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Chronik und Quellen
1939
April 1939

Neues Gesetz beschneidet Rechte

Das Reichsgesetz vom 30. April 1939 schränkt die Rechte von jüdischen Vermietern und Mietern ein:

Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939.

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

§ 1

Lockerung des Mieterschutzes

Ein Jude kann sich auf den gesetzlichen Mieterschutz nicht berufen, wenn der Vermieter bei der Kündigung durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde nachweist, daß für die Zeit nach der Beendigung des Mietverhältnisses die anderweitige Unterbringung des Mieters sichergestellt ist. Dies gilt nicht, wenn auch der Vermieter Jude ist.

§2

Vorzeitige Kündigung

Ein Mietvertrag kann, wenn nur ein Vertragsteil Jude ist, von dem anderen jederzeit mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden, auch wenn der Vertrag auf bestimmte Zeit geschlossen oder eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart ist. Der Vermieter kann jedoch für einen früheren als den vertraglich zulässigen Termin nur kündigen, wenn er bei der Kündigung durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde nachweist, daß für die Zeit nach der Beendigung des Mietverhältnisses die anderweitige Unterbringung des Mieters sichergestellt ist.

§3

Untermieter

Juden dürfen Untermietverträge nur mit Juden abschließen. Die Erlaubnis des Vermieters ist nicht erforderlich, wenn dieser auch Jude ist.

§4

Unterbringung

(1) Ein Jude hat in Wohnräumen, die er als Eigentümer oder auf Grund eines Nutzungsrechts innehat oder die er von einem Juden gemietet hat, auf Verlangen der Gemeindebehörde Juden als Mieter oder Untermieter aufzunehmen. Wird der Abschluß eines entsprechenden Vertrags verweigert, so kann die Gemeindebehörde bestimmen, daß ein Vertrag mit dem von ihr festgesetzten Inhalt als vereinbart gilt. Die Höhe der Vergütung für die Überlassung der Räume und eines etwaigen Untermietzuschlags bestimmt die Gemeindebehörde, sofern sie nicht selbst Preisbehörde ist, im Einvernehmen mit der zuständigen Preisbehörde.

(2) Für die Festsetzung von Mietverträgen und Untermietverträgen kann die Gemeinde Gebühren erheben.

(3) Ein nach Abs. 1 begründetes Miet- oder Untermietverhältnis darf der Vermieter oder Untervermieter nur mit Genehmigung der Gemeindebehörde kündigen.

§5

Neuvermietung

Juden dürfen leerstehende oder frei werdende Räume nur mit Genehmigung der Gemeindebehörde neu vermieten. Die Vorschriften des § 4 finden auf diese Räume entsprechend Anwendung.

§6

Einfluß des Wegfalls der Verwaltungsbefugnis

Soweit die Anwendung der §§ 1 bis 5 davon abhängt, daß der Vermieter Jude ist, gilt der Grundstückseigentümer oder der Nutzungsberechtigte auch dann als Vermieter, wenn er infolge des Wegfalls seiner Verwaltungsbefugnis den Mietvertrag nicht selbst abgeschlossen hat oder abschließen kann.

§7

Mischehen

Hängt die Anwendung dieses Gesetzes davon ab, daß der Vermieter oder der Mieter Jude ist, so gilt für den Fall einer Mischehe des Vermieters oder Mieters folgendes:

1. Die Vorschriften sind nicht anzuwenden, wenn die Frau Jüdin ist. Das gleiche gilt, wenn Abkömmlinge aus der Ehe vorhanden sind, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht.

2. Ist der Mann Jude und sind Abkömmlinge aus der Ehe nicht vorhanden, so sind die Vorschriften ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob der Mann oder die Frau Vermieter oder Mieter ist.

3. Abkömmlinge, die als Juden gelten, bleiben außer Betracht.

§8

Wechsel des Verfügungsrechts

(1) Geht das Verfügungsrecht (Eigentum oder Nutzungsrecht) über ein Grundstück nach Inkrafttreten dieses Gesetzes von einem Juden auf einen Nichtjuden über, so bleiben die Vorschriften dieses Gesetzes in gleicher Weise wie vor dem Übergang anwendbar, jedoch ist eine vorzeitige Kündigung (§ 2) ausgeschlossen. Dies gilt auch bei einem weiteren Wechsel des Verfügungsrechts.

(2) Die Vorschrift des Abs. x erstreckt sich nicht auf Räume, die der Verfügungsberechtigte selbst benutzen will oder auf deren Inanspruchnahme die Gemeindebehörde verzichtet hat. Zum Nachweis des Verzichts genügt eine Bescheinigung der Gemeindebehörde.

§9

Räumungsfrist

(1) Wird ein Jude auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes zur Räumung verurteilt, so darf ihm eine Räumungsfrist nur dann bewilligt werden, wenn er durch eine Bescheinigung der Gemeindebehörde nachweist, daß seiner anderweitigen Unterbringung Hindernisse entgegenstehen, oder wenn die sofortige Räumung ohne ernstliche Schädigung der Gesundheit eines Betroffenen nicht durchführbar ist. Die Räumungsfrist kann unter den gleichen Voraussetzungen verlängert werden.

(2) Die Vorschrift im Abs. 1 ist, soweit der Räumungspflichtige nicht selbst gekündigt hat, entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung zur Räumung nicht durch Urteil ausgesprochen ist oder die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Räumungsfrist erst nach der Verkündung des Urteils eintreten. Über die Bewilligung der Frist entscheidet auf Antrag des Räumungspflichtigen das für die Räumungsklage zuständige Amtsgericht. Wird eine Frist bewilligt und liegt ein vollstreckbares Räumungsurteil nicht vor, so ist in der Entscheidung zugleich auszusprechen, daß die Räume nach Ablauf der Frist herauszugeben sind; diese Entscheidung steht einem vollstreckbaren Räumungsurteil gleich.

(3) Gegen die Entscheidung, durch die die Bewilligung einer Räumungsfrist abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde auch dann statt, wenn ein Urteil nur wegen Versagung der Räumungsfrist angefochten wird.

(4) Bis zur Herausgabe der Räume haben die bisherigen Vertragsteile die gleichen Rechte und Pflichten wie vor der Beendigung des Mietverhältnisses.

(5) Im Verfahren gemäß Abs. 2 werden die gleichen Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren erhoben wie im Verfahren über Anträge auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Für die Bemessung des Streitwerts gilt § 10 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes entsprechend.

§ 10

Begriffsbestimmung

(1) Wer Jude ist, bestimmt sich nach § 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 (Reichsgesetzbl. I, S. 1333)

(2) Einem Juden steht außer bei der Anwendung des § 9 ein jüdisches Unternehmen im Sinne des Artikels I der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 627) gleich. Als Wechsel des Verfügungsrechts im Sinne des § 8 ist auch der Wegfall der Voraussetzungen anzusehen, unter denen ein Unternehmen als jüdisch gilt.

§ 11

Behandlung anhängiger Mietauftiebungsklagen

(1) Ist beim Inkrafttreten dieses Gesetzes gegen einen Juden oder den Ehegatten eines Juden ein Mietaufhebungsstreit anhängig, so hat das Gericht auf Antrag des Klägers das Verfahren auszusetzen, um ihm die Kündigung nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu ermöglichen. Kündigt der Kläger das Mietverhältnis, so kann er die Aufnahme des Verfahrens beantragen und von der Aufhebungsklage zur Räumungsklage übergehen. Erledigt sich der Rechtsstreit dadurch, daß der Mieter auszieht oder den Räumungsanspruch anerkennt, so sind die durch den Aufhebungsstreit entstandenen Gerichtskosten niederzuschlagen; die außergerichtlichen Kosten hat der Mieter zu tragen.

(2) Nimmt der Kläger die Aufhebungsklage zurück, so sind die Gerichtskosten niederzuschlagen und die außergerichtlichen Kosten gegeneinander aufzuheben.

§ 12

Allgemeine Anmeldepflicht

(1) Die Gemeindebehörde kann Anordnungen über die Anmeldung von Räumen erlassen, die an Juden vermietet sind oder die für die Unterbringung von Juden nach den Vorschriften dieses Gesetzes in Anspruch genommen werden können.

(2) Wer vorsätzlich oder fahrlässig die vorgeschriebene Anmeldung nicht oder nicht rechtzeitig bewirkt, wird mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haff bestraft.

§13

Ausschluß von Ersatzansprüchen

Aus Anordnungen der Gemeindebehörde, die auf den Vorschriften dieses Gesetzes beruhen, können Ersatzansprüche gegen die Gemeinde nicht hergeleitet werden.

§ 14

Vorbehalt, Ermächtigung

(1) Die Inkraftsetzung dieses Gesetzes im Lande Österreich und in den sudetendeutschen Gebieten bleibt Vorbehalten.

(2) Der Reichsminister der Justiz und der Reichsarbeitsminister werden ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern Vorschriften zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes sowie zur Einführung entsprechender Bestimmungen im Lande Österreich und in den sudetendeutschen Gebieten zu erlassen.

Berlin, den 30. April 1939.

Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler
Der Reichsminister der Justiz Dr. Gärtner
Der Reichsarbeitsminister In Vertretung Dr. Krohn
Der Stellvertreter des Führers R. Heß
Der Reichsminister des Innern Frick

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