das Schiff lief den ersten besten Hafen an, und zwar den nordlibanesischen Seehafen Tripoli. Die Behörden des Libanon beschlossen Mitte Juni, die Passagiere zuzulassen.
Dora, ein alter griechischer Kohlendampfer, verliess, unter der Flagge von Panama reisend, mit 500 jüdischen Flüchtlingen an Bord am 17. Juni Amsterdam, angeblich um nach Siam zu fahren. Tatsächlich irrt er heute noch auf dem Meer umher. Unter den Passagieren, die zum grössten Teil deutsche Juden sind, befinden sich zahlreiche Frauen und Kinder.
Auf dem italienischen Dampfer Frossula, der 658 tschechisch-jüdische Flüchtlinge an Bord hat, brach die Pest aus. Zwei Passagiere starben daran. Der französische Hochkommissar für Syrien gestattete der Frossula, für kurze Zeit im Hafen von Beirut in Quarantäne zu gehen. Nach der Desinfektion des Schiffes wurden die Passagiere, die vorübergehend an Land gegangen waren, sofort wieder auf den Dampfer zurückgebracht. Die Abreise wurde auf Ende Juli festgesetzt. Das weitere Schicksal der Frossula-Flüchtlinge ist ungewiss.
Osiris mit 600 Flüchtlingen ankert gegenwärtig vor der syrischen Küste. Sechs Wochen lang hat das Schiff nach einer Landungsgelegenheit gesucht. Die Lebensmittelvorräte waren schon lange erschöpft. Bis jetzt ist noch keine Entscheidung über das Schicksal der Passagiere gefallen.
Thessalia mit 550 Flüchtlingen ist vor Beirut von einem libanesischen Küstenwachtboot gestellt und gezwungen worden, die syrischen Hoheitsgewässer zu verlassen. Tripoli verweigerte die Landung. Der Dampfer irrt weiter auf hoher See umher.
Am 2. März 1939 sind 424 Danziger Juden in plombierten Waggons nach einem rumänischen Hafen überführt worden. Ein kleiner griechischer Dampfer sollte sie illegal nach Palästina bringen. Britisches Militär hat die Landung verhindert. Speisevorräte und Trinkwasser waren zu jener Zeit schon sehr knapp. 13 Wochen lang irrte das Schiff auf dem Meer umher. Endlich sind die Vertriebenen auf der griechischen Insel Kreta abgesetzt worden. Sie sind ohne Kleidung und Schuhwerk, leiden unter Hunger und epidemischen Krankheiten, werden von Ratten und Ungeziefer fast zerfressen. Einige Flüchtlinge sind bereits gestorben.
Am 28. Juli meldete die „Times“:
Etwa 900 jüdische Flüchtlinge aus Mitteleuropa, die vor 3 Wochen auf einem jugoslawischen und einem ungarischen Dampfer in Rustschuk, Bulgarien, ankamen und denen die Landungserlaubnis verweigert wurde, sind jetzt auf denselben Schiffen nach Sulina, Rumänien, abgereist. Sie hoffen, dass sie von dort aus imstande sein werden, irgendwo im Mittelmeer einen Zufluchtshafen zu finden.