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Chronik und Quellen
1941
Juni 1941

Juni 1941

Der Monat begann aus deutscher Sicht mit einer guten Nachricht: Am 2. Juni wurde offiziell bekanntgegeben, dass der Kampf um Kreta abgeschlossen, die Insel sei frei von britischen Truppen und der Widerstand der Griechen gebrochen sei. In einem am 11. Juni veröffentlichten Bericht über das Kriegsgeschehen des ersten Halbjahrs 1941 schürte das Oberkommando der Wehrmacht weiterhin großen Optimismus, in dem nur von Erfolgen an allen Fronten die Rede war: Ob der Handelskrieg und der Luftkrieg gegen Großbritannien, die Ereignisse in Nordafrika oder das Resultat des Balkankrieges und die anschließende Eroberung Kretas: Deutschland, so wurde die NS-Propaganda nicht müde zu betonen, „siegte an allen Fronten“, wobei die eigenen Verluste möglichst gering dargestellt wurden. Das Fazit des Oberkommandos war so deutlich wie ermutigend: „Mit der Eroberung von Kreta ist die deutsche Wehrmacht dem Anspruch ihres Obersten Befehlshabers gerecht geworden: ‚Dem deutschen Soldaten ist nichts unmöglich‘.“

Das böse Erwachen aber folgte auf dem Fuße, denn das dominierende und erschreckendste Ereignis des Monats war sicherlich der am frühen Morgen des 22. Juni ohne vorherige Kriegserklärung erfolgte Angriff auf die UdSSR, an dem auf deutscher Seite mehr als 3 Millionen Soldaten beteiligt waren. Hitler teilte der deutschen Bevölkerung mit, das „bolschewistische Moskau“ sei im Begriff gewesen, „dem nationalsozialistischen Deutschland in seinem Existenzkampf in den Rücken zu fallen“. Und tatsächlich dominierte nach Beobachtungen des Sicherheitsdienstes jenseits aller Ängste danach die Überzeugung, „dass die Reichsregierung nicht anders handeln konnte“.

Obwohl ihr die Vorbereitungen kaum verborgen geblieben waren, zeigte sich die sowjetische Regierung überrascht. Dennoch kamen die deutschen Verbände wegen erbitterten Widerstands nicht so schnell voran wie erhofft. Bis Monatsende waren Riga, Minsk und Dünaburg (Daugawpils) erobert, wobei den regulären Truppen die „Einsatzgruppen“ der Sicherheitspolizei folgten, um die jüdische Bevölkerung zu ermorden.

Im Reichsgebiet selbst setzte die britische Luftwaffe ihre Bombardements fort und flog am 12. Juni ihren bislang schwersten Angriff gegen Ziele im Ruhrgebiet. Am 30. Juni führten britische Bomber dann erstmals einen Tagesangriff auf Kiel durch.

Ansonsten stand das gesamte öffentliche Leben im Zeichen einer neuerlichen Anspannung aller Kräfte und der völligen Konzentration auf die Rüstungsindustrie. So wurden beispielsweise die deutschen Rundfunkzeitschriften, kirchliche und andere Presseerzeugnisse mit Monatsbeginn aus Papiermangel eingestellt; zahlreiche Tageszeitungen mussten ihren Umfang deutlich verringern.

Die wöchentliche Fleischration für Erwachsene, Schwer- und Schwerstarbeiter wurde am 2. Juni um je 100 Gramm gesenkt. Als Ausgleich wurden 125 Gramm Kunsthonig ausgegeben, der aber auf wenig Gegenliebe stieß. Zugleich wurde verdeutlicht, dass nicht Verbesserungen zu rechnen war: „Es ist für jeden Deutschen klar, dass der deutsche Soldat für die besonderen Anforderungen, die er im Dienste des Volksganzen auf sich nehmen muss, auch vergleichsweise höhere Lebensmittelrationen erhalten muss als der Volksgenosse in der Heimat.“ Aus diesem Grunde war es Einzelhandelsgeschäften seit dem 10. Juni nicht mehr gestattet, ihre Schaufenster mit Waren zu dekorieren, die unverkäuflich oder bereits verkauft waren, weil diese verbreitete Praxis zu heftigem Unmut bei der Kundschaft geführt hatte.

Eine weitere Anordnung vom gleichen Tag hatte zunächst Optimismus geschürt: Das am 6. April 1941 für das Reichsgebiet verhängte Tanzverbot wurde nämlich gelockert und erlaubt, an drei Tagen in der Woche wieder Tanzvergnügen zu veranstalten Die Bevölkerung interpretierte diese Liberalisierung fälschlicherweise als Indiz gegen einen bevorstehenden Russlandfeldzug, um den allerorten Gerüchte kreisten.

Darauf, dass der Kriegs keinesfalls vor einem nahen Ende stand, deutete hingegen ein weiterer auf den 10. Juni datierter Erlass des Reichserziehungsministers hin, durch den die Sommerferien deutscher Lehrer auf maximal drei Wochen verkürzt wurden. In der verbleibenden Ferienzeit sollten sie künftig Pflichtdienste beim Luftschutz oder als Erntehelfer, in der Lehrerfortbildung oder bei der NSDAP leisten. Das war ein weiteres Beispiel für die Versuche des NS-Regimes, den durch Einberufungen zur Wehrmacht verursachten Arbeitskräftemangel durch noch so provisorische und kurzfristige Lösungen auszugleichen, auch wenn diese kaum effektiv waren.

Nach dem 22. Juni trübte sich dann nicht nur die allgemeine Stimmung deutlich ein. Die Reichsstelle für Bekleidung im Deutschen Reich verfügte nämlich am 24. Juni Einschränkungen in der Herstellung vielfarbiger Stoffe, da sie zu kostspielig seien. Das Straßenbild in Deutschland sollte sich in Zukunft – allerdings nicht nur aus diesem Grund – in Zukunft weitaus eintöniger zeigen.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Am 11. Juni 1941 ordnete Gestapo Köln für den gesamten Regierungsbezirk an, dass Juden die Möbel, die sie nach ihrer Zusammenlegung in „Judenhäusern“ nicht mehr benötigen würden, keinesfalls verkaufen dürften, bevor die Gestapo hierzu die ausdrückliche Genehmigung erteilt habe.

Auch im Kleinen fanden die Einschränkungen ihre Fortsetzung: Am 26. Juni wurde angeordnet, dass an Jüdinnen und Juden künftig keine Zusatzbezugsscheine für Seife und keine Rasierseife mehr ausgegeben werden.

Neben solchen eher kleineren Neuerungen und Änderungen wurde in der Spitze des NS-Regimes bereits Anfang Juni offen darüber gesprochen, dass Adolf Hitler mit großer Sicherheit davon ausgehe, dass es nach dem Krieg in Deutschland keine jüdische Bevölkerung mehr geben werde.

Das einschneidendste Ereignis des Monats mit weitreichenden Auswirkungen für die jüdische Bevölkerung im deutschen Machtbereich und auf die Entwicklung der gesamten antijüdischen Politik war der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni. Zugleich wandelte sich damit auch das Zerrbild vom jüdischen „Untermenschen“ erneut. Der Bolschewismus, der zum Erzfeind nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen westlichen Welt erklärt worden war, war laut propagandistischer Darstellung nunmehr jüdischen Ursprungs und die russischen Juden galten als dessen Nutznießer. Während das NS-Regime in Deutschland vom Sommer 1941 an den Juden noch vehementer die Schuld am Krieg zuschrieb, tat es zugleich alles, um die nicht jüdische Bevölkerung in den besetzten sowjetischen Gebieten zum Hass auf die Juden aufzustacheln.

Außerdem begannen unmittelbar hinter der Front die „Einsatzgruppen“ der Sicherheitspolizei und des SD ihr blutiges Werk und erschossen schon im Juni jüdische Männer zu Tausenden und gingen kurz darauf zudem dazu über, auch Frauen und Kinder zu ermorden und ganze jüdische Gemeinden auszulöschen. Als deutsche Truppen am 27. Juni Bialystok besetzt hatten, wurden 2.000 Juden verbrannt, erschossen oder zu Tode gefoltert. In den beiden Wochen danach wurden weitere 4.000 Menschen - überwiegend Juden - in der Umgebung der Stadt ermordet. Am 28., 29. und 30. Juni eroberte die Wehrmacht die ukrainischen Städte Rowno, Brest-Litowsk und Lwow (Lemberg) und ermordete auch hier mit Unterstützung der „Einsatzgruppen“ Tausende von Jüdinnen und Juden. - In den Wochen und Monaten danach zählen diese Massaker zum Alltag in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten.

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