Juli 1944
Mit der Besetzung von Minsk durch die Rote Armee endete am 3. Juli die dortige Kesselschlacht, in der die deutschen Truppen vernichtend geschlagen wurden. Zehn Tage später begann dann eine Offensive gegen die deutsche Heeresgruppe Nord. Am 17. Juli erreichten sowjetische Verbände die „Curzon-Linie“ in Polen, am 29. überquerten sie die Weichsel und bildet auf dem Westufer einen Brückenkopf. Damit war die Ostfront dem Reichsgebiet bedrohlich nahe gerückt.
Am 9. Juli wurde die französische Hafenstadt Caen nach vierwöchigen erbitterten Kämpfen von britischen und kanadischen Truppen eingenommen. Zum Monatsende gelang den alliierten Streitkräften dann in der einwöchigen Panzerschlacht von Avranches der kriegsentscheidende Durchbruch gegen die deutschen Stellungen an der Westfront. Bereits am 15. Juli hatte Generalfeldmarschall Erwin Rommel Hitler in einem Blitzfernschreiben die aussichtslose Lage an der Invasionsfront in der Normandie dargelegt.
Gegen Monatsende machten sich auch die alliierten Bomber wieder stärker im Reichsgebiet bemerkbar. Am 24. Juli begannen fünf Tage andauernde britische Luftangriffe auf Stuttgart, bei denen fast 900 Zivilisten getötet wurden und mehr als 100.000 Menschen ihr Obdach verloren. Am 27. Juli bombardierten 1.000 schwere US-Bomber die Leunawerke in Merseburg, den größten deutschen Betrieb für die Herstellung von synthetischem Brennstoff.
Propagandaminister Goebbels hingegen wurde – wie in einer Rede am 8. Juli - nicht müde, den Zweiten Weltkrieg als eine „einmalige historische Auseinandersetzung“ zu feiern, die nicht mit vergangenen Kriegen verglichen werden könne. Es ging in seinen Worten um „Sein oder Nichtsein der Nation“.
Im Reichsgebiet selbst domminierte zum Monatsende hin allerdings ein anderes Ereignis das öffentliche Leben und die privaten Diskussionen: Am 20. Juli scheiterte ein von Claus Graf Schenk von Stauffenberg in dessen Hauptquartier „Wolfsschanze“ verübtes Bombenattentat auf Adolf Hitler, der lediglich leicht verletzt wurde. Es folgte umgehend eine große „Säuberungsaktion“, die dem militärischen Widerstand ein Ende setzte. Etwa 200 Personen wurden in direktem Zusammenhang mit dem Attentat ermordet. Aber auch die folgenden Wochen nutzte das NS-Regime, um Tausende von Gegnern zu verhaften, brutal zu foltern und teilweise umzubringen. Nachdem sich Hitler unmittelbar nach dem Anschlag in der Öffentlichkeit zeigte, sahen sich erhebliche Teile der Bevölkerung in ihrem Glauben in die Unantastbarkeit des „vom Schicksal bestimmten Führers“ bestätigt. Der selbst verbreitete über den Rundfunk eine sehr ähnliche Interpretation der Vorgänge: „Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen.“ Er selbst sei jedoch völlig unverletzt, was er als „Bestätigung des Auftrages der Vorsehung“ auffasse, sein „Lebensziel“ in bisheriger Art und Weise weiter zu verfolgen. - Das versprach nichts Gutes.
Der Sicherheitsdienst der SS berichtete über die öffentliche Stimmung: „Die Bevölkerung atmet erleichtert auf, dass der Führer dem Anschlag nicht zum Opfer fiel. Fast durchweg ist die Bindung an den Führer vertieft und das Vertrauen zur Führung gestärkt worden, die sich als Herr der Lage gezeigt hat.“ Dadurch mache sich „eine Erhöhung des Kampfgeistes und des Willens zum unbedingten Durchhalten bemerkbar“. Das sollte auch für die Wehrmacht gelten, in der auf Vorschlag von Hermann Göring drei Tage nach dem Hitler-Attentat der „Deutsche Gruß“ eingeführt wurde.
Es begann nun aber auch die Zeit, in der schrittweise das Unvorstellbare sichtbar wurde, dass im Kern Adolf Hitlers eigentliches „Lebensziel“ ausmachte: Am 23. Juli befreiten sowjetische Truppen das deutsche Vernichtungslager Majdanek bei Lublin (Polen), in dem zuvor 1,5 Millionen Menschen aus 26 Nationen - die meisten von ihnen Juden - ermordet worden waren. Die fotografische Dokumentation der unvorstellbaren Zustände und Brutalitäten riefen weltweites fassungsloses Entsetzen hervor.