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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Die SoPaDe berichtet

In der August-Ausgabe 1935 heißt es in den Deutschland-Berichten“:

DER TERROR GEGEN DIE JUDEN

Wir haben im vorigen Monat im Rahmen einer umfassenden Übersicht über den Terror im Dritten Reich auch über den Terror gegen die Juden berichtet. Wir ergänzen im folgenden diese Übersicht durch die im letzten Monat neu eingelaufenen Berichte.

Schon die in der Presse veröffentlichten Meldungen zeigen, mit welchen Mitteln man die Juden in das moderne Ghetto hineintreibt:

Bergzabern, Edenkoben, Schotten, Höheinöd, Breunigweiler und andere Orte verbieten Juden den Zuzug und untersagen den Verkauf von Grund und Boden an Juden.

Bad Tölz, Bad Reichenhall, Garmisch-Partenkirchen und das bayrische Hochland gewähren Juden keinen Zutritt mehr zu den Kuranlagen.

In Apolda, Berka, Blankenstein, Sulza, Allstadt und Weimar (1 Kino) ist den Juden der Besuch der Lichtspieltheater verboten.

Magdeburg verbietet Juden die Benutzung der Bibliotheken; die Straßenbahnen führen an den Eingängen Schilder: „Juden unerwünscht!“.

Die Gaststätten in Stralsund, Putbus und anderen Orten untersagen Juden den Zutritt; alle Geschäftsleute in Frankenthal (Pfalz) weigern sich, an Juden zu verkaufen; 500 Geschäfte, Gaststätten und Cafés des Kreises Alsfeld und die Gaststätten des gesamten Harzgebiets erhalten Schilder: „Juden unerwünscht“; die Friseure von Stralsund bedienen Juden nicht mehr.

Die Viehmärkte in Oldenburg, Fulda und zahlreichen anderen Orten sind judenrein geworden, auf den Jahrmärkten in Görlitz und Schriesheim sind Juden unerwünscht.

In unzähligen Gemeinden sind die Badeeinrichtungen für A30 Juden verboten, sind „Rassenschänder“ in Schutzhaft genommen, verprügelt, herumgeführt und ins Konzentrationslager geschleppt worden.

Der Besuch der Externstein - verboten, Besuch von Veranstaltungen aller Art in Schriesheim - verboten ... es ist eine Kette von Schikanen, Verboten, Diffamierungen, die ihre Ergänzung in den Anweisungen an die Arier, Verkehr mit Juden zu meiden, findet.

In Mainz-Bischofsheim werden denjenigen, die mit Juden verkehren, die Gemeindeäcker gekündigt, Geschäftsleuten aus Nidda, Auerbach u. a. Orten, die sich mit Juden einlassen, werden städtische Aufträge entzogen.

Berlin-Steglitz, Hirschberg und andere Orte verbieten den öffentlichen Bediensteten, den Lehrkräften und den Unterstützungsempfängern, bei Juden einzukaufen; Adelshofen geht disziplinarisch gegen Beigeordnete, Gemeinderäte und öffentliche Bedienstete vor, die bei Juden kaufen; Finsterwalde und Langenselbold drohen den Unterstützungsempfängern die Unterstützungssperre an. Coburg untersagt den städtischen Beamten, Angestellten und Arbeitern auch den gesellschaftlichen Verkehr mit Juden; Braunschweig läßt Listen über die Bauern aufstellen, die früher oder heute mit Juden Handel treiben, während in Alzey öffentlich die Namen von 4 Leuten angeprangert wurden, die mit Juden Karten spielten.

Unsere Berichterstatter melden:

Bayern, 1. Bericht: Im Allgemeinen wird der Judenboykott von der Bevölkerung abgelehnt. Es zeigt sich trotz der Veröffentlichungen im Prangerkasten, daß, teilweise aus Widerwillen gegen das jetzige Regime, nun erst recht demonstrativ beim Juden gekauft wird. Die Mißgriffe, die sich unreife Menschen in der Judenfrage leisten, spotten geradezu den sonstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen in Deutschland. Durch Mißhandlungen und Verfügungen von Schutzhaft über jüdische Betriebsführer von größeren Betrieben ist für die Arbeiterschaft bereits Not und Elend eingetreten.

Die bayrischen Spiegelglaswerke vorm. Bechmann & Kupfer, Fürth wurden technisch und kaufmännisch von zwei Juden namens Offenbacher geleitet. Sie hielten trotz aller Exportschwierigkeiten zwei Betriebe mit rund 1200 Beschäftigten in Arbeit. Um die beiden Betriebsleiter zur Strecke zu bringen, sorgte Streicher dafür, daß eine Anzahl SA-Leute vor den Kontoren der Firma demonstrierten. Arbeiter aus dem Betrieb beteiligten sich nicht daran. Darauf wurden die beiden Juden in Schutzhaft genommen. Bereits nach einigen Tagen zeigten sich Betriebsschwierigkeiten. Die insultierten Betriebsführer verließen nach ihrer Entlassung aus der Schutzhaft Deutschland; nach 2 Wochen mußten die Betriebe kurzarbeiten, und in der letzten August-Woche sprach man ganz offen von einer vollkommenen Stillegung, da Staatszuschüsse trotz aller Bemühungen der neuen Leitung nicht zu erhalten seien. Die ehemaligen Besitzer der Werke haben bereits neue Betriebsstätten in England gekauft und eingerichtet.

2. Bericht: Die Judenverfolgungen finden in der Bevölkerung keinen aktiven Widerhall. Aber sie bleiben andererseits doch nicht ganz ohne Eindruck. Unmerklich hinterläßt die Rassenpropaganda doch ihre Spuren. Die Leute verlieren ihre Unbefangenheit gegenüber den Juden und viele sagen sich: Eigentlich haben ja die Nazis mit ihrem Kampf gegen die Juden doch recht, aber man ist gegen die Übertreibungen dieses Kampfes und wenn man in jüdischen Warenhäusern kauft, dann tut man es in erster Linie nicht, um den Juden zu helfen, sondern um den Nazis eins auszuwischen.

Baden, 1. Bericht: Die Propaganda gegen die jüdischen Geschäfte hat sich in den letzten Tagen, insbesondere seit Beginn des Saisonausverkaufs, ins Unglaubliche gesteigert. Die Nazis haben dabei zu den frechsten Mitteln gegriffen; in vielen Fällen haben sie die Kunden jüdischer Geschäfte fotografiert. In der Nacht vor Beginn des Saisonausverkaufs haben die Nazis sämtliche jüdischen Geschäfte mit einem Plakat versehen: „Dies ist ein jüdisches Geschäft. Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter.“ Diese Plakate wurden in der Früh von den Geschäftsinhabern entfernt, so daß, als der Verkehr in den Straßen im Gange war, von den Plakaten nichts mehr zu merken war. Als dann der Ausverkauf begann, waren die jüdischen Geschäfte und Warenhäuser in kurzer Zeit dennoch überfüllt. Gegen Abend versuchten die jüngere Nazioten ihre Aktionen gegen die Juden wieder, doch die kauflustige Menge ließ sich nicht beirren. Wer etwas kaufen wollte, ging dorthin, wo er glaubte, es am billigsten zu bekommen. Es gibt heute, ohne zu übertreiben, in Mannheim eine absolute Mehrheit in der Bevölkerung, die sich durch die Hetze gegen die Juden nicht im geringsten stören läßt.

Auch in Mannheim-Neckarau fanden am 27.7. SA-Kundgebungen gegen jüdische Geschäfte statt. Die Menge war darüber sehr erregt, es hat sogar Schlägereien zwischen den Käufern und der SA gegeben.

2. Bericht: Die Judenverfolgungen sind auch hier in der Oberbadischen Ecke im vollen Gange. Überall werden Kästen für den Stürmer angebracht. Auch werden Karikaturen von Juden auf die Schilder gemalt, die die Unterschrift tragen: „Wer vom Juden frißt, der stirbt daran.“ Mitte August wurden die Stürmerkästen und die Aufschriften vom Kreisleiter eingeweiht. Hierbei hielt der Kreisleiter und der Ortsgruppenführer Ansprachen an die SA und die Hitlerjugend.

3. Bericht: Hier, an der Grenze entlang, beginnen jetzt ebenfalls die Judenverfolgungen. So hat man vor einigen Tagen in Konstanz einen angesehenen Arzt, Dr. Hagelberg, wegen Rasseschändung festgenommen und das „jüdische Scheusal“ (lt. Polizeibericht) nach Kislau gebracht. Er soll in vielen Fällen Abtreibungen vorgenommen und die Frauen vorher mißbraucht haben. Diese Räubergeschichten werden jedoch von der Bevölkerung nicht geglaubt. So hat mir ein Geschäftsmann gesagt: Wäre das, was man hier schreibt, richtig, hätte man H. nicht nach Kislau, sondern ins Zuchthaus gebracht.

Pfalz, 1. Bericht: Der Kampf gegen die Juden wird in Pirmasens jetzt so scharf geführt, wie dies noch nie der Fall war. Am Eingang der Zeppelinstraße ist ein Transparent angebracht: „Diese Straße führt auch nach Palästina.“ Am Café Luitpold ist eins angebracht mit der Aufschrift: „Deutschland das Herz, Juda die Faust.“ Vor den jüdischen Geschäften, die weit unter den üblichen Preisen verkaufen und sehr viel bieten, stehen die Nazis und belästigen die Leute, die hineingehen wollen. Es wird auch photographiert. Die Sympathie der Bevölkerung ist aber bei denen, die trotzdem in die Geschäfte hineingehen. Einige Frauen haben den Nazis gegenüber sehr scharfe Bemerkungen gemacht.

Da freitags Zahltag ist, war großer Betrieb vor dem EHP (Einheitspreisgeschäft). Es war das Gerücht verbreitet, daß tausende Arbeiter trotz Naziposten demonstrativ das EHAPE besuchen werden. Zur allgemeinen Überraschung stand an diesem Tag kein SA-Mann dort, so daß die Massen unbehelligt hineinfluten konnten.

In allen Fabriken ist den Arbeitern angekündigt worden, sie dürften in Zukunft weder bei Juden kaufen, noch zu jüdischen Ärzten in Behandlung gehen.

2. Bericht: Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht vor den großen Kaufhäusern Tumult wäre. Hier stehen SS und SA-Wachen, die verhindern sollen, daß Leute in die jüdischen Geschäfte gehen. Das Auftreten dieser Wachen ist ganz brutal und gemein, vor nichts schrecken sie zurück. Die Leute werden fotografiert, teilweise auch mißhandelt. Es ist schon vorgekommen, daß Frauen in die Straßenrinne geworfen wurden. Am tollsten ist es vor dem Kaufhaus Rothschild. Dieses Vorgehen wird aber von der Bevölkerung entsprechend gewertet. Sie erkennt die Gründe, warum das alles gemacht wird. So sagte mir auf dem Arbeitsplatz ein Kollege, daß das nur dazu dient, die Massen von der fort-1 schreitenden Teuerung abzulenken. Ein Schuldiger muß ja gefunden werden, nun ist es wieder der Jude. Diese Art der Vernichtung der Juden bestärkt bei vielen Leuten den Glauben, daß das System am Ende seiner wirtschaftlichen Kraft angekommen ist.

3. Bericht: ln den Fenstern der Geschäfte sind jetzt überall die Schilder angebracht: „Kauft in deutschen Geschäften, die Juden sind unser Untergang.“ Die jüdischen Geschäfte versuchen sich dadurch zu halten, daß sie sehr schöne Sachen ausstellen und niedrige Preise auszeichnen. Um die Bevölkerung daran zu hindern, in jüdischen Geschäften zu kaufen, werden die Käufer in jüdischen Geschäften neuerdings photographiert und die Bilder vergrößert ausgehängt. Das hat natürlich auf viele Menschen eine abschreckende Wirkung, während andere darüber lachen und doch hineingehen. Es ist bekannt geworden, daß gute Nazis ihre Waren bei den Juden telefonisch bestellt haben und sich die Sachen ins Haus bringen ließen. „Hintenherum“ wird überhaupt allerhand gemacht. So hat ein jüdisches Geschäft große Posten Arbeitsdienstanzüge im Aufträge eines arischen Unternehmers angefertigt und sie bei dem eigentlich Beauftragten abgeliefert, für den die Sache ein gutes Geschäft ist, weil der Jude das billigste Angebot gemacht hatte.

4. Bericht: Im pfälzischen Badeort Dürkheim wurden Mitte August in zwei jüdischen Geschäften die Fensterscheiben eingeschlagen. Die Geschäftsinhaber gaben einem Glaser Auftrag zur Reparatur. Der Glaser, unsicher, was er tun sollte, frage auf dem Bürgermeisteramt, ob er die Scheiben einsetzen solle. Dort wurde ihm gesagt, er könne die Scheiben reparieren, aber er müsse sich dann als Judenknecht ansehen lassen. Dies wollte er nicht und beide Geschäfte sind bis zum heutigen Tag, 21. August, noch ohne neue Scheiben.

Ein jüdischer Privatmann, dem ebenfalls ein Fenster eingeworfen wurde, ging zum Bürgermeister, um bei diesem persönlich Klage zu führen. Der Sekretär des Bürgermeisters wurde sofort entlassen, weil er den Mann überhaupt angemeldet hatte.

5. Bericht: Der Gastwirt Adolf Schütz, Ludwigshafen machte in dem seiner Wohnung gegenüber liegenden Kaufhaus Rotschild einen Einkauf. Beim Verlassen des Kaufhauses wurde er von einem Rudel junger Leute umringt und bedroht. Auch der Photograph, SA-Mann Meier, Ludwigshafen (früher Inhaber einer Eisenbahner-Kantine, dort wegen Sittlichkeitsvergehen entlassen und zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt) war, wie in solchen Fällen üblich, zur Stelle. Der Wirt erklärte „mich könnt ihr ruhig fotografieren“, worauf alle Mann über den 60jährigen Mann herfielen. Trotz fünfmaligem Anruf bei der Polizei ließ sich kein Polizist sehen, dafür wurde Schütz noch am gleichen Tage in Schutzhaft genommen.

Wenige Tage nach seiner Freilassung aus der Schutzhaft erschienen 6 Mann in seinem Lokal, Schütz selbst lag bettlägrig krank in der Wohnung. Der Stürmertrupp drang in die Privatwohnung ein, zerrte den 60jährigen aus dem Bett und machte die Treppenbeleuchtung unbrauchbar, worauf sie den Mann unter Schlägen und Mißhandlungen erneut in Schutzhaft brachten. Eine besonders auffallende Rolle spielte bei diesem Vorgang ein in Zivil gekleideter Schutzpolizeibeamter.

Nordwestdeutschland, 1. Bericht: Die Judenverfolgungen finden in der Bevölkerung allgemein Ablehnung. Es ist nur die fanatische kleine SS- und SA-Clique, die die NSDAP gegen die Juden einsetzt, die glaubt, ein gutes Werk zu tun. In allen Städten und Dörfern des Bezirks Hannover sind an den Zufahrtsstraßen von der Leitung der NSDAP und von den Behörden Schilder angebracht, welche folgende Inschriften haben: „In diesem Orte leben Juden auf eigene Gefahr“ oder „Wir wollen keine Juden sehen“; ferner „Juden sind unerwünschte Gäste“, „Deutscher Volksgenosse, denke daran, Juda ist Dein Erbfeind“, „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“. Diese Schilder sind zum erheblichen Teil so massiv angebracht, daß jeder erkennt, daß sie auf höhere Anweisung hin aufgestellt wurden. Zum großen Teil stehen diese Schilder auf Gemeinde- oder Staatsgrundstücken. Auch an den städtischen Uhren und ähnlichen behördlichen Einrichtungen wurden diese Schilder angebracht. In leerstehenden Läden wird ganz offiziell von der Parteileitung das Plakat: „Die Juden sind unser Unglück“ und das antikatholische Plakat „Deutsches Volk horch auf“ angeklebt.

Den Kampf gegen die Juden führt die SA in Räuberzivil. Das heißt, ein SA-Mann, der nicht die offizielle Uniform trägt, postiert sich vor dem Geschäft eines Juden. Er reizt die Leute auf, verhindert das Eintreten Kauflustiger usw. Die Polizei sieht diesem Treiben zu. Sie sagt höchstens: „Weitergehen“. Das Volk steht bei diesem Kampf Gewehr bei Fuß. Man hört in den letzten Tagen nur immer wieder den Ausspruch. „Nur keinen Sand in die Augen streuen lassen.“ Welche Volksgemeinschaft steht nun eigentlich nach dieser Schilderung hinter den Machthabern des Dritten Reiches? Einen Fall wollen wir nicht unerwähnt lassen: Man hat in Flannover vier Kinos geschlossen, die Juden gehören. Dann klebte man an die Reklametafeln der Kinos Plakate, die eine nackte Person zeigen. Dazu druckte man den Spruch:

„So muß der Jude Deutschland verlassen!“ Diese Plakate wurden dann auch an die Schaufenster offener jüdischer Geschäfte angebracht.

2. Bericht: Die Bevölkerung ist von Abscheu gegen die Judenhetze erfüllt, zumal auch mehrere Juden von der SA verprügelt wurden, bis sie die Polizei durch Schutzhaft in Sicherheit brachte. In den letzten Tagen sind außerdem zehn Betriebsleiter und Direktoren der Textilindustrie in Schutzhaft genommen worden. Zum Teil wurden diese Leute aus den Betrieben heraus verhaftet. Man wirft ihnen wirtschaftsschädliche Handlungen vor. Provoziert wurde das Vorgehen gegen diese ausschließlich jüdischen Männer von den Betriebsvertrauensräten, die sich seit langem wegen ihrer völligen Bedeutungslosigkeit verletzt fühlen. Falsche Bezichtigungen aller Art sind den NS-Instanzen von Betriebsvertrauensräten und Amtsleitern der DAF zugetragen worden. Unter den Verhafteten befindet sich auch der Inhaber der großen Firma Bornheim, der in Bielefeld zwei und in Örlinghausen-Lippe einen Betrieb hat. Die Nazis haben in den Betrieben und in den Straßen Aufschriften: „Juden, wir passen auf euer Geschäft auf“ angebracht.

Die Belegschaften sind einmütig gegen das Vorgehen eingestellt. Auch Nazi-Angestellte und Arbeiter sind entrüstet. Gerade Nazis sagen, wenn man so die Wirtschaft weiter zerschlägt, kann man ja gleich aus den Betrieben Irrenhäuser machen, denn mit der Zeit muß ja das ganze Volk verrückt werden. Die NS-Stellen verbreiten das Gerücht, den Juden sollen die Betriebe genommen werden, damit die Wirtschaft in rein arische Hände kommt.

3. Bericht: Im Norden sind mehrere Juden durch die Straßen geführt worden. Auch einige christliche Mädchen, denen man unsittliches Betragen mit Juden vorwarf. Die Bevölkerung war empört. In der Stadt war eine einzige Unruhe. In den bürgerlichen Kreisen, denen die Mädchen angehörten, war die Unruhe am stärksten. Auf den Straßen bildeten sich starke Gruppen erregt diskutierender Menschen. Unverblümt wurde den Polizeibeamten, die aufforderten, weiterzugehen, gesagt, sie sollten sich besser um die Schweine von Nazis bekümmern, die sich täglich herumsauen und dann anständigen Juden und Mädchen die Ehre rauben. Die Polizei sagte zu der Bevölkerung lediglich, sie solle den Verkehr nicht stören und auseinandergehen. Die NSDAP meldete nach Berlin, daß man für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Stadt nicht mehr garantieren könne. Darauf kam Polizeigeneral Daluege höchstpersönlich nach Norden. Seine Verhandlungen mit der Behörde führten zu dem Ergebnis, daß die verhafteten Juden und Mädchen unverzüglich aus der Haft entlassen wurden. Inzwischen waren in der Stadt Bilder von dem Martermarsch der Juden und Mädchen durch den Ort zum Verkauf angeboten. Daluege ließ die Fotoplatten und die Karten beschlagnahmen. Die Bevölkerung hat sich in diesem Fall hundertprozentig gegen die Nazis durchgesetzt.

4. Bericht: In Emden sollte ein Jude durch die Straßen geführt werden. Er konnte sich durch die Flucht rechtzeitig der Marter entziehen. Darüber war die SA außerordentlich empört, während die Bevölkerung unverhohlen ihre Freude ausdrückte, daß der Jude den Burschen entwischen konnte. Der Judenboykott wird streng durchgeführt. Die jüdischen Geschäfte werden von SA überwacht. Soweit die Bevölkerung ängstlich ist, meidet sie die jüdischen Kaufhäuser. Reaktionäre Kaufleute in der Nachbarschaft der Kaufhäuser haben sich über den Terror beschwert, da auch ihnen die Kundschaft wegblieb. Das Publikum wagt nicht, in der unmittelbaren Nähe jüdischer Geschäfte zu kaufen und meidet die Straßen. Plakate mit der Aufschrift „Die Juden sind unser Unglück“ sind an die Fenster jüdischer Geschäfte und an die Plakatstellen geklebt. Die Nazizeitung bringt diese Parole in großen Lettern jeden Tag. Bezeichnend ist aber, daß sehr angesehene arische Familien ostentativ freundschaftlichen Verkehr mit jüdischen Familien unterhalten. Das Volk bemitleidet die Juden. Man sagt, daß die Nazis wieder einmal von großen Schwierigkeiten ablenken wollen. Im Emdener Stadtgarten ist ein „Stürmerkasten“ errichtet worden. Oben steht in großen Lettern: „Kauft nicht beim Juden“ und „Die Juden sind unser Unglück“. Eines Morgens war das „nicht und im zweiten Satz das „Un“ von Unglück überpinselt.

Vor dem einzigen großen Kaufhaus, Valk & Co., in Emden, stehen SA-Leute als Verkäufer mit dem „Stürmer“. Der Naziführer hat meistens einen Photoapparat. Auch einige NS-Weiber stehen dabei und kontrollieren. Seit dem 1. April 1933 war man diese Form des Boykotts nicht mehr gewohnt. Diese überraschenden Maßnahmen, die in allen Orten Ostfrieslands gleichzeitig einsetzten, schreckten die Bevölkerung zuerst. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt. Man geht in das Kaufhaus und läßt sich nicht durch die Kontrollen stören. Eine Szene:

Eine Handwerksmeisterfrau kommt aus dem Kaufhaus und wird von einer Nazifrau beschimpft, weil sie beim Juden kaufe. Sie antwortete laut, so daß alle Umstehenden es hören können: „Herr Valk ist unser bester Kunde. Warum sollen wir ihm weniger treu bleiben, als er uns?“ Dieses Argument nützt aber nichts. Das Naziweib schimpft recht gehässig weiter. Je mehr sie schimpft, desto mehr lacht die Handwerkersfrau und sagt schließlich: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“

Viele Umstehenden gaben dieser Frau recht. Einer der Zuschauer ruft der Nazifrau zu: „Geh nach Hause und stopf erst Deine Strümpfe, ehe Du hier krakeeist.“ Eine andere Frau erklärt: „Bei Valk ist es billiger und besser als bei Euren Pgs.“

Berlin-Brandenburg, 1. Bericht: Die Streicherversammlung in Berlin wirkte tatsächlich als eine Sensation. Man war neugierig zu erfahren, was der Mann zu sagen hat. Die Karten für die Versammlung waren schon seit Wochen vergriffen. Bereits auf den Plakaten, die Wochen vorher die Versammlung ankündigten stand, daß keine Karten mehr zu haben sind. Es war also von Anfang an klar, daß die Nazis nur ihre sicheren Leute in die Versammlung kommandiert hatten. Als dann bekannt wurde, was Streicher tatsächlich in der Versammlung gesagt hat, hat man die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Nicht nur bei unseren Genossen, sondern in der Arbeiterschaft überhaupt hatte man ein sehr deutliches Empfinden für die Mätzchen, mit denen Streicher arbeitete. Man nahm dieses Referat einfach nicht ernst, sondern machte sich lustig darüber.

Die wilden Aktionen gegen die Juden sind vorbei. Die jüdischen Eiskonditoreien sind wieder geöffnet und es kommt nur noch selten zu gewalttätigen Ausschreitungen. Selbstverständlich sind die Juden viel zu eingeschüchtert, als daß sie durch ihr Verhalten irgendeinen Anlaß zu weiteren Aktionen geben könnten. Die Behauptungen der Nationalsozialisten von dem provozierenden Verhalten der Juden sind glatte Lügen. Offenbar soll jetzt an die Stelle des ungezügelten Terrors die systematische Verdrängung der Juden treten. So hat man z. B. auf dem Neuköllner Wochenmarkt damit begonnen, die jüdischen Marktstände in eine Seitenstraße zu verweisen, so daß jeder, der bei jüdischen Händlern kaufen will, gezwungen ist, sich in dieses Ghetto zu begeben.

Die Bevölkerung lehnt im allgemeinen die Terrormaßnahmen gegen die Juden ab. Das Mitglied mit den Juden ist in bürgerlichen Kreisen noch stärker als bei den Arbeitern. Bewußt oppositionell eingestellte Kreise kaufen oft demonstrativ bei Juden oder gehen zu jüdischen Ärzten, aber nicht so sehr in erster Linie, um den Juden zu helfen, als um die Nazis zu ärgern.

2. Bericht: Am Mittwoch, den 14. August hat Sturmbann I in Cottbus einen planmäßigen Überfall auf den jüdischen Zeitungshändler Rosenthal verübt. Alles spielte sich vor den Augen der Polizei ab. Rosenthal wurde fürchterlich zerschlagen und zum Schluß kam er zur „persönlichen Sicherheit“ in Schutzhaft. Anschließend daran demonstrierten die auf gepeitschten SA-Leute und der Mob vor dem jüdischen Kaufhaus Schocken. Es wurden hetzerische Reden vor dem Eingang gehalten. Worte, die man sich wiederzugeben schämt. Allenthalben in der Lausitz wurde vor den jüdischen Geschäften demonstriert; natürlich war alles kommandiert. Dabei werden die Käufer als „Volksverräter“ gefilmt und ihre Bilder in den Zeitungen wiedergegeben. Diesem Treiben sah die Polizei teilnahmslos zu.

Sachsen, 1. Bericht: Gegenüber der neuen Judenhetzte nimmt die Bevölkerung eine Stellung ein, die man am besten wohl mit Gleichgültigkeit bezeichnen könnte. Man sagt sich: Manche Juden haben es verdient, daß sie etwas schikaniert werden, denn man kennt sie von früher her und weiß, daß sie bei allen Gelegenheiten versucht haben, Nutzen aus der jeweiligen politischen Konstellation zu ziehen. Nur mit den Kleinen hat man etwas Mitleid und denen geht es gewöhnlich am schlechtesten, weil sie keine Verbindungen nach oben haben. Im allgemeinen sieht man aber dem Treiben zu, ohne sich besonders aufzuregen.

In der Dresdner Pragerstraße ist es zu einem regelrechten Pogrom gekommen. Dort hat sich ein sogenanntes Fotomatengeschäft aufgetan, das anscheinend auch ganz gut ging. Ein SA-Mann in Zivil, so wird berichtet, suchte das Geschäft auf, wollte etwas Fotomaterial haben und fragte dabei die Verkäuferin, ob sie eine Jüdin sei. Das Mädel hat diese Frage weder bejaht noch verneint und den Inhaber herbeigerufen. Dieser, ein Jude, hat kein Hehl daraus gemacht, daß der SA-Mann in ein jüdisches Geschäft geraten sei und als dieser Hitlerbursche daraufhin angefangen hatte, zu schimpfen, ist er höflich und bestimmt ersucht worden, das Lokal zu verlassen. Stattdessen hat der SA-Mann angefangen zu randalieren. Als der Geschäftsinhaber mit der Herbeirufung der Polizei drohte, ging er tätlich gegen den Mann vor, so daß er mit etwas Energie aus dem Lokal hinauskomplimentiert werden mußte. Die Verkäuferin rief dabei um Hilfe und nach der Polizei. Als der SA-Mann in diesem Tumult endlich in der Ladentür erschien, war auf einmal ein Dutzend dunkler Gestalten zur Stelle und auf das Geschrei des Hitlerburschen, ein Jude habe ihn tätlich beleidigt, begann der Sturm auf das Geschäft. Der Inhaber wurde zusammengehauen. Alles, was nicht niet-und nagelfest war, wurde zertrümmert und der Laden fast völlig ausgeräumt, bis endlich die Polizei erschien und zwar den Ladeninhaber, aber nicht die Naziverbrecher festnahm. Jetzt ist der Laden geschlossen. Was aus dem Juden geworden ist, weiß niemand. Bestimmt ist nur bekannt geworden, daß die SA-Brüder allesamt unbehelligt geblieben sind.

In Dresden waren Anfang August auf der an der Elbe bis Tolkewitz führenden Straße an allen Straßenlaternen doppelseitige Schilder angebracht mit den Aufschriften: „Wer bei Juden kauft, ist Volksverräter!“, „Die Juden sind unser Unglück.“ Im Dresdner Güntzbad hängen im Vestibül Schilder mit der Aufschrift: „Juden Betreten verboten!“.

2. Bericht: Seit einigen Wochen ist auch in Dresden das Vorgehen gegen die Juden ziemlich scharf. Vorige Woche hat man nachts sämtliche jüdischen Geschäfte in Dresden mit Plakaten „Jüdisches Geschäft“ versehen. Ein Kaufhaus in Dresden mit 60 Beschäftigten, das von einem Arier geleitet wird, gehört einem Juden. Der Naziterror hat erreicht, daß der Besitzer sein eigenes Geschäft nicht mehr betreten darf. Auch der Geschäftsführer hat nichts mehr zu sagen; nicht einmal zu den Sitzungen des Vertrauensrats wird er hinzugezogen.

3. Bericht: Anläßlich des Abschlusses eines traditionellen Kinderfestes fand in Markranstädt bei Leipzig ein Feuerwerk statt. Eine jüdische Geschäftsfrau namens Miltziner, Leipzigerstraße, wollte diesen Festabschluß mit ihren Kindern ebenfalls besuchen, wurde aber auf Grund einer Verfügung des Bürgermeisters vom Platze verwiesen.

4. Bericht: Der Inhaber des Damenkonfektionsgeschäftes Moritz Baum, Inh. Leopold Wertheimer, in Zwickau, mußte vor einigen Tagen sein Geschäft und die Familie verlassen, weil die NSDAP eines Nachts sein Schaufenster mit der Aufschrift: „Du Judensau, du Rassenschänder“ beklebt hatten. Es war schon jahrelang bekannt, daß eine bei Wertheimer beschäftigte Zuschneiderin, die ca. 28 Jahre im Betriebe war, mit Wertheimer ein Liebesverhältnis hatte. Während die Zuschneiderin in Schutzhaft genommen wurde, konnte Wertheimer noch rechtzeitig flüchten.

Schlesien, 1. Bericht: In Breslau wurde durch eine Zeitungsnotiz bekannt gemacht, daß die wegen Rassenschande verhafteten Juden zu der und der Zeit zum Bahnhof gebracht würden. Zur festgesetzten Zeit versammelte sich vor dem Polizeipräsidium eine große Menschenmenge. Trotz langen Wartens bekamen die Leute nichts zu sehen. Die Verhafteten wurden in geschlossenen Autos durch eine Seitenstraße weggefahren. Unter der wartenden Menge wurde das Problem Rassenschande und Judenverfolgung stark diskutiert. Man konnte Äußerungen wie „die Behandlung der Juden ist eine Kulturschande“ hören. Unter der Menge gab es sicher ebensoviel Gegner wie Befürworter der Maßnahmen gegen die Juden.

Gegen die Rassenschänder wurden in Breslau Umzüge veranstaltet. Uniformierte SA-Leute gingen voraus und bliesen Trompeten. Vor den Wohnungen der sogenannten Rasseschänder wurde von einer kleinen Menge, die überall dieselbe war, randaliert. Später wurden große Tafeln mit den Adressen der Juden und Mädchen durch die Stadt getragen. Ein Arier, der ausspuckte, wurde verhaftet. In der „Times“ erschien eine kurze Notiz, daß in Breslau Juden verhaftet und mißhandelt worden seien, nur weil sie mit christlichen Mädchen spazieren gingen. Darauf antwortete das nationalsozialistische Breslauer Organ in großer Aufmachung unter der Überschrift: „Die STZ antwortet der Times“. Wir lassen Dokumente sprechen.“ Die Notiz der „Times“ ist fotografiert wiedergegeben. Dann wird darunter ein Vernehmungsprotokoll abgedruckt. Der Jude . . . vorgeführt sagt aus ... Es wird dann eine Schilderung gegeben, daß er mit dem Mädchen im Bett gelegen habe. Sie sei nur mit dem Hemd bekleidet gewesen. Das angebliche Protokoll, das faksimiliert mit der Unterschrift wiedergegeben ist, trägt keinerlei behördlichen Vermerk. In einem Kommentar im gleichen Artikel werden dann weitere Einzelheiten über die Beziehungen von Juden zu christlichen Mädchen bekanntgemacht. So eine Schilderung, daß in einem Falle die Leute zu dritt in einem Bett gelegen haben. Diese Berichterstattung wird von der Bevölkerung abgelehnt. Man sagt, früher wurden die Revolverblätter, die solche Dinge nur versteckt schreiben konnten, von jedem anständigen Menschen gemieden.

Bei den Krawallen wurde auch ein polnischer Jude verprügelt. Er ließ die SA-Leute, die ihn auf der Straße mißhandelt hatten, feststellen. Später erschien in seiner Wohnung ein Beamter der Gestapo und bat, die Sache zu verschweigen. Die Täter würden bestraft werden. Als er erklärte, daß seine Frau bereits auf dem Wege zum polnischen Konsul sei, zeigte sich der Beamte sehr bestürzt und erklärte, diese Dinge werden endgültig abgestellt.

Auf dem Ringplatz in Breslau steht vor dem Rathaus noch die Staupsäule aus dem Mittelalter. Um diese Säule wurden Plakate aufgestellt und dann Bilder von solchen Käufern, die bei jüdischen Firmen gekauft hatten, angeschlagen. Man konnte lesen: Der hat soeben im Schuhhaus . . . gekauft.“ Dies wurde an einem Tage von früh bis gegen 3 Uhr nachmittags gemacht. Dann kam ein Auto, lud die Plakate auf und fuhr damit weg. Es geht das Gerücht, daß die jüdischen Firmen gemeinsam Beschwerde erhoben haben, worauf die Polizei den Unfug abstellte.

In der Schweidnitzerstraße in Breslau ist ein Holzturm aufgestellt worden. Die Seiten des Turmes sind mit antisemitischen Plakaten beklebt, darunter steht mit großen Lettern die Aufforderung, die Juden zu boykottieren und „Juda verrecke!“ Durch die Hauptstraßen von Breslau werden große Tafeln getragen, auf denen die genauen Personalien und die Adressen von Christenmädchen, die mit Juden verkehren, stehen. Diese Maßnahmen rufen selbst in nationalsozialistischen Kreisen großes Mißfallen hervor. Es wird sogar öffentlich geäußert, daß man diese Maßnahme für „zu weitgehend“ hält.

In der Hohenzollernstraße in Breslau befindet sich das jüdische Krankenhaus, das erst mit 360 Patienten vollbelegt und rentabel ist. Die Hetze und der Druck der Nazis und städtischer Behördenstellen ist so groß, daß selbst viele Juden es nicht wagen, sich in das jüdische Krankenhaus zu begeben. Zur Zeit ist es nur mit 95 Kranken belegt.

Dr. Kuhn aus der Sonnenstraße in Breslau ist vor Monatsfrist verhaftet worden, angeblich wegen Abtreibung. Einwandfrei steht fest, daß er schon tot ist. Amtlich sagt man, er habe in der Zelle Selbstmord verübt. Die illegale Öffentlichkeit und selbst bürgerliche Kreise behaupten, daß der Arzt entweder durch Mißhandlungen in den Tod getrieben oder zu Tode gemartet wurde.

Am Sonntag, den 18. 8. wurde gleichzeitig eine Hetze gegen Juden und Katholiken veranstaltet. Am Markt waren Transparente gespannt mit den Aufschriften: „Der Vater der Juden ist der Teufel“. Dabei ein Bild mit dem Teufel, der einen Juden im Arm hat. „Mönche und Nonnen üben sich nur noch im Devisenschieben.“ Dieses Schild war dicht bei der katholischen Kirche gespannt. „Jud, du bist erkannt in unserm Schlesierland.“ „Die Juden sind unser Unglück.“ Die SA fuhr mit 4 Wagen, die mit Transparenten und Karikaturen versehen waren, durch die ganze Gegend. Der Text des Liedes „Die rote Front, schlagt sie entzwei“, abgeändert in „Die schwarze Front“, wurde immer wieder gegröhlt. Sprechchöre wurden gerufen. „Mit Adolf Hitler zum wahren Sozialismus“, „Miesmacher heraus.“

Am letzten Sonntag im August veranstaltete ein marschierender SA-Trupp einen Judenpogrom. Dabei wurde der schwedische Konsul in Breslau verprügelt. Es soll ein entschiedener Protest der schwedischen Regierung erfolgt sein. Auf dieses Vorkommnis ist der scharfe Aufruf des Gauleiters Wagner gegen Einzelaktionen zurückzuführen.

2. Bericht: In Striegau wurden wie anderwärts die Aktionen gegen die Juden durchgeführt. Käufer in jüdischen Geschäften wurden fotografiert und die Bilder öffentlich ausgehängt. Stürmerkästen sind angebracht. Ein Transparent wurde gespannt mit der Inschrift: „Der Jude ist auf der Menschheit Rücken, was für den Hund sind Flöhe und Mücken.“ In Jauer wurde den Juden das Betreten des Stadtbades verboten.

In dem Teil Oberschlesiens, der Abstimmungsgebiet war, sind die Judenverfolgungen nicht ganz so kraß wie anderwärts. Dies deshalb, weil die Juden, wie andere Minderheiten auch, noch durch die Genfer Konvention geschützt sind. Trotzdem kam es in Beuthen zu folgendem Vorfall: Die Friseuse Teubner, eine polnische Staatsangehörige, ist die Braut des reichsdeutschen Juden Posener. Das Paar wollte heiraten und das Aufgebot wurde ausgehängt. Bald darauf drangen SA-Führer in das Geschäft ein, in dem die Teubner arbeitet. Sie mißhandelten sie und schleppten sie durch die Stadt. Das Mädchen erlitt einen Nervenschock und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Die polnische Regierung schritt sofort ein, mit dem Erfolg, daß an die Teubner eine hohe Entschädigung gezahlt wurde und die Trauung sofort stattfinden konnte.

In Schlesien erscheinen nun an vielen Ortseingängen Schilder mit der Aufschrift: „Juden sind hier nicht erwünscht.“ Im neuen Schwimmbad in Hirschberg wurde eine Tafel angebracht „Juden haben keinen Zutritt.“

2. Bericht: In Görlitz hat man den Inhaber eines großen Konfektionsgeschäfts Dresel im Juni ds. Jhrs. verhaftet. Angeblich hatte er sich Rassenschändung zuschulden kommen lassen. Am Abend nach der Verhaftung wurden sämtliche Fenster seines großen Geschäftslokals mit Zetteln beklebt, auf denen die unflätigsten Beschimpfungen, wie Judensau, Dreckschwein usw. standen. Die Familie des Verhafteten lebte in ständiger Angst vor tätlichen Angriffen, die Frau ist vollständig zusammengebrochen. Vor Gericht stellte sich die vollständige Unschuld des Verhafteten heraus. Der Mann wurde freigesprochen und aus der Haft entlassen. Um seine stark angegriffene Gesundheit wieder herzustellen, fuhr er zur Erholung nach Krummhübel ins Riesengebirge. Kaum dort angekommen, wurde er erneut verhaftet und ist heute noch nicht wieder aus der Haft entlassen. Auf die Anfrage seiner Frau, warum ihr Mann nun wieder verhaftet sei, wurde die Antwort verweigert.

Hamburg: Als Auftakt für die am 30. August 1935 vorgesehene A42 Streicherversammlung begann man ungefähr 10 Tage vorher mit der Aufstellung von sogenannten „Stürmerkästen“ in den verschiedensten Stadtteilen Hamburgs. Die Aufstellung und „Einweihung“ geschah unter Aufbietung größerer SA-Trupps und mit großem Tamtam. Diese Kästen wurden als Patenkinder den einzelnen Ortsgruppen und Stützpunkten übergeben. Es handelt sich um ca. 200 solcher Kästen, die besonders in den Außendistrikten reichlich zu finden sind. Im Zentrum der Stadt, in der Nähe des Hauptbahnhofes, der Mönckebergstraße und des Alsterdammes sucht man sie vergebens, während man in anderen Stadtteilen, z. B. in Barmbeck nicht nur viele Stürmerkästen findet, sondern auch die Schaufenster leerstehender Läden mit dem „Stürmer“ beklebt hat. Auffallend oft sieht man den „Stürmer“ in den umliegenden Straßen der Reeperbahn. Als Agitationsnummer benutzt man besonders die Hirschland-Nummer, die man zu den gemeinsten Nummern des „Stürmers“ zählen kann.

Am Tage vor der festgesetzten Versammlung wurde die SA auf geboten, um die Stimmung aufzupeitschen. Abends gegen 20.30 Uhr fuhren zwei mit SA besetzte Lastautos mit Anhänger durch die Straßen. Besonders bevorzugt wurden die Straßen, in denen viele Juden wohnen.

Unter großem Getöse wurde in diesen Straßen die mitgeführten brennenden Fackeln auf die Straße geworfen, während die „rauhen Kämpfer“ gröhlten: „Juda verrecke“ und „Juden sind unser Unglück“. Auffallend war, daß die Anwohner von diesem ganzen Aufzug fast keine Notiz nahmen. In allen Stadtteilen, an jeder freien Stelle sah man die Plakate für die Versammlung aufgeklebt oder aufgehängt. Pg. Streicher macht es jetzt billiger. Er verzapft seine Schweinereien heute schon für 30 Pfennig, die Erwerbslosen können den Spaß schon für 10 Pfennig genießen. Für alle Parteigliederungen und für die Arbeitsfront war die Streicherversammlung als Pflichtveranstaltung angesetzt. Jeder Amtswalter mußte eine bestimmte Anzahl Karten verkaufen. Die Karten waren angeblich am Donnerstagmorgen ausverkauft. Aus welchen Gründen die Leute, die nicht gezwungen wurden, hingingen, konnte man aus ihren Äußerungen entnehmen: „Klar, wir gehen zur Streicherversammlung, das wollen wir uns nicht entgehen lassen.“ Man hatte den Eindruck, daß sich die Leute einen besonderen Spaß an diesem Abend versprachen.

Freitagabend gegen 7 Uhr begann der Zustrom nach Rothenburgsort. Hitler-Jugend, BdM, SS, SA und viele Betriebe rückten geschlossen an. Die Hauptzufuhrstraße, durch die Streicher anrollen sollte, war für den gewöhnlichen Autoverkehr gesperrt. Diese Absperrung wurde durch ein großes Aufgebot von Schupo, SA und SS durchgeführt. Bei Beginn der Kundgebung war die Halle besetzt. Es mögen rund 20 000 Menschen gewesen sein. Von einer Überfüllung kann man nicht reden. Vor dem Rednerpult war je ein Sturm SA und SS aufmarschiert. Außerdem waren überall in den Durchgängen, im Saal und auf der Galerie Hitler-Jugend und SA aufgestellt. Außer an Abkommandierten stand niemand im Saal. Kartenkontrolle fand nicht statt. Nach der Eröffnung durch den Gauleiter Kaufmann begann Streicher seine Rede mit dem Hinweis auf seine erste Versammlung 1929 in Hamburg.

Um uns herum saßen ungefähr 500 Arbeitsdienstler, die unser besonderes Interesse erweckten. Als Streicher ungefähr 10 Minuten gesprochen hatte, begannen schon einzelne von ihnen einzuschlafen.

Streicher selbst schien zu merken, daß eine gewisse Kühle von der Versammlung ausging. Er wechselte plötzlich das Thema, sprach über die Wärme im Saal, von guten Grogs und von dem herrlichen, zielbewußten Pg. Kaufmann. Die Versammlungsteilnehmer forderte er auf, falls es zu warm würde, ruhig die Jacken auszuziehen. Scheinbar wußte er nicht recht, was er mit der Versammlung anfangen sollte.

In der Halle blieb alles ruhig. Keinerlei Bewegung, keinerlei Beifall, keine Begeisterung. Alles wartete auf das Besondere, das noch kommen sollte.

Nun versuchte es Streicher mit einer anderen Walze. Er sprach die Hoffnung aus, daß recht viele Gebildete im Saale wären, sie könnten dann aus seinem Munde erfahren, was sie wert seien, die Herren Studienräte, Stahlhelmer, Geheimräte usw. Nämlich gar nichts. Und wenn sie glaubten, daß sie im neuen Staat wieder an erster Stelle stehen könnten, dann irrten sie sich gewaltig. So ging es eine ganze Zeit lang.

Dann kamen die ausländischen Berichterstatter und die Auslandspresse an die Reihe, die in der gemeinsten Weise angepöbelt wurden: „Ich behaupte hier, daß ein Teil der ausländischen Berichterstatter Lügner und Schweinehunde sind. Wohlgemerkt, ich habe gesagt, ein Teil und ich sage hier, daß wir mit den Juden in Deutschland machen, was wir wollen und für nötig halten. Das Ausland hat sich nicht um uns zu kümmern. Wir kümmern uns auch nicht darum, wenn in Amerika Neger gelyncht werden, oder wenn man in England Katholiken verfolgt.“ Bei diesen Ausführungen wurde geklatscht. Wie wir feststellten, aus der Mitte des Saales, von den SS- und SA-Leuten, und bei uns auf dem Balkon von der HJ und der SA, die in den Durchgängen postiert waren. Wir merkten nun, daß diese Leute eigens zu diesem Zweck im Saal verteilt waren. Wenn überhaupt geklatscht wurde, waren es immer diese verteilten Gruppen. So wurde der Anschein erweckt, als ob es im ganzen Saal geschah. - Streicher erklärte weiter:

„Im Ausland nennt man mich den Judenschlächter von Franken' oder den ,Roten Zaren von Franken'. Man schreibt, in meinem Gau seien 3000 Juden umgebracht. Das ist eine gemeine Lüge, keinem Juden ist ein Haar gekrümmt. Kommen Sie hin und überzeugen Sie sich. In Nürnberg leben die Juden ruhig für sich allein. Haben ihre eigenen Kaffees, ihre Geschäfte, leben ihr eigenes Leben, und soweit sie sich ruhig verhalten, geschieht ihnen nichts. Sollte es aber einem einfallen, sich rassenschänderisch zu betätigen oder gar deutsche Frauen zu belästigen, dann muß er sich schon damit abfinden, daß ihn die SA-Leute in berechtigter Empörung durch die Straßen schleifen.“

Jetzt scheint er bei seinem eigentlichen Thema angelangt zu sein, er kommt in Schwung. Es ist inzwischen V2IO Uhr geworden, ohne daß die Zuhörer auch nur einmal mitgerissen wurden. Die Arbeitsdienstler in unserer Nähe wurden immer müder. Man sah ihnen an, daß sie die ganze Geschichte gar nicht interessierte.

Des Frankenführers Stimme wurde jetzt immer lauter. Er brüllte, als er von den katholischen Gotteslästerern sprach, die den Rosenkranz beten, aber Devisen unter der Kutte, versteckt über die Grenze gingen. Das sind in Wirklichkeit die Gotteslästerer und nicht wir.

„Ich frage, was hätte wohl Jesus Christus dazu gesagt?“ Dabei versuchte er zu beweisen, daß Christus kein Jude gewesen sei, Christus hätte damals die Wechsler aus dem Tempel gejagt. „Jesus hat genau wie Adolf Hitler gekämpft, mit seiner kleinen Anhängerschaft sei er im Land umhergezogen und habe gepredigt, und später als er eine große Anhängerschaft hatte, kamen die Reaktionäre und Stahlhelmer der damaligen Zeit und sagten, sie wären auch schon immer dabei gewesen. Dabei versuchten sie gerade so wie heute, sich breit zu machen. Aber Jesus war auf der Hut, genauso wie der Führer heute.“ Dann versuchte er, der Menge klarzumachen, daß der Führer von Gott gesandt sei, um das deutsche Volk zu retten.

„Hunderte von Beispielen kann ich Euch erzählen, wo und wie Juden deutsche Frauen vergewaltigen. Noch heute geschieht es, daß in vielen Fällen deutsche Frauen sich von diesen Judenschweinen betören lassen. Aber diese Schweine sind nicht besser wie die Juden selbst.“

„Es ist festgestellt, daß das jüdische Blut aus dem Körper der arischen Frauen nicht wieder herausgeht und daß noch mindestens 10 Generationen unter diesem einen rassenschänderischen Fehltritt leiden müssen. Ein Beispiel, an demselben könnt Ihr gleichzeitig den Charakter der katholischen Kirche erkennen.“ (Das vorhergehende, sowie das folgende erzählte Streicher in recht breiter, gemeiner Weise.) „In einer Stadt in Westfalen lebte die Tochter eines Professors, ein gebildetes, anständiges deutsches Mädchen. Sie wollte absolut ein Judenschwein heiraten. Es halfen keine Vorstellungen. Der Pfaffe traute diese Ehe, nachdem der Jude sich hatte taufen lassen. Zur gleichen Zeit aber wurde einem SS-Mann und seiner blonden Braut der kirchliche Segen aus irgendeinem Grunde verweigert. Sie heirateten ohne denselben, denn wenn deutsches Blut zu deutschem Blute will, ist nichts im Stande, es aufzuhalten.

Als alles in Ordnung war und sie hatten (hinter „hatten“ machte er eine kleine Pause, um dadurch besonders zu wirken. Neben uns saß ein Ehepaar, das sich erstaunt und entsetzt ansah. Die HJ und BdM hörten gespannt zu, die SA-Leute grinsten, aber der Arbeitsdienst schlief jetzt schon zum größten Teil) „und die 9 Monate vergangen waren, kamen beide Frauen in die Klinik. Als die Tochter des Professors ihr Kind sehen wollte, was lag da in der Wiege, Volksgenossen?! Ein kleiner Affe.“ (Im Saal eisige Stille, es war, als ob sich der größte Teil der Versammlung schämte. Auf der linken Seite stand eine Anzahl Leute auf und gingen). Plötzlich fragte Streicher: „Wollt Ihr, daß ich weiterspreche? Wer dafür ist, bitte die Hand zu heben!“ Keiner wagte, die Hand unten zu lassen. In der Mitte des Saales und in den Durchgangsreihen wurde geklatscht. Nun fuhr er fort: „Ein kleiner Affe lag in der Wiege, oder vielmehr ein richtiger kleiner Judenbengel. Alle Anzeichen dieser verkommenen Rasse waren vorhanden, die Nase, die Ohren und die behaarten Beine. Voll Entsetzen begann die Tochter des Gebildeten zu weinen.

Im anderen Zimmer lag lächelnd die deutsche Mutter. Froh und gesund strampelte das Kind in der Wiege, ohne den kirchlichen Segen. Nun will ich Euch weitererzählen. Das deutsche Paar lebt glücklich zusammen weiter, Gott gebe, daß es in jedem Jahr ein Kind bekommt.

Die Mutter des kleinen Judenbengels ließ sich vom Jüd scheiden, sie konnte es nicht mehr ertragen. Den kleinen Bastard bekam der Vater mit. Die Frau verreiste für einige Zeit. Als sie wiederkam, traf sie einen Jugendfreund, der heute SS-Mann ist. Bald heirateten die beiden. Durch das Zusammenleben mit dem Juden verdorben, sagte sie nichts von der Ehe mit dem Judenschwein. Als die 9 Monate wieder vergangen waren und der SS-Mann sein Kind in der Wiege liegen sah, war er entsetzt und empört. Denn was lag da? Wieder ein kleiner Affe, ein Judenbengel. Verzweifelt gestand die Gebildete, was gewesen war. Als anständiger deutscher Mann und Nationalsozialist konnte der SS-Mann nicht weiter mit der Frau Zusammenleben. Nun will ich Euch erklären, wie es kommt, daß beim zweiten Male, trotz eines arischen Vaters wieder ein Jüd in der Wiege lag.“

Es folgte jetzt eine Darstellung in einem so gemeinen und obszönen Ton, langsam und breit geschildert, als ob er selbst jedes Wort genoß. Schriftlich kann man so etwas überhaupt nicht wiedergeben. So etwas muß man eben selbst hören, und sehen, wie er mit etwas nach vorn gedrückten Knien, leicht sich hin- und herbewegend, mit Hand und Armbewegungen, das Fließen des jüdischen Blutes durch den Mutterleib und den Körper der Frau ausmalte. Nur dann kann man verstehen, daß man es hier mit einem Geisteskranken zu tun hat, der sich selbst an diesen Schweinereien erregt.

Auf das Beispiel der angeblichen Professorentochter zurückgreifend sagt er: „Durch den Geschlechtsverkehr dieses Mädchens mit dem Judenschwein dringt mit dem Samen auch das Judenblut in den Körper der Frau. Während der Zeit, die der Samen zur Entwicklung braucht, pulsiert das Blut des sich entwickelnden Kindes denselben Kreislauf, wie das der Mutter. Neun Monate lang läuft so das jüdische Blut von dem Kind durch den Körper der Mutter, dabei deren Blut total mit dem jüdischen verseuchend. Und dieses Blut wird im Körper der Mutter vorherrschend auch dann noch, wenn ein anderes Kind mit einem arischen Vater gezeugt ist. Immer wieder werden diese Judenbälge sich entwickeln, mindestens 10 Generationen und Kind und Kindeskind jüdischverseuchend. Ich warne Euch deutsche Frauen.“

Hier machte Streicher eine Pause. Wahrscheinlich Beifall heischend, aber nichts rührte sich. (Man muß bedenken, daß Hitler-Jugend und BdM in diese Versammlung offiziell kommandiert waren.)

Er führte dann noch eine Reihe anderer Beispiele an und bemühte sich immer wieder, durch diese Schweinereien die Versammlung mitzureißen. Trotzdem gelang es ihm nicht, mit der Versammlung irgendeinen Kontakt herzustellen. Am Schluß der Rede war der Beifall sehr gering und rührte von den im Saal verteilten Claqueuren her. Eine größere Zahl von Besuchern hatte schon vorher die Versammlung verlassen. Am Schluß mußte Kaufmann vorspringen und die Leute auffordern, nicht wegzugehen, bevor man gesungen hätte.

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