Bericht aus Allersberg
Erik und Magda Geiershoefer aus Allersberg schildern im Juni/Juli 1939 rückblickend, wie NSDAP-Funktionäre nach dem Pogrom ab dem 22. November 1938 ihren Besitz vereinnahmt haben:
III. Bericht v. Erik Geiershoefer über die weiteren Erlebnisse mit Zusätzen von Magda Geiershoefer
22. Nov., Dienstag: In aller Frühe fuhr ich mit dem inzwischen eingetroffenen Affidavit von Tante Adele Auerbach, London, nach München, um beim englischen General-Konsul zu erfahren, ob wir auf Grund des erhaltenen Affidavits ohne weiteres ein englisches Visum bekämen, wenn wir im Besitze unserer Pässe seien. Vom Konsul erhielt ich den Bescheid, dass die Home Office in den letzten Tagen die Anordnung erlassen habe, dass alle bisherigen Bestimmungen für Erhalt eines Visums ungültig seien und die neuen Vorschriften von den Konsulaten abgewartet werden müssten. Unter den alten Bestimmungen hätten wir auf Grund des in Händen habenden Affidavits das Visum erhalten. Die neuen Bestimmungen sollten in 8 bis 14 Tagen eintreffen. Ohne also etwas erreicht zu haben, kam ich gegen Abend wieder in Allersberg an.
Inzwischen war ein Brief meiner Mutter, die wir in Berlin wähnten, eingetroffen, in welchem sie uns mitteilte, dass sie nur eine Nacht bei ihren Bekannten verbringen konnte, weil diese sonst grosse Unannehmlichkeiten bekommen hätten. Da mein Bruder, welcher in Hamburg wohnte, unbehelligt geblieben war - hinter einem Schiffsoffizier vermuteten die Nazis wahrscheinlich keinen Juden -, flüchtete meine Mutter dorthin. Obwohl in Hamburg wie in fast allen übrigen Orten für Juden keine Zuzugsgenehmigung erteilt wurde, gelang es meinem Bruder, diese für Mutter zu erhalten. Einer der massgebenden Polizeibeamten war zufällig ein alter Bekannter von ihm. Auch gelang es ihm, seine bisherige Wohnung - er hatte dieselbe bereits gekündigt, da er im Laufe des Dezembers nach Basrah, Irak auswandern wollte - für Mutter zu erhalten. In dem Brief bat Mutter unter anderem, Magda solle versuchen, in Nürnberg von ihrem Privatbankkonto etwas Geld für sie zu erheben und ihr per Wertbrief zuzusenden, denn Mutter war nur mit geringen Mitteln fortgeschickt worden, und sie befürchtete ausserdem, dass die Bankkontos aller Juden bald gänzlich gesperrt werden würden.
23. Nov., Mittwoch: In aller Frühe fuhr Magda nach Nürnberg auf die Bank, und es gelang ihr wirklich, von Mutters Privatkonto noch einen Betrag zu erhalten. Nachmittags sandten wir denselben von Allersberg aus sofort ab. Soweit unsere Zeit nicht mit dem Schreiben wichtiger Briefe ausgefüllt war, verwendeten wir diese zur Aussortierung unserer Sachen.
24. Nov., Donnerstag: Im Laufe des Nachmittages Hess mich der Ortsgruppenleiter wissen, ich solle mich gegen 5 Uhr bereithalten. Die Kreisleitung habe gerade mitgeteilt, dass die Herren heute wieder herüberkämen und ich ja da sein müsse. Zur angegebenen Zeit erschienen mit finsteren, verschlossenen Gesichtern die Herren Dornberger, Förster und Kamm von der Kreisleitung, sowie Ortsgruppenleiter Kugler und der Gendarmerie-Kommissar Burckhardt. Dornberger sagte sofort: „Wir bringen etwas Unangenehmes. Ihre Mutter versucht in Hamburg zusammen mit ihrem Bruder, krumme Geschichten zu machen. Da wir diese nicht packen können, nehmen wir eben Sie wieder mit. Hier ist der Haftbefehl. Heute geht’s nach Hilpoltstein wieder ins Gefängnis und übermorgen früh nach Dachau ins Konzentrationslager.“
Meiner Frau, die schreckensbleich und an allen Gliedern zitternd auf der Couch zusammengesunken war, wurde befohlen, sofort einige warme Sachen für mich zusammenzurichten. Während meine Frau diesem Befehl nachkam, erschien noch der Notar Dr. Pfeiffer aus Hilpoltstein, der zusammen mit Dornberger den Firmenverkauf, Geldverwaltung etc. in der Hand hatte. Ich drang nun in die Herren, mir doch zu sagen, was Mutter und mein Bruder denn von Hamburg aus gemacht hätten, denn es müsse hier sicher ein Missverständnis vorliegen. Man antwortete mir, dass der Treuhänder meines Bruders, ein Herr Dr. Seif[f]ert in Hamburg, um sofortige Überweisung des allerdings geringen Geschäftsanteiles meines Bruders in Höhe von ca. RM 30000.- ersucht habe, dass man rechtlich dagegen ja nichts machen könne, da mein Bruder ja auf seinen Anteil nicht verzichtet habe, doch die Anregung zu dieser Aufforderung sicher meine Mutter gegeben habe und man mich als Repressalie dagegen eben wieder mitnehme. Ich erwiderte, dass meine Mutter dies sicher nicht getan habe, und bat um Genehmigung, meinen Bruder sofort anrufen zu dürfen. Nach einigem Hin und Her wurde dies auch genehmigt. Mein Bruder erklärte mir bezw. den Herren, dass die Anforderung des Betrages nicht auf seine Veranlassung oder der von Mutter erfolgt sei, sondern sein Treuhänder habe diese auf Veranlassung der Devisenstelle Hamburg erlassen, da jene das Verfügungsrecht über das Vermögen meines Bruders, welcher ja in der Auswanderung begriffen war, an ihn übertragen habe und er als Vertrauensmann der Devisenstelle für Sicherstellung des Geldes zu sorgen habe. Mein Bruder sagte ferner, dass er sich sofort zu dem Treuhänder begeben werde, der dann allen hier versammelten telephonisch die eben gemachten Angaben bestätigen könne. - Die Herren der Partei kamen nach kurzer Beratung nun zu folgendem Beschluss: „Wir müssen unbedingt für diesen Betrag anderweitig Ersatz bekommen, und da wir wissen bezw. in der Zwischenzeit in Erfahrung gebracht haben, dass Ihre Mutter beim Finanzamt Hilpoltstein für ca. 60 000. RM Wertpapiere und auf der Bank noch ein Privatkonto von ca. 30 000. - bis 35 000. RM hat, kann Sie vor dem Konzentrationslager nur retten, wenn Ihre Mutter sofort hierherkommt und ihr ganzes restliches Privatvermögen an uns (…) bekannt und erklärte sie sich auch sofort bereit hierherzufahren, doch sei dies infolge ihres schlechten Gesundheitszustandes fast unmöglich. Sie wolle jedoch heute Abend bei einem Notar eine Vollmacht ausstellen, durch die Herr Dornberger volle Verfügungsberechtigung über ihr ganzes restliches Vermögen erhalte.
Nach kurzer weiterer Beratung erklärten sich die Herren hiermit einverstanden, wenn noch im Laufe des Abends ein Telegramm eines Hamburger Notars bestätige, dass die Vollmacht wirklich vor ihm unterschrieben und sofort abgesandt worden sei. - Nachdem auch ein längeres Telephongespräch mit dem Treuhänder in Hamburg geführt worden war und dieser alle Angaben bestätigt und sich ebenfalls verbürgt hatte, dass er für sofortige Ausstellung der Vollmacht und deren Absendung sorgen werde, begann wieder die Beratung über mein weiteres Schicksal. Endlich beschloss man, mich hierzulassen, doch musste ich mich verpflichten, nicht aus dem Haus zu gehen, bis man mir dies morgen gestatte, um mich sofort festnehmen zu können, wenn die Vollmacht nicht rechtzeitig eintreffen sollte. Schliesslich machten sich die Herren doch wieder auf den Weg. In welcher Verfassung wir uns befanden, werde ich nicht beschreiben zu brauchen. Durch diesen Vorfall war uns zur Gewissheit geworden, dass wir keinen Augenblick mehr sicher sein würden. Jeden Tag könnten die Herren ja etwas anderes finden, um mich wieder zu holen. Für heute waren sie jedenfalls einmal befriedigt, denn sie hatten ja wieder ein ganz schönes Stück Geld ergattert. - An Schlaf war jedenfalls in dieser Nacht für uns nicht zu denken.
25. Nov., Freitag: Im Laufe des Nachmittags kam noch einmal der Notar, welcher uns Geld für die Schiffskarten etc. brachte: Er war sehr höflich und gab uns gegenüber seiner Freude Ausdruck, dass ich gestern dableiben habe dürfen. Er habe sein möglichstes getan, doch sei sein Einfluss natürlich nur gering, da er nur ein einfaches Parteimitglied sei. Von ihm erfuhr ich auch, dass das Geschäft an einen Herrn Guttmann aus Weissenburg, einen jungen unerfahrenen Menschen ohne genügend Betriebskapital verkauft worden sei.
26. Nov., Samstag: Ich war in Nürnberg und zahlte beim Nordd. Lloyd den Betrag für unsere Schiffskarten nach USA ein.
27. Nov., Sonntag: Von der Devisenstelle Nürnberg Formulare erhalten zum Ausfüllen, da bekannt geworden sei, wir wollten auswandern. Ferner fanden [wir] im Briefkasten einen an meine Frau gerichteten Zettel, in dem eine unbekannte Person sie dringend in unserem Interesse ersuchte, am Montag früh in einem kleinen Café in Nürnberg zu erscheinen. Dieser Zettel bereitete erneute Unruhe. Was wollte man wieder von uns? Sollte es eine Erpressung oder eine Falle sein, oder wollte uns jemand hintenherum einen Wink geben? Wir beschlossen dann, den Zettel dem Polizeikommissar Burckhard zu geben. Dieser war nicht zu Hause, kam aber abends zu uns, nahm den Zettel an sich und sagte, Magda solle ja nicht hingehen, aber Obacht geben, wer mit dem Frühzuge nach Nürnberg fahre und als Schreiber des Zettels in Betracht komme, denn Magda musste am Montag zur Devisenstelle nach Nürnberg.
28. Nov., Montag: Wir machten eine Aufstellung über die wenigen Möbel, die wir mit ins Ausland zu nehmen beabsichtigten. Ferner stellten wir eine Liste der Möbel zusammen, die sich die NSDAP bezw. die NSV und die Ortsgruppenleitung für sich ausbedungen hatte [n]. Es handelte sich um folgende Möbelstücke: 1 kompl. Fremdenzimmer (Mahagoni), bestehend aus 2 Bettstellen mit Matratzen und Auflegematrazen, 2 Nachttischchen, 1 Kleiderschrank, 1 Tisch & 2 Stühle, ferner 1 Schreibtisch (Eiche) mit Sessel und grossem Bücherschrank, 1 Chaiselongue, mehrere Posterstühle, 1 weiteres Bett (Nussbaum) mit Draht- und Rosshaarauflege-Matratze, Deckbett und Kissen, Nachttisch, Waschgarnitur etc., ferner noch einen Kleiderschrank und grossen Tisch, 1 Kinderbettstelle, diverse Lampen sowie fast unsere sämtlichen elektrischen Geräte wie Kochherd, Kühlschrank, Heisswasserspeicher, Ofen. Ferner noch 1 Linoleum-Teppich, eine grosse Anzahl Kinderspielsachen sowie fast unsere ganze Bibliothek etc.
Die Pflegeschwestern meiner Frau sollten folgende Sachen erhalten, wenn die Kreisleitung uns dieselben für diesen Zweck freigeben würde: 2 Küchen- und 2 Kleider-Schränke, 2 Lampen, 2 Sessel, 4 Stühle, 2 Tische, 1 Büffet, 1 Chaiselongue, 1 Spültisch sowie etwas Porzellan und einige Küchengeräte. Ausserdem bat meine Frau noch um Freigabe der Kleinkindersachen wie Babykorb, Badewanne, Wickeltisch, Kinderwagen etc. für eine Freundin, die gerade ihr erstes Kind erwartete und der diese Sachen schon lange zugedacht waren. Abends erschien wieder Gendarmerie-Kommissar Burckhard, um sich zu erkundigen, ob Magda im Zuge jemand gesehen habe, der als Briefschreiber bezw. -schreiberin in Betracht kommen könnte. Dies war aber nicht der Fall. Dann sagte der Kommissar zu mir: „Ich habe gehört, dass Sie eine sehr schöne Briefmarkensammlung haben. Diese können Sie doch nicht in das Ausland mitnehmen. Ich habe Interesse dafür, geben Sie diese doch mir.“ Was blieb mir anderes übrig, als ja zu sagen und ihm mein Europa-Album auszuhändigen. Nachdem Magda ihm auf seinen Wunsch hin noch eine Quittung über einen lächerlich geringen Betrag als angeblichen Kaufpreis ausgestellt hatte, ging er mit seiner Beute von dannen.
29. Nov., Dienstag: Der Devisenstelle mussten wir eine Liste aller unserer Sachen einreichen, die wir mitnehmen wollten, und es war Vorschrift, dass alles von einem amtlichen Taxator geschätzt sein musste. Dieser, ein Herr Ohmann, kam Nachmittag[s] und nahm alles auf. Da die Kontrolle sehr streng sei, ermahnte er uns, ihm ja alles, was wir hätten bezw. mitnehmen wollten, vorzulegen.
Im Laufe des Tages kam dann auch wieder Dornberger, um sich zu erkundigen, wie weit unsere Auswanderung gediehen sei, und teilte mir gleichzeitig mit, dass Donnerstag von mir verschiedene Unterschriften noch gegeben werden müssten - er käme dazu mit einigen Herren hierher - und ich auf alle Fälle da sein müsse.
30. Nov., Mittwoch: Unter Aufsicht von Ortsgruppenleiter Kugler musste ich im Geschäft dem neuen Inhaber und den Angestellten eine Unmenge Fragen beantworten, da sich niemand auskannte und jetzt schon ziemlich viel verkehrt gemacht worden war.
1. Dez., Donnerstag: Im Laufe des Nachmittages erschienen Dornberger, Notar Pfeiffer sowie Dr. Seif[f]ert, meines Bruders Treuhänder aus Hamburg. Ich musste noch einmal unterschreiben, dass mein ganzes Vermögen, welches ja im Geschäft steckte, nach Realisierung der Kreisleitung der NSDAP gehörte. Zwecks Realisierung der Vermögenswerte wurde eine neue Gesellschaft gegründet, als deren Bevollmächtigte Dr. Pfeiffer und Dr. Seif[f]ert bestellt wurden. In dem Dokument stand auch, dass ersterer für seine bisherige Tätigkeit RM 5000,-, letzterer RM 1200,- sofort erhielte. In Wirklichkeit erhielten aber diese beiden Herren vorerst keinen Pfennig, sondern beide Beträge gingen an den stellvertretenden Kreisleiter Dornberger. Dies sagten mir die beiden Herren, als Dornberger einen Augenblick hinausging.
Durch diese Manipulation war bewirkt worden, dass Dornberger die s. Z. erhaltene Vollmacht über das Privatvermögen meiner Mutter an Dr. Seiffert zurückgab. Allerdings waren von Dornberger schon RM 22 000,- als Sicherheit für eine angeblich von mir zu zahlende Reichsfluchtsteuer abgehoben worden. (Selbst wenn ich eine solche hätte bezahlen müssen, hätte lt. der früheren Vereinbarung diese nicht Mutter von ihrem verbliebenen Privatvermögen bezahlen müssen, sondern die Partei aus meinem zur Verfügung gestellten Vermögen.)
Dann ging es in Mutters Wohnung, wo für meine Mutter nach einer von Dr. Seiffert mitgebrachten Liste einige Möbel, Kleider etc. zusammen gerichtet werden sollten, denn man sah nun doch ein, dass man wenigstens etwas Mutter lassen musste. Allerdings wurde dieser Plan aufgegeben, da die Herren nur wenig Zeit hatten und noch nach Nürnberg zur Reichsbank und Devisenstelle wegen unserer Auslandsforderungen mussten. Dornberger sagte, er Hesse uns im Laufe der nächsten Woche die Sachen zusammenstellen. Bevor er wegging, gab er noch Magda seine Genehmigung bezgl. der ihren Pflege-schwestern u. ihrer Freundin zugedachten Möbel.
2. Dez., Freitag: Wieder musste ich in dem mich ja gar nichts mehr angehenden Geschäft Aufklärungen und Anweisungen geben - unter Parteiaufsicht natürlich, damit ich mit keinem Angestellten etwas nicht zur Sache Gehörendes hätte reden können.
3. Dez., Samstag: Endlich traf das bereits telegraphisch avisierte Affidavit von Mr. Behrens, Detroit, ein. Ich bat hierauf telegraphisch sofort den amerikanischen Konsul in Stuttgart, mit dem Mr. Behrens s. Z. wegen uns gesprochen hatte, um eine Unterredung für Montag, da ich hoffte, auf Grund des wirklich erstklassigen Affidavits, für uns sofort die Einwanderungsvisa für USA zu erhalten.
Gegen Abend kam wieder einmal Kommissar Burckhard und sagte, dass das ihm gegebene Briefmarken Album nur europäische Marken enthielte. Ich müsse doch noch den 2. Band mit den aussereuropäischen Marken haben. - Ich erinnerte mich nun, dass derselbe in einer Truhe in der Vorhalle von Mutters Haus sich noch von meiner Junggesellenzeit her befand und musste nun mit ihm dorthin gehen, um diesen Band zu holen. -Später kam der Kommissar nochmal in unsere Wohnung, um sich von Magda die übliche Quittung ausstellen zu lassen.