Bericht der NSDAP-Kreisleitung Leipzig an die Gauleitung
Der Kreisleiter der NSDAP in Leipzig berichtet der sächsischen Gauleitung am 15. März 1938 über die bisher gegen Juden getroffenen Maßnahmen:
Betr.: Juden. Von dem im Gau Sachsen z.Zt. noch lebenden rund 18000 Juden wohnen allein % in der Reichsmessestadt. Es ist deswegen mehr als berechtigt, einmal die Frage aufzuwerfen, welche Schritte und Massnahmen hier getroffen worden sind, um die Juden aus dem öffentlichen Leben nach und nach immer mehr auszuschalten und ihr Betätigungsfeld einzuschränken.
Mit Genugtuung stelle ich fest, dass in der letzten Zeit mehr Anfragen als bisher bei uns eingehen über die Genehmigung zur Erteilung der Auswanderungs-Erlaubnis. Unsere Zustimmung hierzu wird selbstverständlich anstandslos erteilt. Neben allgemeinen, gegen die Juden erlassenen Gesetzen werden wohl auch die örtlich erlassenen Einschränkungen hierbei eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben.
Im Nachfolgenden gebe ich Ihnen deswegen einmal kurz Kenntnis von den seitens der Partei in Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung getroffenen Massnahmen:
1.) Seitens der städtischen Verwaltung werden keinerlei Geschäfte mehr mit Juden getätigt, auch nicht von der Beschaffungsstelle.
2.) Jede geschäftliche Verbindung, aus der die Juden irgendwelche Vorteile ziehen könnten, wird unterbunden. Sie erhalten deshalb keinerlei Darlehen, auch nicht von der Sparkasse.
3.) An Juden werden keine Ausschreibungsangebote ausgegeben. Bei Vergebung von Lieferungs-Aufträgen werden sie nicht berücksichtigt.
4.) Juden dürfen nicht betreten:
a) Gemeinschaftsbäder (Dampf-, Schwimm- und Sommerbäder),
b) Leihhaus,
c) städtische Bücherhallen.
Erscheinen sie, werden sie gerichtlich belangt.
5.) Angehörige der israelitischen Religionsgemeinde dürfen keine Feiern in städtischen Friedhöfen abhalten. Beisetzungen müssen gestattet werden, obwohl ein israelitischer Friedhof vorhanden ist.
6.) In der öffentlichen Fürsorge müssen Juden noch unterstützt werden. Jedoch werden sie hier besonders zurückhaltend behandelt. An Juden, die irgendeinen Handel treiben, wird eine Unterstützung grundsätzlich nicht gezahlt.
7.) Bei Antrag werden Auswanderer-Beihilfen gezahlt, um die Gesellschaft bald los zu sein.
8.) Land wird an Juden nicht verpachtet.
9.) Auf den Messen und Märkten der Stadt werden die Juden beschränkt. Die arischen Gesuchsteller werden in jeder Weise bevorzugt.
10.) Den Vieh- und Schlachthof dürfen jüdische Vieh-Agenten und Grosschlächter nicht mehr benutzen.
11.) Juden dürfen in Sportvereinen nicht mehr Mitglied sein. In Leipzig bestehen z. Zt. noch 2 jüdische Sportvereine, die auch eigene Sportplätze haben. Der Sportbetrieb von Juden auf städtischen Sportplätzen ist untersagt.
12.) An der Kinderspeisung dürfen Judenkinder nicht teilnehmen.
13.) Die Mitteldeutsche Börse ist seit kurzem judenfrei. Den Juden wurden die Erlaubnisscheine entzogen.
14.) Wandergewerbescheine und Reiselegitimationskarten werden an Juden nicht mehr ausgegeben. Durch die hierfür notwendige politische Beurteilung haben wir eine genaue Kontrolle.
15.) Bisher mussten neu nach Leipzig zuziehende Juden, wenn sie keine Wohnung hatten, im Obdachlosenhaus untergebracht werden. Z. Zt. läuft bei der Stadt von uns ein Antrag, den Juden auch das Obdachlosenhaus zu verbieten.
16.) Des weiteren wird z. Zt. die Frage behandelt, inwieweit den Juden das Betreten der im Herzen der Stadt liegenden Grünanlage „Rosenthal“ verboten werden kann. Es stösst dies auf einige Schwierigkeiten, da grössere öffentliche Wege durch das „Rosenthal“ führen.
17.) Eine Aktion ist in Vorbereitung, die Juden aus den arischen Kaffeehäusern zu vertreiben. Späterhin soll dann ein Verbot für sämtliche Gaststätten, evtl. von Anbringen von Schildern „Eintritt für Juden verboten“, ausgesprochen werden. Weigern sich Gaststätten, dieses Schild anzubringen, werden sie von uns gemieden.
18.) Eine Erfassung der Juden, die z.Zt. noch Geschäftslokale in städtischen Häusern innehaben, ist im Gange. Jede Gelegenheit wird wahrgenommen, um die bestehlenden Mietverträge mit Juden aufzuheben. In städtischen Wohnungen befinden sich noch 44 Juden.
Sehr wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die Behandlung der Judenfrage auf schulischem Gebiet. Interessant dabei ist ein kurzer Überblick über die Zahl der in den Jahren seit der Machtübernahme in den Volksschulen, höheren Schulen und Berufsschulen gewesenen Judenkinder (einschliesslich 3A und Vi jüdischen Schülern).
Es sassen in: Volks.Sch. höh. Sch. Berufs-Sch. Zus.
im Jahre 1933 820 197 115 1.132
1935 384 121 188 693
1936 299 72 162 533
1937 219 52 254 525
Die Zahl der jüdischen Schüler in den öffentlichen Schulen hat also seit 1933 bedeutend abgenommen. Die Schüler fanden meist Aufnahme in den privaten jüdischen Schulen. Diese wiesen 1933 einen Bestand von 335,1937 einen solchen von 613 Schülern auf. Die übrigen 329 dürften zum grössten Teil durch Auswanderung in Wegfall gekommen sein. Die jüdischen Kinder der öffentlichen Volksschulen sollen ab Ostern 1938 in Sammelklassen zusammengefasst werden. Die dadurch entstehenden 2 rein jüdischen Klassen werden in dem Gebäude der jetzigen kath. Volksschule untergebracht. Die kath. Volksschule selbst wird Ostern 1938 verlegt, sodass dann alle jüdischen Volksschüler vollkommen getrennt von den arischen Kindern in einem Gebäude beschult werden. Diese Herausnahme der jüdischen Kinder aus den Volksschulen ist ein weiterer Fortschritt und dringend notwendig, da die bislang herrschenden, unerträglichen Zustände den Unterricht, besonders in den Fächern Deutsch, Geschichte, Rassenkunde, Religion, Kochen (Essen wird als nichtkoscher abgelehnt), Schreiben usw., sehr erschwert und ein volles Sichgeben der Lehrer und Schüler oft nicht möglich war.
In den höheren israelitischen Schulen befanden sich 1933 373 Schüler, 1934 437 Schüler. Da in Leipzig eine eigene jüdische höhere Schule besteht, werden mit Genehmigung des Ministeriums keine Juden mehr in die übrigen höheren Schulen aufgenommen.
Auch die Beschulung der jüdischen Berufsschulpflichtigen wird ab Ostern 1938 getrennt, voraussichtlich in 8 Klassen, durchgeführt, die ebenfalls in dem Gebäude der jetzigen kath. Volksschule untergebracht sind.
Von weiteren wesentlichen Massnahmen, die örtlich gegen die Juden getroffen werden, werde ich Sie stets auf dem Laufenden halten.
Heil Hitler!
Lt. Beschluss des Leiters der Allgemeinen Ortskrankenkasse für die Stadt Leipzig ist die Aufnahme und Behandlung von arischen Mitgliedern in das Israelitische Krankenhaus verboten. Die hierzu notwendige Zustimmung des Oberversicherungsamtes ist erteilt worden.
D.O.