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Chronik und Quellen
1941
März 1941

Nachprüfung von "Entjudungsgeschäften"

Am 6. März 1941 erlässt der Reichsinnenminister folgenden Runderlass, mit dem er eine Anordnung des Reichswirtschaftsministers bekannt macht:

RdErl. d. RMdJ. vom 6.3.1941 betreffend Durchführung der VO. über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften vom 10.6.1940 (RGBl. I S. 891).

Nachstehenden RdErl. des RWiM. v. 6.2.1941 zur Kenntnis und Beachtung.

An die nachgeordneten Behörden.

Anlage

Der Reichswirtschaftsminister                       Berlin, den 6.2.1941

Zur Durchführung der VO. des Beauftragten für den Vierjahresplan über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften v. 10.6.1940 (RGBl. I S. 891) wird im Einvernehmen mit den StdF., dem RMdJ., dem RFM., dem RMfEuL., dem RForstm. und dem RfPr. folgendes angeordnet:

I. Nachträgliche Festsetzung von Ausgleichszahlungen zugunsten des Reichs

1. (1) § 1 der VO. über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften erweitert die Möglichkeit der Erhebung von Ausgleichszahlungen zugunsten des Reichs bei Entjudungsgewinnen irgendwelcher Art. Bisher konnten auf Grund des § 15 Abs. 1 der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens v. 3.12.1938 (RGBl. I S. 1709) Ausgleichszahlungen im Genehmigunsverfahren nur dann festgesetzt werden, wenn es sich um Veräußerungsgeschäfte handelt, die nach der Anordnung auf Grund der VO. über die Anmeldung des Vermögens von Juden v. 26.4. 1938 (RGBl. I S. 415) oder auf Grund der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens selbst genehmigungspflichtig waren, und - soweit die Genehmigungspflicht auf der Anordnung v. 26.4.1938 beruht - wenn die Genehmigung erst nach Inkrafttreten der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens ausgesprochen wurde. Nunmehr ist der zeitliche Rahmen auf alle Entjudungsgeschäfte erstreckt, die seit dem 30.1.1933 abgeschlossen worden sind oder künftig abgeschlossen werden. In sachlicher Hinsicht umfaßt § 1 der neuen VO. nicht nur genehmigungspflichtige Rechtsgeschäfte, sondern auch solche, die, wie die Veräußerung insbesondere von Hypotheken, Grundschulden oder beweglichen Sachen, einer Genehmigung nach den Entjudungsvorschriften nicht bedürfen.

(2) Zweck der Vorschrift ist es, in den Fällen einen Ausgleich ungerechtfertigter Entjudungsgewinne zugunsten des Reichs herbeizuführen, in denen es der Erwerber verstanden hat, unter Ausnutzung der politischen Verhältnisse einen Gewerbebetrieb, ein Grundstück oder einen sonstigen Vermögensteil erheblich unter seinem wahren Verkehrswert von einem Juden zu übernehmen, ohne daß der entstandene Entjudungsgewinn durch eine entsprechende Ausgleichszahlung für das Reich und damit für die Allgemeinheit erfaßt worden ist. Dies kann der Fall sein, entweder  weil für eine Erfassung dieses Geschäfts bisher die rechtlichen Voraussetzungen fehlten oder weil von der Möglichkeit der Heranziehung zur Ausgleichszahlung nicht in einer den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Namentlich in der ersten Zeit der Anwendung der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens ist in mehreren mir bekanntgewordenen Fällen der Entjudung von Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Vermögen infolge unzureichender Bewerbungsgutachten von einem wesentlich zu niedrig angesetzten allgemeinen Verkehrswert ausgegangen worden. Dabei handelt es sich teilweise um Betriebe von erheblichem Wert.

(3) In diesen Fällen ist es aus staatspolitischen Gründen wie auch im Interesse der Billigkeit und der gleichmäßigen Behandlung aller Übernehmer jüdischer Betriebe oder Vermögenswerte notwendig, nachträglich eine Ausgleichszahlung zugunsten des Reichs festzusetzen, wenn der Entjudungsgewinn einen Betrag darstellt, der auch unter Berücksichtigung der entstehenden Verwaltungsarbeit und der Kosten einer Nachprüfung bei vernünftiger Beurteilung des Falles eine solche Maßnahme vom praktisch-politischen und fiskalischen Standpunkt aus rechtfertigt. Dabei ist keinesfalls beabsichtigt, die ordnungsmäßig abgeschlossenen Entjudungsverfahren etwa in ihrer Gesamtheit oder in großem Umfange nochmals aufzurollen. Dies verbietet sich sowohl wegen der Notwendigkeit der Vermeidung unnötiger Verwaltungsarbeit wie aus Gründen der allgemeinen Rechtssicherheit. Die Anwendung des § 1 der VO. über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften soll sich vielmehr auf Sonderfälle schwerwiegender Art beschränken, in diesem Umfang aber ohne Ansehen der Person erfolgen. Die Beschränkung auf Sonderfälle ist insbesondere dann geboten, wenn bereits eine Ausgleichszahlung nach § 15 Abs. 1 der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens festgesetzt oder das Fehlen der Voraussetzungen dafür von der Genehmigungsbehörde festgestellt worden ist. In eine Nachprüfung von Grundstücksentjudungen ist in der Regel nur einzutreten, wenn die Auferlegung einer Ausgleichsabgabe von über 3000 RM zu erwarten ist. Diese Beschränkung gilt nicht für landwirtschaftliche Grundstücke.

2. (1) Nach § 1 der Durchf.-VO. v. 14.11.1940 (RGBl. I S. 1520) sind für die nachträgliche Heranziehung zu Ausgleichszahlungen grundsätzlich die höheren Verw.-Behörden, für landwirtschaftliche Vermögen in Preußen der Ober-Präs. (Landeskulturabt.), in den außerpreuß. Ländern die oberen Siedlungsbehörden zuständig, die bereits jetzt im Entjudungsverfahren tätig sind. Sie werden die Fälle, in denen in ihrem Bezirk nach Ziff. 1 eine Nachprüfung zum Zwecke der nachträglichen Heranziehung zu einer Ausgleichszahlung notwendig und angebracht ist, aus ihrer Entjudungspraxis her regelmäßig selbst kennen. Es ist daher nicht erforderlich, daß allgemeine Ermittlungen zur Feststellung der in Frage kommenden Veräußerungsgeschäfte eingeleitet werden. Um das vorliegende Material zu vervollständigen, habe ich die Industrie- und Handelskammern angewiesen, auch ihrerseits die Entjudungsfälle, bei denen ein Eingreifen nach § 1 der VO. v. 10.5.1940 erforderlich erscheint, den höheren Verw.-Behörden mitzuteilen. Der StdF. wird die Gauleitungen (Gauwirtschaftsberater), der RFM., die Finanzbehörden, der RMfEuL. seine Dienststellen und die Dienststellen des Reichsnährstandes und der RJM. - insbesondere hinsichtlich der nichtgenehmigungspflichtigen Veräußerung jüdischer Hypotheken und Grundschulden - die Grundbuchämter mit gleicher Weisung versehen.

(2) Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 18 der Einsatz-VO.

(3) Die durch die Nachprüfung entstehenden Kosten haben die Verw.-Behörden zu tragen.

3. (1) Für die Bemessung der Ausgleichszahlungen gelten die für die Anwendung des § 15 Abs. 1 der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens hinsichtlich der Gewerbebetriebe und Grundstücke erlassenen Richtlinien entsprechend. Als Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines unangemessenen Vermögensvorteils ist grundsätzlich, namentlich bei Gewerbebetrieben, der Zeitpunkt der Übernahme maßgebend. Der Aufschwung, den etwa ein Gewerbebetrieb auf Grund persönlicher Tüchtigkeit des Unternehmers in der Zwischenzeit genommen hat, kann nicht als unangemessener Entjudungsgewinn angesehen werden. Andererseits ist eine wesentliche Wertminderung, die infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung [..], die Umstellung auf die Kriegswirtschaft einge[..] ist, [..] des Erwerbers zu berücksichtigen.

(2) Bei der Übernahme jüdischer Hypotheken und sonstiger Forderungen durch nichtjüdische Erwerber, die vielfach, da eine Genehmigungspflicht nicht besteht, erheblich unter Preis erfolgt ist, soll grundsätzlich der volle Unterschiedsbetrag zwischen Kaufpreis und Verkehrswert als Ausgleichszahlung zugunsten des Reichs festgesetzt werden.

4. (1) Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 kann - ebenfalls in Erweiterung der bisher gegebenen rechtlichen Möglichkeiten - die Heranziehung zur Ausgleichszahlung auch den Vermieter eines jüdischen Geschäfts treffen. Auch hier soll sich die Anwendung auf schwerwiegende Fälle beschränken. Die Vorschrift bietet die Möglichkeit, eine Ausgleichszahlung auch dritten Personen aufzuerlegen, die, ohne selbst jüdisches Vermögen zu erwerben, beim Zustandekommen von Entjudungsgeschäften zwischen anderen mitgewirkt und diese Gelegenheit zur Erzielung von Gewinnen benutzt haben, soweit die Gewinne in keinem Verhältnis zu der bei der Vermittlung geleisteten Arbeit und den aufgewendeten Kosten stehen. Dabei ist der Begriff Vermittler nicht eng zu fassen. Als Vermittler können z. B. auch solche Personen angesehen werden, die, nachdem sie mit dem Juden im eigenen Namen einen Kaufvertrag abgeschlossen haben, von diesem Vertrag zugunsten eines anderen Bewerbers zurückgetreten sind oder die einem anderen Bewerber den Eintritt in den Vertrag ermöglicht haben.

(2) Zuständig ist für die Heranziehung nach § 1 Abs. 1 der Durchf.-VO. v. 14.11.1940 (RGBl. I S. 1520) in Verbindung mit § 18 der VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens auch hier die höhere Verw.-Behörde, in deren Bezirk das veräußerte Grundstück belegen ist oder bei allen anderen Vermögenswerten die höhere Verw.-Behörde, in deren Bezirk der jüdische Eigentümer oder Verfügungsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder hatte. Ist landwirtschaftliches Vermögen der Gegenstand der Vermittlung gewesen, so ist nach § 1 Abs. 2 der Durchf.-VO. die entsprechende Zuständigkeit des Ober-Präs. (Landeskulturabt.) bzw. der oberen Siedlungsbehörde gegeben.

5. (1) Vor einer Entscheidung über die nachträgliche Heranziehung zu einer Ausgleichszahlung ist, ebenso wie in den Genehmigungsverfahren auf Grund der Entjudungsvorschriften, die Stellungnahme der örtlich zuständigen Gauleitung einzuholen.

(2) Vor einer Heranziehung eines Vermittlers ist, falls es sich um einen Rechtsanwalt oder Notar handelt, auch der Präs. der Anwalts- oder Notarkammer zu hören.

6. Die in § 3 der Durchf.-VO. vorgesehene Einziehung der festgesetzten Ausgleichszahlungen durch die Finanzämter entspricht der in Art. I der Zweiten Durchf.-VO. zur VO. über den Einsatz des jüdischen Vermögens v. 18.1.1940 (RGBl. I S. 188) getroffenen Regelung. Die hierzu in Abschn. I meines RdErl. v. 23.1.1940 (RMBliV. S. 205; RWMBl. S. 49) gegebenen Anordnungen gelten entsprechend.

II. Regelung von vermögensrechtlichen Ansprüchen ausgeschiedener jüdischer Angestellter

1. (1) Die Schiedsstelle nach § 2 der VO. über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften wird durch § 2 der Durchf.-VO. v. 14.11.1940 (RGBl. I S. 1520) beim Reichswirtschaftsgericht errichtet. Sie setzt in den ihrer Entscheidung unterliegenden Fällen auch etwaige Ausgleichszahlungen zugunsten des Reichs fest. Die Schiedsstelle wird von mir mit Richtlinien für die Behandlung der ihr zugehenden Anträge versehen.

(2) Wegen der Einziehung der festgesetzten Ausgleichszahlung, weise ich auf Abschn. I Ziff. 6 hin.

2. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 können Ausgleichszahlungen auch dann in Frage kommen, wenn ein leitender jüdischer Angestellter auf Grund der VO. zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben v. 12.11.1938 (RGBl. I S. 1580) ausgeschieden ist und das betreffende Unternehmen dadurch einen unangemessenen Vermögensvorteil erlangt hat. Da in diesen Fällen ein Verfahren der Schiedsstelle nicht in Frage kommt und es sich auch nach der Fassung der VO. v. 10.6.1940 in diesem Fall um eine Heranziehung nach § 1 der VO. handelt, sind für die Heranziehung in solchen Fällen die für die Anwendung des § 1 allgemein zuständigen höheren Verw.-Behörden berufen. Es wird insbesondere Aufgabe der Gauwirtschaftsberater und der Industrie- und Handelskammern sein, den höheren Verw.-Behörden die Fälle, in denen unter Berücksichtigung aller Umstände eine Heranziehung der Billigkeit entspricht, mitzuteilen. Auch hier soll nicht kleinlich verfahren werden, sondern die Anwendung der VO. auf Fälle von erheblicher finanzieller Auswirkung für die betreffenden Unternehmen und für das Reich beschränkt bleiben.

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