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Chronik und Quellen
1938
September 1938

Sitzung beim Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt

Am 22. September 1938 findet im Reichsjustizministerium eine Besprechung über die Aufhebung des Mieterschutzes für Juden statt. Deren Verarmung und mögliche Gettoisierung ist so auch Thema des folgenden Protokolls:

Betreff: Mieterschutz der Juden.

Es hat sich als notwendig herausgestellt, eine gesetzliche Regelung über die Aufhebung des Mieterschutzes für Juden zu erlassen. Einzelne Amtsgerichte haben bereits auf Grund der §§ 2 oder 4 des Mieterschutzgesetzes den Mieterschutz für Juden verneint mit der Begründung, dass allein das Bewohnen von jüdischen Haushaltungen die Hausgemeinschaft auf das empfindlichste stört und deshalb eine Kündigung dieser Haushaltungen zumutbar ist. Da die Auffassung der Gerichte über die Auslegung der Gesetzesbestimmung nicht einheitlich ist und die Befürchtung verschiedenartiger Behandlung derartiger Fragen besteht, werden folgende Fragen aufgeworfen:

1.) Ist der Zeitpunkt gekommen, nunmehr auch auf diesem Gebiet gegen die Juden vorzugehen?

2.) In welcher Weise soll hiergegen vorgegangen werden und welche Auswirkungen wirtschaftlicher und politischer Art sind zu erwarten?

Die Frage zu 1.) wurde von allen Vertretern der beteiligten Ressorts bejaht. Zu der Frage zu 2.) führt Ministerialrat Scheffler für das Ministerium des Innern aus, dass eine abschliessende Stellungnahme seines Hauses noch nicht gegeben werden kann, insbesondere müsse vorweg geprüft werden, wieviel jüdische Haushaltungen bestehen und durch diese Massnahmen betroffen werden, da im Falle einer Obdachlosigkeit der jüdischen Haushaltungen diese der Gemeinde zur Last fallen würden, die ihrerseits verpflichtet wäre, für eine Unterbringung Sorge zu tragen. Weiterhin sei es die Frage der Schaffung eines Ghettos, die zurzeit vom Reichsführer SS. geprüft wird und noch nicht abschliessend geklärt ist. Er müsse jedoch feststellen, dass vom Standpunkt der Gemeinde aus eine wesentliche Mehrbelastung durch Bau von Wohnungen und dergl. nicht übernommen werden könne. Weiterhin sei auch die Frage des Gewerbebetriebes der Juden in diesem zu schaffenden Ghetto zu erörtern, insbesondere der Umstand, dass Juden aus der Provinz (jüdische Viehhändler u. dergl.) in die Grosstadt zögen und dort arbeitslos würden. Es sei heute schon so, dass jeder vierte Jude öffentliche Unterstützung erhielte, so dass zurzeit ein Entwurf zur Abänderung der Fürsorgepflichtverordnung ausgearbeitet wird, nach welchem die öffentliche Unterstützung für Juden gegenüber den deutschen Volksgenossen wesentlich herabgesetzt werden wird.

Der Vertreter des Stellvertreters des Führers begrüsste die vom Reichsjustizminister angeregten Massnahmen und hielt eine alsbaldige Regelung für dringend erforderlich. Insbesondere sei die Tendenz der bisher ergangenen gerichtlichen Entscheidungen zu billigen. Er bat, die Frage des Ghettos und der weiteren Auswirkungen zurückzustellen. Er habe keine Bedenken, zunächst zu versuchen, die Juden sich selbst zu überlassen, um anderweitig unterzukommen. Gegebenenfalls würde er vorschlagen, zur Unterbringung der obdachlosen Juden Baracken durch die Gemeinde errichten zu lassen.

Die Vertreter des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsarbeitsministeriums schliessen sich im allgemeinen den vorgetragenen Ausführungen an, können aber für ihre Ressorts abschliessende Stellungnahmen noch nicht geben.

Dr. Fränk trägt die Stellungnahme des Generalbauinspektors vor, die insbesondere für Berlin und vermutlich für die anderen Städte, in denen städtebauliche Massnahmen des Führers durchgeführt werden, grundlegend sein dürfte. Es wird von uns insbesondere die Herausnahme der Juden aus Grosswohnungen gefordert, um diese denjenigen Mietern aus Abrissgebieten zukommen zu lassen, die bisher Grosswohnungen innehatten. Wirtschaftlich gesehen würde dies, da im wesentlichen die Gemeinde zur Errichtung der Ersatzwohnungen verpflichtet sei, eine Ersparnis von etwa 40 Millionen RM bedeuten. Ob man auch für die Juden in den Grosstädten wie Berlin, Frankfurt usw. Barackenbauten errichtet, sei noch zu erwägen. Wegen der Vordringlichkeit für die Berliner Verhältnisse sei beabsichtigt, diese jüdischen Grosswohnungsinhaber in einem noch zu bestimmenden - vielleicht abseits gelegenen - Teil Berlins in Neubauwohnungen unterzubringen. Ministerialjdirektor] [Dr.] Volkmar erbittet die noch ausstehenden abschliessenden Stellungsnahmen des Reichsministers des Innern, des Reichsarbeits- und Reichswirtschaffsministers bis zum 15. Oktober, um dann auf Grund dieser entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.

Ich habe im Anschluss an die Besprechung mit Dr. Werner Müller von der Stadt Berlin Rücksprache genommen. Um festzustellen, in welchem Ausmasse jüdische Haushaltungen von einer derartigen Aktion in Berlin betroffen werden, müssen m.E. statistische Erhebungen angestellt werden. Es ist aus der Wahlkartei der Bezirksbürgermeister ersichtlich, wieviel nichtwahlberechtigte Juden zurzeit in Berlin vorhanden sind. Nach oberflächlicher Schätzung beläuft sich diese Summe auf 160 000. Nach dem Erfahrungssatz (ein Haushalt = 2,8 Personen im Durchschnitt) haben wir daher etwa 50 000 jüdische Haushaltungen. Es ist jedoch aus dieser Statistik nicht erkennbar, wie diese Haushaltungen sich auf die einzelnen Wohnungsgrössen verteilen.

Ich schlage daher vor, über den Gau Berlin mit Hilfe der Politischen Leiter nähere Einzelheiten ermitteln zu lassen. Dieses Verfahren dürfte nicht allzu zeitraubend sein, da jeder Blockwalter genau über die Zusammensetzung seines Bereiches bestens informiert ist. Ich bitte um Entscheidung, ob ich in dieser Weise vorgehen kann. Es besteht allerdings bei dieser Massnahme die Gefahr, dass hierdurch die Kenntnis über das Motiv an die breite Masse gelangt, ohne dass von uns aus die Beweggründe zu diesem Vorgehen genannt werden.

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