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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Pogrom für Vatikan

Der Apostolische Nuntius in Berlin berichtet dem Vatikan am 15. November 1938 über den Novemberpogrom:

Gegenstand: Antisemitischer Vandalismus

Hochzuverehrende Eminenz

Ich halte es für meine Pflicht, zusätzliche Nachrichten zu dem beizubringen, was die Zeitungen über den antisemitischen Vandalismus am 9. und 10. laufenden Monats in Deutschland bereits veröffentlicht haben.

1) Die Zerstörungen begannen, wie auf ein Stichwort, in der Nacht, unmittelbar nachdem der Tod des jungen Diplomaten in Paris bekannt geworden war, der den Schüssen des jungen Juden erlegen war, dessen Eltern wenige Tage zuvor aus Deutschland nach Polen ausgewiesen worden waren. Der blinde Volkszorn folgte überall der gleichen Methode: In der Nacht zertrümmerte man die Schaufenster und steckte die Synagogen an; am darauffolgenden Tag wurden die Geschäfte geplündert, die ohne Schutz blieben, wobei selbst die kostbarsten Güter unbrauchbar gemacht wurden.

2) Erst gegen Nachmittag des 10., nach einem Tag, an dem der Pöbel, von keinem Polizisten gezügelt, den wüstesten Affekten freien Lauf gelassen hatte, gab Minister Goebbels den Befehl abzulassen, wobei er das Geschehene als Entladung des „deutschen Volkes“ bezeichnete. Dieses Wort reichte aus, um die Ruhe wiederherzustellen.

All dies lässt leicht erkennen, dass die Anweisung oder die Erlaubnis zu handeln von sehr weit oben kam. Durch diesen Satz von Goebbels, dass die sogenannte „antisemitische Reaktion“ ein Werk des „deutschen Volkes“ gewesen sei, hat das wahre und gesunde deutsche Volk, das bestimmt die major pars darstellt, schwer zu leiden: ein protestantischer, im Ruhestand lebender Superintendent, achtzig Jahre alt, kam, um gegen diese Phrase von Goebbels zu protestieren, sogar zur Apostolischen Nuntiatur.

3) Unterdes arbeitet man an Gesetzen und ministeriellen Erlassen, um die Juden immer weiter zu isolieren, verbietet ihnen jede Art des Handels, den Besuch allgemeiner Schulen, den Zutritt zu den Orten öffentlicher Belustigung (Theater, Lichtspiele, Konzerte und Stätten der Kultur), darüber hinaus sollen sie eine Gesamtstrafe von einer Milliarde bezahlen: Man behauptet, dass aus der Vermögensanmeldung, die den Juden im Frühjahr auferlegt worden war, hervorgehe, dass die Juden Vermögenswerte von rund 7 Milliarden [Reichsmark] besitzen sollen.

4) Auch wurden den Juden alle Waffen weggenommen; und obwohl der Zweck ein ganz anderer war, war das doch gut, denn die Versuchung zum Selbstmord muss bei manchen groß gewesen sein.

5) Alle Diplomaten haben starkes Interesse an diesen Ausschreitungen genommen; der kolumbianische Geschäftsträger hatte sogar Auseinandersetzungen mit der Polizei, da man ihn beim Fotografieren ertappte; die Regierung freilich, die den Missgriff der Polizei nicht zugeben wollte, aber auch dem Geschäftsträger nichts Vorhalten konnte, der sich auf seine Immunität angesichts einer so unschuldigen, von keinem Gesetz untersagten Handlungsweise berief, rächte sich durch die Weigerung, die Beglaubigungsschreiben des neuen Botschafters von Kolumbien entgegenzunehmen, der seit drei Monaten in Berlin darauf wartet, akkreditiert zu werden.

6) Die Diplomaten Englands und Hollands intervenierten energisch zur Verteidigung des Besitzes ihrer jüdischen Staatsangehörigen; anders der polnische Gesandte, war es doch gerade Polen, das durch die Weigerung, den polnischen Juden in Deutschland die auslaufenden Pässe zu verlängern, die Gewaltaktion Deutschlands provozierte, das daraufhin Zehntausende von Juden nach Polen abschob, darunter auch die Eltern des verzweifelten jungen Mannes, der dann zum Attentäter in der deutschen Botschaft zu Paris wurde. Mich zum Kusse des Heiligen Purpurs verneigend, habe ich die Ehre, mich mit den Gefühlen der tiefsten Ehrerbietung Eurer hochzuverehrenden Eminenz zu empfehlen

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