Artikel zur Gründung des Reichsverbands der Juden
Am 28. Juli 1938 berichtet das Israelitische Familienblatt über die Gründung des Reichsverbands der Juden in Deutschland:
Jüdische Gesamt-Organisation
Zur Tagung des Rates bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland
Am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche ist in Berlin der Rat bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland versammelt. Die Tagesordnung enthält im wesentlichen die Gegenstände, die mit der Schaffung des Reichsverbandes der Juden in Deutschland Zusammenhängen.
In dem Augenblick, in welchem diese Zeilen geschrieben werden, haben die Beratungen noch nicht begonnen, man weiß aber, daß die geführten Unterhaltungen noch einige Fragen hinterlassen haben, über die keine Einigung erzielt werden konnte, von denen man aber zuversichtlich hofft, daß ihre einvernehmliche Regelung ohne Schwierigkeiten gelingen wird. Ueber das Endziel sind sich alle jüdischen Richtungen einig, es darf heute als einmütige Auffassung gelten, daß die Tagung des Rates zu der Begründung des Reichsverbandes der Juden in Deutschland führen wird. Das ist der Punkt, auf den sich das Interesse der großen jüdischen Oeffentlichkeit lenkt. Dabei sollen die noch vorhandenen Differenzen in ihrer Bedeutung keineswegs verkannt werden. An alle jüdischen Gemeinden und Landesverbände und an deren verantwortliche Persönlichkeiten darf aber die Bitte gerichtet werden, das Ihrige zur Herstellung einer einmütigen Auffassung beizutragen. Wir hoffen, daß insbesondere alle jüdischen Landesverbände sich vertrauensvoll in die Gesamtorganisation einordnen werden und daß auf allen Seiten Verständnis dafür bestehen wird, daß die Erhaltung bisheriger Selbständigkeiten in diesem oder jenem Teile des Reiches keineswegs eine entscheidende Frage ist. Wir möchten hoffen und sind auch überzeugt davon, daß das große jüdische Werk nicht an Einzelheiten scheitern kann.
Die Schaffung einer einheitlichen jüdischen Gesamtorganisation, in der alle jüdischen Gemeinden enthalten sind, ist eine unabweisbare Notwendigkeit. Es ist unmöglich, in diesem Augenblicke den Gang der Beratungen vorauszusehen, wohl aber glauben wir, uns darin nicht zu irren, daß an ihrem Ende die Schaffung des Reichsverbandes der Juden in Deutschland stehen wird.
Am Dienstag, dem 26. Juli, versammelte sich der Große Rat des Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden zu einer Sitzung. Die Neuordnung der Verhältnisse der jüdischen Gemeinden durch das Reichsgesetz vom März ds. Js. hat die Notwendigkeit neuer Regelungen auch für die jüdischen Gemeindeverbände mit sich gebracht.
Nach Anhörung von Referaten von Kammergerichtsrat Wolff über die Tätigkeit des Landesverbandes und die Entwicklung der letzten Monate, von Rechtsanwalt Dr. Klee über den vorliegenden Satzungsentwurf der Gesamtorganisation und die Zusammenfassung der kleinen Gemeinden zu einheitlichen Bezirksgemeinden, schließlich von Dr. Lilienthal über die neuen Musterstatuten für die Gemeinden, trat der Rat in eine Debatte über die schwebenden Probleme ein.
Geheimrat Falkenheim (Königsberg) forderte, daß der Verband seine Selbständigkeit nicht aufgäbe, bevor nicht ein Gleiches von den Verbänden in Süddeutschland zugestanden würde. Dr. Leo Baeck gab die Versicherung ab, daß auf Grund einer ihm von dem Wortführer der Verbände in Süddeutschland zuteilgewordenen Erklärung ein paralleles Vorgehen dieser Verbände außer Zweifel stände. Die der Ratssitzung vorangegangene Besprechung im Präsidialausschuß der Reichsvertretung habe auf Grund eines Vorschlages des Herrn Rechtsanwalt Dr. Alfred Klee eine Angleichung der Standpunkte ergeben. Die Lösung, die Dr. Klee vorgeschlagen habe, wird darin gefunden, daß die Landesverbände in Süddeutschland in einen gemeinsamen Lastenausgleich einbezogen würden, ihr Vermögen der gemeinschaftlichen Verwaltung unterstellten und ihren Namen den gewandelten Verhältnissen entsprechend abändern. Schließlich wurde nahezu einstimmig folgende Resolution angenommen:
Der Rat hält die schnelle Bildung des Reichsverbandes der Juden in Deutschland für unbedingt geboten. Er wünscht, daß nach Bildung des Reichsverbandes der Preußische Landesverband jüdischer Gemeinden in diesen aufgeht und ermächtigt den engeren Rat, alle dazu erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten. Der Rat spricht die bestimmte Erwartung aus, daß auch die übrigen Landesverbände nach Bildung des Reichsverbandes das gleiche tun werden. Für den Fall, daß ein Beschluß des Verbandstages notwendig ist, soll der engere Rat diesen Beschluß herbeiführen.