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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Folgen des Pogroms

Am 30. November 1938 veröffentlich der Joint folgendes Memorandum über die Folgen des Pogroms in verschiedenen Städten sowie in jüdischen Umschulungslagern und in KZs:

Lieber Joe,

in der Anlage übersende ich einige Papiere, die streng vertraulich sind. Dieses Material, das aus einer höchst zuverlässigen Quelle stammt, erhielt ich während meines Aufenthalts in Berlin, und Du wirst merken, dass es sich um außergewöhnlich heikle Informationen handelt, die nur im „Familienkreis“ verwendet werden sollten.

Bei dem Bericht über die „Lage der Umschulungslager“ handelt es sich lediglich um einen kurzen Abriss. So heißt es beispielsweise unter „Bomsdorf“, dass dort ein sechzehnjähriger Junge erschossen worden sei. Doch die Beschreibung, die mir über diesen und andere Vorfälle gegeben wurde, war so herzzerreißend, dass niemand mit nur einem Funken menschlicher Güte die Tränen zurückhalten konnte. Folgendes ist der Sachverhalt der Erschießung:

An besagtem Donnerstagmorgen erschienen SA-Leute in dem jüdischen Trainingslager in Bomsdorf und schickten die Jugendlichen, noch in ihren Schlafanzügen, in den Wald. Die Jungen mussten sich in Reih und Glied aufstellen und wurden gezählt. Die SA-Leute fanden nur 38 Insassen vor, obwohl es nach Informationen, über die sie offenbar verfügten, 40 Jungen hätten sein müssen. Daraufhin verlangte einer der SA-Männer von dem ersten Jungen in der Reihe Aufklärung über den Verbleib der fehlenden beiden. Der Knabe, sprachlos vor Angst, hatte nicht umgehend eine Antwort parat, und das versetzte den SA-Mann dermaßen in Rage, dass er seinen Revolver zog, den Jungen in die Stirn schoss und dann den leblosen Körper mit einem Tritt zur Seite beförderte.

Ich könnte Dir noch mehr dieser furchtbaren Geschichten erzählen, aber allein schon deren Wiederholung ist so aufwühlend, dass es mir zuwider ist, sie jemandem zuzumuten. Außerdem glaube ich, dass über die meisten Vorfälle bereits in den Zeitungen berichtet worden ist.

Wenn ich in den nächsten Tagen dazu komme, werde ich Dir einen kurzen Bericht über meine jüngste Reise geben.

Wenn Du diesen Brief gelesen hast, dann trenne ihn bitte von den restlichen Dokumenten ab und vernichte ihn.

Mit herzlichen Grüßen

P.S. Solltest Du den Eindruck haben, dass irgendwelche der Informationen in der Anlage für den A.J.C. von Interesse sein könnten, kannst Du selbst entscheiden, ob Du ihnen diese zeigst. In jedem Fall könntest Du sie zunächst P.B. und J.N.R. zeigen.

 

Bereits vor dem Mord in Paris war die Situation der Juden in Deutschland höchst angespannt. Der Ausschluss von jüdischen Handelsvertretern, Handlungsreisenden und Hausierern, von jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten, Immobilienmaklern und -managern hatte die Verdienstmöglichkeiten für Juden sehr eingeschränkt. Durch die täglichen Liquidationen jüdischer Firmen wurden die dort noch arbeitenden Juden arbeitslos. Der Zeitpunkt, an dem alle Juden arbeitslos sein würden, war bereits absehbar.

In den Großstädten gehörten Anordnungen zum Alltag, dass Juden die Wohnungen arischer Besitzer, speziell von Immobiliengesellschaften, zu räumen hätten. In den mittelgroßen und kleineren Städten wurden die Juden gezwungen, ihre Häuser zu verkaufen, was gleichbedeutend war mit der Vertreibung aus der Stadt, da sie dort keine andere Bleibe finden würden.

In Teilen Bayerns, insbesondere in der Gegend von Würzburg, in Hessen und Teilen des Rheinlands, kommt es seit Mitte September zu Ausschreitungen. Einbrüche in Synagogen, Überfälle jüdischer Häuser, Misshandlungen, Deportationen aus bestimmten Städten (Rothenburg und andere) wurden den zuständigen Behörden zwar gemeldet, doch wurde nie etwas unternommen.

„Das Schwarze Korps“, die Wochenzeitung der SS und somit auch der Gestapo, veröffentlichte am 2. November ein vollständiges Programm zur weiteren Handhabung der Judenfrage in Deutschland. Dieses Programm antizipierte den vollständigen Ausschluss der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben sowie die Beschränkung jüdischer Wirtschaftsaktivitäten allein auf jüdische Kreise. Unter Berücksichtigung der beruflichen und geographischen Verteilung der deutschen Juden kam dies der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Grundlage gleich. Ferner waren die Einrichtung spezieller Wohngebiete für Juden - Gettos - und die Beschlagnahme jüdischen Eigentums vorgesehen. In einer früheren Ausgabe dieser Zeitung wurde bereits vorgeschlagen, alle arbeitslosen Juden zur Zwangsarbeit heranzuziehen.

Der Mord in der Pariser Botschaft hatte das sofortige Verbot der jüdischen Presse und die Schließung aller jüdischen Versammlungsorte zur Folge, um die Juden zu isolieren und ihnen jede Form des Meinungsaustauschs unmöglich zu machen.

Der Tod von Herrn vom Rath diente als Auftakt für einen organisierten Feldzug gegen die jüdische Bevölkerung. Angeführt wurde dieser von der Partei, und alle Parteiführer befanden sich in München. Hinsichtlich der Organisiertheit und des Umfangs überstieg diese Kampagne alles bisher in der Geschichte des jüdischen Volks Dagewesene.

In der Nacht vom 9. zum 10. November ereignete sich folgendes:

Überall in Deutschland wurden die Synagogen niedergebrannt. Die wenigen Synagogen, die dem Feuer entgingen - wie beispielsweise drei Berliner [Synagogen] - wurden nur deshalb nicht angezündet, weil sie so nah an anderen Gebäuden standen, dass das Feuer unweigerlich auf diese übergegriffen hätte. In manchen Städten wie Wien, Beuthen, Breslau, Hannover und anderen genügte den Brandstiftern der Brand alleine nicht, und sie sprengten die Synagogen in die Luft. Außer den Synagogen wurden auch viele Gemeindehäuser und Friedhöfe zerstört. Eine Wiederinstandsetzung der Synagogen ist ausgeschlossen, und die Überreste jener, die nicht vollständig niedergebrannt sind, wird man abreißen müssen. Es gibt keinen Ort mehr in Deutschland, wo noch [jüdische] Gottesdienste stattfinden.

In derselben Nacht wurden überall im Reich jüdische Geschäfte zerstört und manchmal auch geplündert. Wo, wie in Berlin, das Zerstörungswerk der Nacht nicht ausreichend erschien, wurde es am Nachmittag des 10. November fortgesetzt. So blieb beispielsweise in einem großen jüdischen Warenhaus von allem Porzellan, Glas und Nippes nichts übrig. Die Büros dieses Geschäfts wurden ebenfalls vollständig zerstört.

Abgesehen von Berlin, wo dies nur in geringem Ausmaß der Fall war, blieb in sehr vielen anderen Städten die Zerstörungswut nicht auf die Synagogen und jüdischen Geschäfte beschränkt. Unter anderem in Düsseldorf, Bochum, Essen, Oberhausen, Hagen, Königsberg, Leipzig, Chemnitz, Beuthen, Hindenburg, Nürnberg und Rostock drangen Banden in Privatwohnungen ein und zerstörten mehr oder weniger das gesamte Mobiliar. In vielen jüdischen Haushalten gibt es nach diesem Anschlag kein einziges unversehrtes Möbelstück oder einen anderen heilen Gegenstand mehr. Bei der fanatischen Raserei der Horden, die im Übrigen oft schwer betrunken waren, war es unvermeidlich, dass Menschen brutal misshandelt oder gar getötet wurden. Es konnte auch nicht verhindert werden, dass verzweifelte Juden, die sich in ihrer Not nicht anders zu helfen wussten, Selbstmord begingen.

Am 10. und 11. November wurde fast die gesamte männliche jüdische Bevölkerung im Alter zwischen 17 und 60 Jahren verhaftet und in die Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg, Buchenwald bei Weimar, Dachau in Bayern sowie einige andere verschleppt. Nur in Berlin blieb eine beträchtliche Anzahl auf freiem Fuß, obwohl auch hier mehrere Tausend verhaftet wurden. An manchen Orten gab es keine Altersbegrenzung - auch Männer über achtzig und 14-jährige Jungen wurden mitgenommen. Ein paar von ihnen sind inzwischen freigelassen worden, aber nicht viele. Zurzeit müssen sich mindestens 35 000 Juden in den Konzentrationslagern befinden.

Auf dem Land und in den Grenzgebieten wurden die Juden einfach verjagt. Meistens mussten sie fliehen und dabei ihren gesamten Besitz zurücklassen. In der Regel flohen sie in die nächste große Stadt, wo sie untergebracht wurden, obwohl die Bewohner infolge der Zerstörungen oft selbst sehr beengt leben. Es scheint völlig ausgeschlossen, dass die Flüchtlinge in ihre Wohnungen zurückkehren können, zumal ihre Häuser vermutlich zerstört worden sind. So wurde bekannt, dass in einem kleinen Ort in der Eifel die kleinen jüdischen Häuser mit einem Traktor niedergerissen wurden.

Jüdische Kinderheime, Schulen und andere Bildungseinrichtungen sowie Erholungsheime, Sanatorien und Altersheime mussten in großer Zahl geräumt werden. Den Menschen aus diesen Einrichtungen droht das gleiche Schicksal wie den Flüchtlingen aus den ländlichen Gebieten.

Es ist völlig unklar, was in den nächsten Wochen aus den Juden werden soll. Selbst wenn die zuvor beschriebenen Ausschreitungen und Verhaftungen nicht weitergehen, ist die Existenzgrundlage des deutschen Judentums vernichtet. Nach dem 1. Januar 1939, dem Zeitpunkt, zu dem alle jüdischen Geschäfte und Handwerksbetriebe arisiert oder aufgelöst sein müssen, wird es kein Einkommen mehr geben. Nach den Zahlungen für die Wiederinstandsetzung der Geschäfte und Häuser und für die Buße in Milliardenhöhe und nach dem Verkauf von Liegenschaften für einen Bruchteil ihres Werts wird vom jüdischen Vermögen nichts übrig bleiben. In Berlin mussten die wohlhabenderen Menschen Geschäftsleuten, die selbst das Geld nicht aufbringen konnten, fünf Millionen Mark für die Reparaturen geben sowie weitere zehn Millionen Mark aufbringen, um die Schulden der Gemeinde zu bezahlen.

Die Räumungsbefehle werden dazu führen, dass massenhaft Leute ohne ein Dach über dem Kopf dastehen werden. An vielen Orten werden die Juden nicht in der Lage sein, ihre dringendsten Besorgungen zu machen, nicht nur weil ihnen das erforderliche Geld dafür fehlt, sondern auch weil arische Kaufleute und Handwerker genötigt werden, den Juden ihre Dienste zu verweigern.

Angesichts dieser furchtbaren Bedingungen erscheint es als grausige Ironie, dass der Jüdische Kulturbund in Berlin gezwungen wurde, seine Theater wieder zu öffnen.

Königsberg: Nicht genug, dass die Kinder aus dem Waisenhaus getrieben wurden, auch die Einrichtung des Hauses wurde vollständig zertrümmert. Das Altersheim mit 38 Bewohnern zwischen 64 und 89 Jahren musste evakuiert werden. Der Friedhof wurde so zugerichtet, dass dort mehrere Tage lang keine Begräbnisse stattfinden konnten. Schließlich gestattete man einem Mann, (ohne weitere Hilfe) Beerdigungen durchzuführen. Hannover: Eine große Friedhofskapelle wurde gesprengt.

Rostock: Alle jüdischen Häuser wurden vollständig zerstört. In der Umgebung von Rostock wurden Vieh und Vorräte von Juden verbrannt.

Hildesheim: Die verhafteten Juden wurden gezwungen, die brennende Synagoge zu besingen.

Schneidemühl, Küstrin, Senftenberg: Es gab Tote unter den Verhafteten, allein in Küstrin wurden vier getötet.

Düsseldorf, Bochum: Während der Ausschreitungen wurden die Juden aus ihren Häusern heraus auf die Straße getrieben, dann zurück ins Haus und wieder auf die Straße. Dabei kam es zu furchtbaren Gewalttätigkeiten.

Rosenau: Diese Stadt liegt zwischen Düsseldorf und Essen. Das Altersheim musste nachts geräumt werden.

Dinslaken: Das Gleiche geschah hier mit dem Waisenhaus.

[Bad] Soden (Taunus): Gleiches gilt für die Lungenheilanstalt dort. Die Patienten wurden nachts mit vorgehaltener Pistole hinausgetrieben.

Neu-Isenburg (in der Nähe von Frankfurt am Main): Das Heim für Mütter, Kleinkinder, Kinder und Mädchen wurde am Nachmittag des 10. November in Brand gesetzt. Mannheim: 90 % der Wohnungen zerstört, dessen ungeachtet ist Mannheim voll mit Flüchtlingen, vor allem aus der Pfalz.

Frankfurt am Main: Bereits am 8. und 9. November kamen viele hessische Juden nach Frankfurt, darunter einige mit schweren Verletzungen. Einige von ihnen wurden im Jüdischen Krankenhaus aufgenommen, das ständig von einem SS-Arzt überwacht und durchsucht wurde, um diejenigen fortzuschicken, die nicht schwer krank waren. Der Chefchirurg des Krankenhauses beging zusammen mit seiner Familie Selbstmord. Aus dem Gemeindehaus wurde alles entwendet. Das Rothschild-Museum wurde in das Stadtarchiv überführt. Die in einem Sondergebäude untergebrachten Hilfsorganisationen wurden einige Tage lang einem Kommissar der NS-Volkswohlfahrt unterstellt, mussten dann aber ihre Arbeit einstellen. Nur dem Beratungsbüro des Hilfsvereins hat man gestattet, weiterzuarbeiten, es wurde jedoch ebenfalls einem Kommissar unterstellt. Noch bis zum 16. November fanden in großem Rahmen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen statt. Konstanz (Bodensee): In der Umgebung von Konstanz kam es zu äußerst brutalen Angriffen.

Nürnberg: Fast alle Häuser wurden zerstört. Einige Männer wurden bei ihrer Festnahme schwer verletzt. In Nürnberg sind 14 Todesfälle bekannt geworden.

München: Ein Jude polnischer Staatsangehörigkeit wurde erschossen. Chemnitz: Der Besitzer eines großen Geschäfts wurde erschossen.

Leipzig: Der Friedhof wurde vollkommen zerstört.

Bomsdorf: Ein Junge wurde im Umschulungszentrum erschossen, weil er auf eine Frage nicht schnell genug antwortete.

Ellgut[h]: Dieses Umschulungslager in Oberschlesien musste evakuiert werden. Großbreesen: Dieses niederschlesische Umschulungslager wurde schwer beschädigt; der Leiter, der Inspektor und alle Jungen über 18 Jahren wurden verhaftet und in ein Konzentrationslager geschickt.

Neuendorf: Alle über 20-Jährigen wurden verhaftet und vom Umschulungslager weggebracht.

Caputh (bei Berlin): Das Landschulheim musste unverzüglich geräumt werden. Auf Grund fehlender Transportmöglichkeiten mussten die Kinder mehrere Stunden durch den Wald gehen, um zum Bahnhof zu gelangen.

Lehnitz (bei Berlin): Das Erholungsheim musste evakuiert werden.

Bislang ist wenig über die Behandlung in den Konzentrationslagern bekannt. Doch weiß man, dass die Vorbereitungen für die Aufnahme von Juden bereits von langer Hand geplant waren. So lagen beispielsweise in Dachau über 10 000 Kittel mit dem Davidsstern bereit. Unter den Festgenommenen befanden sich mindestens 100 Rabbis, sehr viele Religionslehrer und Studenten, der Direktor der Israelitischen Taubstummenanstalt in [Berlin-] Weißensee, viele führende Persönlichkeiten jüdischer Gemeinden und Organisationen.

Bedauerlicherweise muss man davon ausgehen, dass sich die Behandlung im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar nicht von der unterscheidet, die bereits nach den Verhaftungen im vergangenen Juni bekannt wurde. Situation der Umschulungslager Flensburg: Bauernhaus zerstört; Deutsche verhaftet, Mädchen und Ausländer nach Hause geschickt.

Bürgerhof: Bauernhaus intakt; Deutsche verhaftet.

Urfeld: Haus zum Teil zerstört; Umschüler mussten alles zurücklassen, Arbeit geht nicht weiter.

Gruesen: Mehrere Anschläge; ein Mann im Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt am Main; Lager von der SS besetzt; die Deutschen verhaftet; Lager in großer Gefahr; Haus zerstört.

Sennfeld: Widersprüchliche Berichte; vorübergehend in Betrieb.

Ge[h]ringshof: Auszubildende über 20 Jahre verhaftet.

Bomsdorf: Haus zerstört; 16-jähriger Junge erschossen; die über 18-Jährigen verhaftet; Kommissar eingesetzt.

Silingtal: Alle Männer verhaftet; drei Frauen setzen die Arbeit fort.

Ellguth: Alle Deutschen verhaftet; Haus nicht zerstört.

Jessen: O.K.

Neuendorf: 42 Festnahmen; weiter in Betrieb.

Winkel: O.K.

Ahrensdorf: O.K.

Havelberg: Einige verhaftet, aber später wieder freigelassen, Betrieb funktioniert.

Steckelsdorf: Völlig zerstört; alle älteren Personen verhaftet.

Halbe: Lager zerstört.

Polzenwerder: O.K.

Freienstein: Alle älteren Personen verhaftet; Situation des Lagers unbekannt.

Die meisten der Kibbuzim sind zerstört und die älteren Personen verhaftet worden.

Verbürgtes Material. Die Quelle wird durch den Anfangsbuchstaben angezeigt.

Hagenow: Die Scheunen der jüdischen Gutsbesitzer wurden in Brand gesetzt, nachdem man vorher sorgfältig die Türen verschlossen hatte.

Die gesamten Lagervorräte, vor allem Korn, wurden vernichtet, und zwölf Kühe kamen in den Flammen um.

Der Besitzer - Name des Juden unbekannt - wurde wegen Brandstiftung verhaftet. Lichtenburg: Die jüdischen Insassen des Konzentrationslagers dürfen auf Grund der Ermordung von vom Rath weder schreiben noch Post erhalten.

Wien: Alle Synagogen zerstört, einschließlich der Synagoge in der Seitenstettengasse, die vor über 100 Jahren im Beisein von Kaiser Franz Joseph eingeweiht wurde und in der Beethoven dem jungen Komponisten und Sänger Salomon Sulzer zu lauschen pflegte.

Wien: Tausende jüdischer Wohnungen wurden überfallen - angeblich, wie in der Presse behauptet wurde, um nach Waffen zu suchen -, und in Abwesenheit der Ehemänner, Väter oder Brüder, die man in Konzentrationslager verschleppt hatte, wurde die Herausgabe des Schmucks verlangt und dieser dann gestohlen.

Alten Frauen nahm man ihre goldenen Eheringe ab und mittellosen alten Leuten die Unterstützung, die sie von der Wohlfahrt erhalten.

Wien: Vor verschiedenen Konsulaten wurden Juden verhaftet, obwohl sie bereits die Zusagen für ihre Visa und ihre Unbedenklichkeitserklärungen vom Finanzamt besaßen. Schläge waren durchaus an der Tagesordnung, wenn diese Menschen in den Polizei- oder Gestapodienststellen ankamen.

Wien: Viele jüdische Familien wurden einfach aus ihren Wohnungen vertrieben, die Türen verschlossen und die Schlüssel von ihren arischen Verfolgern mitgenommen. Männer und Frauen mussten nachts ohne einen Pfennig in der Tasche durch die Straßen ziehen oder um Unterschlupf bitten.

Die Juden durften generell nicht in die Kaffeehäuser und Restaurants, und es wurden Anordnungen erlassen, wonach es verboten war, ihnen Essbares zu verkaufen.

Stuttgart: Alle männlichen Juden, die der amerikanische Konsul mit ihren Frauen oder anderen Verwandten für Montag, den 14. November, zu sich bestellt hatte, wurden in der Nacht zuvor in ihren Pensionen oder Wohnungen verhaftet, sodass sie ihren Termin nicht einhalten konnten. Am nächsten Morgen fand der amerikanische Konsul mehrere Hundert jüdischer Frauen vor, Verwandte der Verhafteten, die ihn beknieten, die Festgenommenen zu befreien.

Karlsruhe: Die Kinder im Jüdischen Kinderheim wurden aus ihren Betten geworfen und auf die Straße gejagt.

Mannheim: Die Bewohner des Jüdischen Altersheims wurden aus ihren Zimmern und aus dem Heim geworfen.

Wartenstein/Ostpreußen: Der örtliche Bürgermeister trug selbst die Fackel, mit der die Synagoge angezündet wurde.

Berlin: Neun Arier wurden in Dahlem am 10. November verhaftet, weil sie gesagt hatten, sie würden sich für das Geschehene schämen.

Das Wirtschaftsministerium schickte zehn Mitarbeiter vom Rang eines Regierungsrats auf die Straße, um das Ausmaß der Plünderungen vom 10. November zu untersuchen. Himmler nahm unmittelbar vor Ausbruch der „spontanen“ Demonstrationen vier Wochen Urlaub und überließ Heydrich die Arbeit, um später ein Alibi zu haben. Heydrich arbeitete in dieser Angelegenheit eng mit der Arbeitsfront zusammen.

In Sachsenhausen wurde den dorthin gebrachten Juden der Kopf rasiert, sie wurden wie Schweine behandelt; vorbestrafte Männer wurden als Wächter oder „Stubenälteste“ eingesetzt, und ihnen wurde das Kommando über die Baracken erteilt; die Neuankömmlinge erhielten gestreifte Gefängniskleidung.

Baracken für mehrere Tausend hatten bereits seit Wochen bereitgestanden, um die Juden aufzunehmen, und einen von denen, die das Kommando über die Baracken führten, konnte man „Na, endlich!“ ausrufen hören, als der erste Transport mit Juden eintraf. Wien: Bericht 16. Nov.: Die Bewohner Hunderter jüdischer Wohnungen wurden einfach bei wohlhabenderen jüdischen Familien abgeladen, die über größere und mehr Räume verfügten. In die Wohnungen der so zwangsweise Ausquartierten zogen Angehörige der Deutschen Arbeitsfront ein.

Tausende wurden gezwungen, ihr gesamtes Mobiliar für ein Dreißigstel oder ein Vierzig-stel des Werts zu verkaufen, und konnten dann noch froh sein, dass sie überhaupt so viel bekamen.

Hunderte von Juden mussten die kalten Nächte auf Parkbänken verbringen, weil sie nirgends hingehen konnten. Man konnte wohlhabende Juden sehen, die ihre guten Anzüge zur Pfandleihe brachten, um ihre Familie vorm Verhungern zu bewahren. Man hat ihnen ihre gesamten Bankkonten, Wertsachen, Bargeld und Wertpapiere geraubt.

Mödling bei Wien: Die Juden wurden gezwungen, die „Thorarollen“ und Gebetbücher in die Flammen der brennenden Synagoge zu werfen.

Hamburg: Zwei Zugladungen mit Juden, insgesamt etwa 1700 Männer, wurden mit dem Ziel Konzentrationslager nach Berlin verschickt.

Leipzig: Nach der Verhaftung aller Männer wurden die Frauen und Kinder in den Fluss getrieben, wo sie stundenlang im kalten Wasser stehen mussten.

Berlin: Die Arbeitsfront forderte, dass alle Hotels jüdische Gäste abweisen sollten. Die kleinen Hotels stimmten zu, doch die großen erklärten, dass sie sich im Hinblick auf ihre internationale Klientel nicht daran halten könnten.

Wien: Nazis drangen in viele Häuser ein und sagten: „Wir geben euch 400 Mark für euren gesamten Haushalt. Wenn ihr zustimmt, gut, wenn nicht, bringen wir euch nach Dachau!“ Sachsenhausen: Essen ist halbwegs gut. Die Baracken sind beheizt. Aber die Behandlung ist barbarisch. Die Juden müssen zehn Stunden täglich Schwerstarbeit verrichten, vor allem Stahlträger schleppen.

Buch[en]wald: Der erste Transport mit Juden in dieses Konzentrationslager, das für sein Schlägerregiment bekannt ist, musste zwölf Stunden lang in Reih und Glied stehen. Wer eine schwache Blase oder einen schwachen Darm hatte und infolgedessen dem Ruf der Natur nicht widerstehen konnte, wurde mit 25 Peitschenhieben dafür bestraft, dass er seine Kleidung beschmutzt hatte.

Mannheim: Es ist den Juden verboten, Essen und Trinken in irgendeinem arischen Geschäft zu kaufen. Es gibt jedoch keine jüdischen Geschäfte, weil alle zerstört worden sind. München: Jüdische Geschäfte wurden geplündert. Den Juden wurde verboten, Lebensmittel in arischen Geschäften zu kaufen. Hunderte Juden erhielten den Befehl, den Bezirk bis Samstag, den 12. November, zu verlassen. (Die Polizei widersprach dem, doch die Partei bestand darauf.)

Nazis drangen in jüdische Wohnungen ein und nahmen die Radiogeräte mit der Behauptung mit, es handele sich dabei um „deutsches Kulturgut“.

Die Banken erhielten die Anweisung, Juden nicht mehr als 100 Mark wöchentlich von ihren Konten auszuzahlen.

Breslau: Jüdische Telefone wurden ausgestöpselt und keine Anrufe von ihnen angenommen. Eine wohlhabende Familie, die aus drei Zweigen besteht,...

Ereignisse in Berlin
10.-14. November 1938

Unmittelbar im Anschluss an die Trauerfeier „für die gefallenen Mitglieder der Bewegung“ wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November im ganzen Reich die Synagogen in Brand gesetzt. Zur gleichen Zeit tauchte die Feuerwehr auf, um die umliegenden Gebäude zu schützen. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Juden, die sich das Ausmaß des Geschehens zunächst nicht vorstellen konnten. Sie eilten zu den Synagogen und stießen einen Seufzer der Erleichterung aus, wenn sie die Löschfahrzeuge in der Ferne erblickten. Geduldig warteten sie darauf, dass die Feuerwehr etwas unternähme, doch bald erkannten sie die schreckliche Wahrheit - die Feuerwehr schaute nur zu. Einer wagte zu fragen: „Warum tun Sie nichts?“ „Wir haben keinen Befehl“, antwortete ein Feuerwehrmann. Der Jude wurde umgehend von der Gestapo verhaftet.

In manchen Fällen baten die Juden um Erlaubnis, die Gesetzesrollen vor dem Feuer zu retten, doch alle, die näher kamen und Interesse am Geschehen zeigten, wurden verhaftet. „Die Gesetzesrollen sollen vernichtet werden“, sagte ein Polizist leise, „das ist Befehl.“ Mit einem lauten Donnern stürzte die Kuppel der neuen „Prinzregenten“-Synagoge ein, und das Feuer im Friedenstempel in der Fasanenstraße wütete noch lange weiter. Währenddessen gingen SA-Leute zu allen jüdischen Geschäften und schlugen die Schaufenster ein. Diese „Arbeit“ wurde von jungen Burschen im Alter von 16 bis 19 Jahren ausgeführt. Es ließ sich problemlos feststellen, welches jüdische Geschäfte waren, da diese auf polizeiliche Anordnung hin mit einheitlichen Buchstaben und Aufschriften gekennzeichnet waren. Die Organisation dieses Pogroms war beispielhaft. Nach dieser Vorarbeit kamen Gruppen, bestehend aus sechs Männern, SA- und SS-Leute in Zivil, vorbeimarschiert, spazierten durch die offenen Fenster in die Geschäfte und plünderten diese. Sie warfen sämtliche Regale und Schränke um und zertrümmerten alles mit Brechstangen. Die Bevölkerung guckte schweigend und missbilligend zu, doch nur selten traute sich jemand, laut zu protestieren. Die SA- und SS-Leute in Zivil drohten denen, die Kritik übten, mit Aussprüchen wie: „Du willst wohl diese Judenhunde beschützen, hm?“ Aus Angst hielten die Leute den Mund.

Während die Plünderungen und Raubzüge in den Geschäften des Westteils stattfanden, brachen junge Uniformierte in die Wohnungen im Ost- und Nordteil der Stadt ein, wo sie die Wertgegenstände sicherstellten und den Rest zerstörten.

Gegen Mittag befand ich mich zufällig in einem kleinen Gemüseladen in der Stadtmitte, als der Sohn der Besitzerin eine große Menge Kartons hereinbrachte. Als er sich mit einem dicken Stock in der Hand zum Gehen wandte, sagte die Frau zu ihm: „Warum machst du das, mein Sohn? Was ist, wenn die Polizei dich sieht?“ Woraufhin der Junge antwortete: „Ja, was denn, was denn wohl? Ich habe ein Schreiben, das mich dazu berechtigt.“

Gegen vier Uhr nachmittags erschienen die Zeitungen mit einem Aufruf von Goebbels, die Plünderungen zu beenden. Das gab vielen den Mut, auf die Plünderer zuzugehen, um sie auf diesen Befehl hinzuweisen. Um acht Uhr abends rief ein Mann neben mir den Plünderern, die Gegenstände aus einem jüdischen Restaurant in der Joachimstaler Straße schleppten, zu: „Stopp: Goebbels hat befohlen, dass das aufhört!“ Doch ein Mann mit einem Stemmeisen antwortete gereizt: „Ich hab’ den Befehl vom Polizeipräsidenten und zeig’s dir gleich!“ Daraufhin verschwand der erste Mann, und die Plünderungen gingen weiter, bis alle jüdischen Geschäfte ausnahmslos zerstört waren.

In der Zwischenzeit wurden die jüdischen Institutionen zerstört, verschlossen und die Führer verhaftet. Die Dokumente, vor allem Zertifikate und Auswanderungspapiere, wurden beschlagnahmt oder vernichtet. Gleichfalls wurden die Organisationsgelder konfisziert.

Das Jüdische Museum wurde enteignet und dessen Direktor, Professor Landsberger, verhaftet. Die Büros und Räume der Gemeinde wurden von der Gestapo versiegelt.

Am folgenden Tag befahl die Polizei den jüdischen Geschäftsinhabern, ihre Geschäfte bis 11 Uhr vormittags mit Brettern zu vernageln und die ganze Unordnung zu beseitigen, die durch ihre eigene Schuld entstanden sei. Danach wurde den Besitzern „geraten“, die „Arisierung“ ihrer Geschäfte zu beschleunigen. An der Bretterverkleidung erschienen Aufschriften, auf denen es hieß „Arisierung eingeleitet“ Die Geschäfte wurden zu lächerlichen Preisen übereignet. Hinter den zugenagelten Fenstern saßen gebrochene Menschen - Menschen, die noch am Tag zuvor auf eine bessere Zukunft anderswo gehofft hatten, die mit Auswanderungsplänen beschäftigt waren und die gehofft hatten, ihre Geschäfte auf normale Art und Weise verkaufen zu können. Und nun würden sie, dem wohl organisierten Plan zufolge, verhaftet werden. Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Fachleute, wichtige Geschäftsleute, Künstler - jeder von ihnen im deutschen Judentum bekannt und angesehen. Danach wurden alle staatenlosen Juden (ehemalige Russen) verhaftet. Am dritten Tag, d.h. am 14. November, belief sich die Zahl der Festgenommenen auf mehr als hunderttausend. Wenn sie die gesuchten Personen zu Hause nicht vorfanden, warteten die Beamten dort auf sie, bis die ahnungslosen Menschen zurückkehrten. Das nennt man dann „Judenfalle“. Besondere Aufmerksamkeit schenkte man den reichen Juden. Die Hausbesitzer wurden „angewiesen“, sich mit den Beamten zum Rechtsanwalt zu begeben und vor diesem zu erklären, dass sie dem Staat „freiwillig“ ihren Besitz übereigneten. Selbst die Kranken in den Hospitälern wurden nicht verschont. Menschen, die schwerkrank waren, starben nach ihrer Verhaftung. Zahlreiche Verhaftete wurden in die Konzentrationslager gebracht - währenddessen gehen die Verhaftungen im gleichen Stil weiter. Die verschreckten Menschen, die ihren ganzen Besitz verloren hatten, versuchten sich selbst zu retten und hofften, Zuflucht bei ihren arischen Freunden zu finden. Doch diejenigen, die den Juden halfen, wurden dafür verhaftet, und nun irren die Menschen durch die Straßen oder im Umland durch den Nebel. Die Jagd auf die Juden, die einer Fuchsjagd ähnelt, bereitet den vergnügungssüchtigen SS- und SA-Truppen besondere Freude. Ich habe mit einigen der verzweifelten Menschen gesprochen. Wenn keine Hilfe von außen kommt, nehmen sie sich lieber das Leben, als in die Hände der Gestapo zu fallen.

Am 15. November gingen die Verhaftungen mit ungebremster Gewalt weiter. Dies dient als Druckmittel für die Zahlung von einer Milliarde Mark.

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