April 1940
Der Krieg nahm – in den Augen vieler Deutscher wohl endlich – seinen Fortgang: Am 9. April begann – ohne vorherige Kriegserklärung - im Rahmen des Unternehmens „Weserübung“ die Besetzung der neutralen Länder Dänemark und Norwegen durch die Wehrmacht. An sechs Stellen der 1.500 km langen norwegischen Küsten gingen deutsche Truppen an Land, während Dänemark durch motorisierte Verbände innerhalb eines Tages überrollt wurde. Als fadenscheinige Begründung verlautbarte die Reichsregierung, die Invasion sei notwendig geworden, um beide Länder vor einem unmittelbar bevorstehenden Zugriff der Alliierten zu schützen. Die dänische Armee kapitulierte bereits einen Tag später, während Norwegen ein deutsches Ultimatum ablehnte und am 10. April die Mobilmachung anordnete. Doch trotz Unterstützung durch britische und französische Kräfte konnte der deutsche Vormarsch nicht aufgehalten werden. Letztendlich sollten diesem nach der Eroberung Polens bereits zweiten „Blitzkrieg“ etwa 1.300 Menschen zum Opfer fallen; weitere 2.300 galten als vermisst.
Die deutsche Bevölkerung sollte von den Erfolgen der Wehrmacht profitieren, denn am 25. April wurden in dänischen Kühlhäusern lagernde Fleischkontingente ins Deutsche Reich ausgeführt. Auf anderen Gebieten der Versorgung begann man mit längerfristigen Planungen, um etwaigen Engpässen schon im Vorfeld zu begegnen. Am 3. April gab der Reichsbeauftragtem für die Leistungssteigerung im Bergbau, Paul Walter, daher die Planungen zur Sicherstellung der Kohleversorgung im Winter 1940/41 bekannt. Bereits im Sommer sollte damit begonnen werden, mittels einer Hausbrandbevorratungsaktion jedem Haushalt eine vorausberechnete Menge an Hausbrand zuzuteilen, die bei sparsamem Verbrauch für den gesamten Winter ausreichen sollte. Hierzu mussten sie zuvor je nach Größe in eine Punkteskala eingeordnet werden.
Am 17. April wurde das Kriegshilfswerk für das Deutsche Rote Kreuz eröffnet. Propagandaminister Goebbels rief die Bevölkerung zu großzügigen Spenden in Form von Wertgegenständen und Bargeld auf, die nach seinen Angaben nicht nur der Versorgung der Soldaten an der Front, aber auch von Arbeitslosen und Hilfsbedürftigen im Reichsgebiet dienen sollten. Damit trat neben das Winterhilfswerk mit seinen Sammlungen und „Eintopfsonntagen“ ein weiteres großes Sammelwerk.
Der angespannte Arbeitsmarkt blieb ein Dauerproblem. Ein am 27. April vertraulich präsentierter Plan des Arbeitsministeriums, Frauen mittels einer allgemeinen Arbeitsdienstpflicht verstärkt zu Zwecken der „Reichsverteidigung“ heranzuziehen, stieß in der weiblichen Bevölkerung auf deutliche Ablehnung. Um Missstimmungen an der „Heimatfront“ zu vermeiden, versagte Hermann Göring als Vorsitzender des Ministerrats für Reichsverteidigung dem Vorhaben schließlich seine Zustimmung. Auch auf anderem Gebiet blieb der Zuwachs zunächst noch deutlich unter den Erwartungen. Ende April befanden sich 210.000 polnische Arbeitskräfte im Deutschen Reich, womit die von der Reichsregierung geforderte Zahl von mindestens 500.000 Arbeitskräften deutlich unterschritten wurde.
Insgesamt wurden die Zügel mittels restriktiver Bestimmungen und abschreckender Aktionen weiter angezogen. So stellte Reichsarbeitsminister Franz Seldte am 8. April den Reichsarbeitsdienst unter strafrechtlichen Schutz. Das bedeutete, dass künftig jeder, der öffentlich dazu aufforderte, den Reichsarbeitsdienst zu verweigern, mit Zuchthaus bestraft werden konnte. Vier Tage später verurteilte das Sondergericht in Halle an der Saale einen jungen Mann wegen unter Ausnutzung der Verdunkelung begangener Einbrüche zum Tode, was der Bevölkerung zur Abschreckung umgehend mitgeteilt wurde.
Bei dieser Entwicklung dürfte es manchen überrascht haben, dass Kardinal Bertram am 19. April im Namen, wenn auch ohne offizielle Genehmigung aller katholischen Bischöfe einen Geburtstagsglückwunsch an Adolf Hitler sandte, in dem er unter anderem die Staatstreue der katholischen Kirche betonte. Das Schreiben führte zum Eklat, denn der Berliner Bischof von Preysing erklärte daraufhin seinen Rücktritt als Pressereferent der Fuldaer Bischofskonferenz und kündigte zudem de Niederlegung seines Bischofsamtes an.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Das Oberkommando der Wehrmacht verfügte am 8. April, dass „Mischlinge I. Grades“ und Ehemänner von Jüdinnen aus der Wehrmacht entlassen werden sollten.
Zwei Tage später wird allen Gestapostellen per Fernschreiben des RSHA die Anordnung Himmlers zur Kenntnis gebracht, dass für sämtliche in Konzentrationslagern internierte Juden „für die Dauer des Krieges“ eine allgemeine Entlassungssperre gelte. Ausgenommen hiervon waren nur jene, „deren Auswanderung bereits vorbereitet ist und die in Kürze auswandern können“.
Als Herbert Backe, Staatssekretär des Reichsernährungsministeriums, am 23. April das „Generalgouvernement“ besuchte, verlangte er, dass trotz des dort herrschenden Mangels an Nahrungsmitteln künftig Getreide, Zucker und Fleisch nach Deutschland zu liefern seien. Als ihm die angespannte Ernährungslage vor Ort erläutert worden war, zeigte er dafür keinerlei Verständnis. „Die Juden interessieren mich überhaupt nicht, ob sie etwas zu futtern haben oder nicht, ist für mich die allerletzte Frage.“
Als Ende April/Anfang Mai in Berlin an alle jüdischen Männer bis zu 55 Jahren und alle jüdischen Frauen bis zu 50 Jahren die Aufforderung erging, sich zum Arbeitseinsatz zu stellen, markierte das den Übergang von einem lediglich für ausgewählte Gruppen der jüdischen Bevölkerung geltenden Arbeitszwang zur generellen Pflicht zur Zwangsarbeit für alle deutschen Jüdinnen und Juden, ohne dass es hierfür einer Gesetzesänderung oder einer speziellen Verordnung bedurft hätte. Grundlage war und blieb der Erlass zum „Arbeitseinsatz von Juden“ vom 20. Dezember 1938.
Laut Erlass des Reichssicherheitshauptamts vom 24. April sollte die jüdische Auswanderung aus dem Reichsgebiet verstärkt betrieben werden. Zugleich wurde unter dem Eindruck des Kriegsgeschehens angeordnet, dass allerdings eine Emigration „von wehr- und arbeitseinsatzfähigen Juden in europäische Feindstaaten“ zu verhindern sei. Außerdem wurde erklärt, dass auch eine Ausweitung der „Palästina -Wanderung“ aus außenpolitischen Gründen „unerwünscht“ sei und für die in KZs internierten Juden polnischer bzw. ehemals polnischer Staatsangehörigkeit eine Ausreise gar nicht mehr nicht in Frage komme. Die Möglichkeiten, dem NS-Regime zu entkommen, wurden immer weiter minimiert.
Am 1. April fand zwischen Vertretern des Reichsinnenministeriums, des Finanzministeriums, des Ernährungsministeriums, der Vierjahresplanbehörde und des RSHA eine Besprechung zum geplanten Getto in Lodz statt. In diesem Rahmen wurde dessen „vorläufiger Charakter“ betont und vereinbart, als Ziel eines „Gesamtplans“ darauf hinzuarbeiten, dass die jüdische Bevölkerung zur Gänze aus der Stadt evakuiert würden. Am 30. April wurde das Getto dann vollständig abgeriegelt und dessen Verlassen bei Todesstrafe verboten. Zugleich wurde festgelegt, dass die rund 160.000 dort eingeschlossenen Juden bis zum Oktober 1940 in das „Generalgouvernement“ abgeschoben sein sollten.
Auch mit Blick auf Warschau wurde am 8. April vom Leiter der dortigen „Abteilung Umsiedlung“ darauf gedrängt, dort schnellstmöglich ein Getto einzurichten. Das war dadurch notwendig geworden, weil der Plan, „den Lubliner Raum als Sammelbecken für die Juden vorzusehen“, zwischenzeitlich aufgegeben worden war.
Die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung im deutschbesetzten Polen verschlechterten sich überall dramatisch. So stellte etwa die Gestapo in Kattowitz am 19. April fest, dass deren Vermögen mittlerweile „größtenteils beschlagnahmt“ sei, was zu einer „Verarmung und Verelendung der rund 100.000 Juden im Regierungsbezirk Kattowitz“ geführt habe. Selbst die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen hatten aufgrund dieser Zustände schließen müssen. Daher sei es selbst die Gestapo „im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und insbesondere aus gesundheitlichen Gründen für die im Gebiet lebenden Deutschen“ als „unbedingt erforderlich“ an, solche „Armenküchen und Wohlfahrtseinrichtungen „bis zur endgültigen Abschiebung der jüdischen Bevölkerung aus Ostoberschlesien aufrechtzuerhalten.